WRRL-Verschlechterungsverbot gilt auch bei kurzzeitigen Auswirkungen

15.09.2022

Das aus der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) stammende wasserrechtliche Verschlechterungsverbot hat in den letzten Jahren hohe Wellen geschlagen und ist auch weiterhin in der praktischen Rechtsanwendung von großer Bedeutung. Im deutschen Recht ist das Verbot durch § 27 Abs. 1 Nr. 1 WHG für oberirdische Gewässer und § 47 Abs. 1 Nr. 1 WHG für das Grundwasser umgesetzt. Es verlangt, dass Gewässer so zu bewirtschaften sind, dass keine Verschlechterung ihres ökologischen (in Bezug auf das Grundwasser: mengenmäßigen) sowie chemischen Zustandes eintritt. Im Zusammenhang mit der Elbvertiefung wie auch der Weservertiefung haben der Europäische Gerichtshof (EuGH) und im Anschluss hieran das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) dieses Verbot konkretisiert.

Vorübergehende Auswirkungen keine Verschlechterung?

Der EuGH entschied - zunächst für oberirdische Gewässer, später auch für das Grundwasser -, dass das Verschlechterungsverbot bei jeder Vorhabenzulassung zu beachten ist. Ist mit einer derartigen Verschlechterung durch das zur Genehmigung gestellte Vorhaben zu rechnen, kann das Vorhaben nicht zugelassen werden. Eine aktuelle Entscheidung des EuGH (Urteil vom 05.05.2022 – C-525/20) zu einem Fall aus Frankreich zeigt, dass versucht wird, durch „kleine Tricks“ das Verschlechterungsverbot zu umgehen. So enthielt das französische Umweltgesetzbuch eine Regelung, wonach unter anderem keine Verschlechterung vorliegen sollte, wenn von dem Vorhaben nur vorübergehende Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen zu erwarten waren. Im Kern handelte es sich hierbei um eine Bagatellregelung, wonach bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen eine Verschlechterung zu verneinen war.

Ein Umweltverband klagte wegen Verstoßes gegen das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot. Im Zuge dessen fragte der französische Conseil d’État den EuGH, ob eine derartige Bagatellregelung mit den Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie zu vereinbaren sei und bezog sich dabei auf dessen Entscheidung zur Weservertiefung (Urteil vom 01.07.2015 – C-461/13). Der französische Staat argumentierte, dass das EU-Recht Tätigkeiten mit nur vorübergehenden Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen für den Zustand des Gewässers erlaube und daher die französische Regelung zulässig sei.

EuGH: Auf die zeitliche Komponente kommt es nicht an

Dem trat der EuGH entgegen. Die Bestimmung des französischen Rechts erlaube bei nur vorübergehenden Verschlechterungen des Gewässerzustands die Genehmigung eines Vorhabens, obwohl eine Verschlechterung vorliegen könne. Die Prüfung der Ausnahmevoraussetzungen nach Art. 4 Abs. 7 WRRL werde dadurch umgangen. Darin liege eine unzulässige Einschränkung der Regelungen der WRRL.

Qualität der Auswirkungen ist entscheidend!

Nach Auffassung des EuGH ist für die Frage, welche Auswirkungen auf ein Gewässer ggf. unberücksichtigt bleiben können, nicht auf die Dauer der Auswirkung, sondern (allein) auf deren Qualität abzustellen. Mitgliedstaaten müssten im Rahmen der behördlichen Prüfung von Vorhaben oder Programmen nicht auch solche Auswirkungen berücksichtigen, die „ihrem Wesen nach nur geringfügige Auswirkungen auf den Zustand von Wasserkörpern haben und folglich nicht zu Verschlechterungen“ führen können. Demgegenüber sei bei erwiesenen Verschlechterungen deren bloß vorübergehender Charakter irrelevant und in diesen Fällen griffen die Verpflichtungen des Art. 4 WRRL. Nach Auffassung des EuGH widerspricht den Vorgaben der WRRL eine Auslegung von Art. 4 WRRL, wonach die „Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers über eine voraussichtliche Dauer von Monaten oder Jahren“ nicht gegen das Verschlechterungsverbot verstoße.

Vor diesem Hintergrund kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass Art. 4 WRRL den Mitgliedstaaten nicht erlaube, “bei der Beurteilung, ob ein konkretes Programm oder Vorhaben mit dem Ziel der Verhinderung einer Verschlechterung der Wasserqualität vereinbar ist, vorübergehende Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen für die Gewässer nicht zu berücksichtigen“. Dies gelte allerdings nicht, wenn sich „Auswirkungen ihrem Wesen nach offensichtlich nur geringfügig auf den Zustand der betroffenen Wasserkörper auswirken und im Sinne dieser Bestimmung nicht zu einer ‚Verschlechterung‘ ihres Zustands führen können.“ Sofern die nationalen Behörden im Rahmen des Genehmigungsverfahrens feststellen, dass dieses „zu einer solchen Verschlechterung führen kann“, könne das „Programm oder Vorhaben auch im Fall einer bloß vorübergehenden Verschlechterung nur dann genehmigt werden, wenn die Bedingungen von Art. 4 Abs. 7 der Richtlinie erfüllt sind“ (Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot).

Konsequenzen für die Genehmigungspraxis

Für die Genehmigungspraxis – auch in Deutschland – folgt aus dieser Entscheidung, dass Auswirkungen auf ein Gewässer nicht allein deshalb als mit dem Verschlechterungsverbot vereinbar eingestuft werden dürfen, weil die Gewässereigenschaften nur kurzfristig verändert werden. So wird nach diesseitigem Kenntnisstand in der Verwaltungspraxis bislang auch verfahren. Möglich ist allerdings die Feststellung, dass Auswirkungen "ihrem Wesen nach“, also in qualitativer Hinsicht, nicht zu Verschlechterungen der Gewässereigenschaften führen können. Diese Feststellung hat dann – ihre Richtigkeit unterstellt – zur Folge, dass keine Verschlechterung vorliegt und folglich auch kein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot.