Auswirkungen einer fehlenden Stoffpreisgleitklausel auf das Vergabeverfahren

14.10.2022

Die fehlende Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel in die Vergabeunterlagen begründet einen Vergabeverstoß, welcher zu einer Zurückversetzung des Vergabeverfahrens vor Angebotsabgabe führt. Dies hat die Vergabekammer Thüringen in ihrem Beschluss vom 3. Juni 2022 verdeutlicht.

Hintergrund der Entscheidung

In einem EU-weiten Vergabeverfahren war die Herstellung einer elektrotechnischen Anlage im Rahmen des Neubaus eines Universitätscampus ausgeschrieben.

Neben der Antragstellerin reichten vier weitere Bieter fristgerecht ein Angebot ein. Das Angebot der Antragstellerin wurde sodann aber von der Wertung ausgeschlossen, da nach Einschätzung der Auftraggeberin aufgrund einer abweichenden Typenbezeichnung wesentliche Vertragsbedingungen nicht erfüllt gewesen seien.

Gegen diesen Ausschluss wendete sich die Antragstellerin zunächst mit einer Rüge. Nach Hinzuziehung anwaltlicher Beratung erweiterte die Antragstellerin die Rüge auch auf das Fehlen einer Stoffpreisgleitklausel und stellte einen Nachprüfungsantrag.

Der Antragsteller führte in dem folgenden Verfahren vor der Vergabekammer unter anderem aus, das Fehlen einer Preisgleitklausel verstoße gegen § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU. Nach dieser Bestimmung dürfe dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis für Umstände und Ereignisse aufgebürdet werden, auf die er keinen Einfluss habe und die sich auf seine Preiskalkulation und Fristen auswirken könnten. Im vorliegenden Fall sei von einem solchen ungewöhnlichen Wagnis deshalb auszugehen, da in den Vergabeunterlagen keine Preisgleitklausel vorgesehen sei, obwohl nach dem Rundschreiben des Bundesministeriums Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) vom 25.03.2022, die Voraussetzungen für eine Stoffpreisgleitklausel vorgelegen hätten.

Diesen Verstoß habe die Antragstellerin zunächst auch nicht ohne fachanwaltliche Beratung erkennen können, sodass die diesbezügliche Rüge auch nicht verspätet erhoben worden sei. Dem widersprach die Auftraggeberin.

Klare Linie der Vergabekammer

Die Vergabekammer stellte in ihrer Entscheidung zunächst fest, dass dem Rundschreiben des BMWSB nicht eindeutig entnommen werden kann, dass das Fehlen einer Stoffpreisgleitklausel (Formblatt 225 VHB) in den Vergabeunterlagen zur Vergaberechtswidrigkeit des entsprechenden Verfahrens führt. Hierfür seien die Ausführungen im Rundschreiben zu wenig vergaberechtlich untersetzt. Selbst bei einer Kenntnis des Rundschreibens könne somit nicht zwingend abgeleitet werden, dass ein Vergaberechtsverstoß vorliege.

In seiner Entscheidung stellte die Vergabekammer allerdings klar, dass die Ablehnung der Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel in die Vergabeunterlagen durch den Auftraggeber einen Verstoß gegen § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU begründe. Dieser sieht vor, dass dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis für Umstände und Ereignisse aufgebürdet werden kann, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann Die Vergabekammer hatte keine Zweifel daran, dass die Voraussetzungen eines ungewöhnlichen Wagnisses angesichts der Kriegssituation in der Ukraine sowie aufgrund der weltweiten Sanktionsfolgen vorliegen würden. Die Anwendungsvoraussetzungen für die Einbeziehung einer Stoffpreisgleitklausel seien zudem klar erfüllt gewesen.

Auswirkungen auf die Vergabepraxis

Die Vergabekammer setzt in ihrer Entscheidung somit konsequent die Vorgaben des Rundschreibens des BMWSB vom 25.03.2022 um, welches unter Ziff. III. für laufende Vergabeverfahren formuliert:

„Ist die Angebots(er)öffnung bereits erfolgt, ist das Verfahren zur Vermeidung von Streitigkeiten bei der Bauausführung in den Stand vor Angebotsabgabe zurück zu versetzen, um Stoffpreisgleitklauseln einbeziehen und ggf. Ausführungsfristen verlängern zu können.“

Im Einzelfall muss der öffentliche Auftraggeber im Hinblick auch die drohende Zurückversetzung somit genau untersuchen, inwiefern die Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel notwendig ist. Dies gilt umso mehr, da das BMWSB in einem weiteren Rundschreiben vom 22. Juni 2022 klarstellt, dass - soweit nach Einschätzung der Bauverwaltung die drei Voraussetzungen der Richtlinie zu Formblatt 225 VHB vorliegen - Stoffpreisgleitklauseln auch für im Erlass nicht genannte Stoffe vorzusehen sind. Für laufende Vergabeverfahren kann hiervon zwar nach diesem klarstellenden Schreiben nach Abwägung der Vor- und Nachteile im Einzelfall abgesehen werden, die Abgrenzung dürfte jedoch erhebliche Probleme aufwerfen.

Öffentlichen Auftraggebern ist vor dem Hintergrund der Entscheidung zu empfehlen, Stoffpreisgleitklauseln im Zweifelsfall immer einzubeziehen. Dies gilt insbesondere in Anbetracht der drohenden Zurückversetzung des Vergabeverfahrens sowie den damit einhergehenden Verzögerungen. Die Zurückversetzung droht zudem auch dann noch, wenn eine fehlende Preisgleitklausel nicht unmittelbar gerügt wurde.