OLG Düsseldorf: Kann die frühere Kündigung von Aufträgen einen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB begründen?

16.11.2018

Zugrundeliegender Sachverhalt:

Der Antragsgegner schrieb als öffentlicher Auftraggeber im Mai 2017 unter anderem Elektroinstallationsarbeiten im offenen Verfahren europaweit aus. Einziges Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis. Auf die Ausschreibung bewarb sich die Antragstellerin und gab innerhalb der Angebotsfrist das günstigste Angebot ab.

Mit Vorabinformationsschreiben vom 04.08.2017 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass diese nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werde und der Zuschlag auf das zweitplatzierte Angebot erteilt werden soll. Begründet wurde der Ausschluss hierbei mit der vorausgegangenen Kündigung zweier Aufträge an die Antragstellerin im März bzw. Juli 2017. Im Hinblick auf den einen Auftrag bezüglich Elektroinstallationsarbeiten kam die Antragstellerin mit der Lieferung von EDV-Schränken so sehr in Verzug, dass der Antragsgegner ihr kündigen musste. Daraufhin musste der Antragsgegner die Arbeiten erneut ausschreiben, woraus ein Schaden in Millionenhöhe resultierte.

Die Antragstellerin wandte sich gegen diesen Ausschluss und trug im Nachprüfungsverfahren im Wesentlichen vor, dass sie die entstandene Verzögerung im vorangegangenen Verfahren nicht zu verantworten hätte, diese vielmehr allein im Verantwortungsbereich des Antragsgegners gelegen habe.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.

Entscheidung des OLG Düsseldorf:

Das OLG Düsseldorf erachtete die sofortige Beschwerde der Antragstellerin für zulässig, aber unbegründet. Nach Auffassung des Gerichts hat der Antragsgegner keine Vorschriften über das Vergabeverfahren gemäß § 97 Abs. 6 GWB verletzt, da er die Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vom Vergabeverfahren ausschließen durfte.

Mangelhafte Erfüllung einer wesentlichen Anforderung eines früheren öffentlichen Auftrags

Zunächst stellte das Gericht fest, dass die Antragstellerin durch die Nichtlieferung der EDV-Schränke im Rahmen des gekündigten Auftrags ihre Pflichten in dem früheren Auftrag mangelhaft erfüllt hat im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB. Insoweit genügt nämlich jede nicht vertragsgerechte Erfüllung.

Der Antragsgegner hatte die Antragstellerin vor der finalen Auftragskündigung im Einklang mit § 5 Abs.  3 VOB/B 2012 mehrfach aufgefordert, dass für die Auftragsausführung notwendige Material zu liefern. Nach § 5 Abs. 3 VOB/B 2012 hätte die Antragstellerin unverzüglich reagieren und Abhilfe schaffen müssen, was sie aber bis zur Auftragskündigung nicht getan hat.

Auf vermeintliche Lieferengpässe kann sich die Antragstellerin nicht berufen. Auch kann die Antragstellerin nicht mit dem Argument gehört werden, dass der Antragsgegner die EDV-Schränke hätte früher anfordern müssen. Nach § 6 Abs. 3 VOB/B 2012 hat nämlich der Auftragnehmer selbst alles zu tun, um die Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen. Darüber hinaus verpflichtet § 5 Abs. 1 VOB/B 2012 die Ausführung angemessen zu fördern und zu vollenden. Diese Pflichten hat die Antragstellerin nach Auffassung des Gerichts verletzt, indem sie sich während der Vertragslaufzeit nicht stets kurzfristig leistungsbereit hielt.

Erheblichkeit der mangelhaften Erfüllung

Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Celle (vgl. Beschluss v. 09.01.2017 – Az: 13 Verg 9/16), nach welcher eine mangelhafte Erfüllung dann erheblich ist, wenn sie den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belastet, bejahte das Gericht vorliegend die Erheblichkeit der mangelhaften Erfüllung:

Die Frage, ob eine deutliche Belastung nur in tatsächlicher oder nur in finanzieller Hinsicht, mithin nicht zwangsläufig beides zugleich vorliegen muss, um eine erhebliche mangelhafte Erfüllung bejahen zu können, musste das Gericht nicht entscheiden, da gravierende Auswirkungen in beiderlei Hinsicht vorlagen.

Die Nichtlieferung der EDV-Schränke trotz bestehender Abhilfepflicht nach § 5 Abs. 3 VOB/B 2012 führte zu einer über Monate sich erstreckenden Verzögerung der Bauabläufe. Auch nach erfolgter Lieferung der EDV-Schränke wären noch weitere monatelang durchzuführende Verkabelungsarbeiten erforderlich gewesen. Insgesamt liegt damit eine deutliche tatsächliche Belastung des Antragsgegners vor.

Auch führte die Nichtlieferung der EDV-Schränke zudem zu einer erheblichen wirtschaftlichen Folge beim Antragsgegner. Die von der Antragstellerin auszuführenden Arbeiten mussten neu ausgeschrieben werden, woraus final Mehrkosten in Millionenhöhe resultierten. Damit war der Antragsgegner auch finanziell deutlich belastet.

Wesentliche Anforderung

Auch handelt es sich bei der hier betroffenen Abhilfepflicht des Auftragnehmers nach § 5 Abs. 3 VOB/B 2012 um eine wesentliche Vertragspflicht, sodass hierdurch eine wesentliche Anforderung im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 7 berührt ist. Ausreichend ist insoweit, wenn eine wesentliche Nebenpflicht berührt ist.

Keine vergaberechtswidrige Ermessensausübung

Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen – wie vorliegend – vor, so eröffnet § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB auf der Rechtsfolgenseite für den öffentlichen Auftraggeber einen Ermessensspielraum. Eine vergaberechtswidrige Ermessensausübung liegt nur in Fällen vor, wenn die getroffene Entscheidung auf willkürlichen, sachwidrigen Erwägungen beruht oder das Ermessen auf Null reduziert war und der Auftraggeber dies verkannt hat. Bei seiner Ermessensausübung hat der öffentliche Auftraggeber zudem den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 97 Abs. 1 S. 2 GWB zu beachten.

Ob daneben – als weitere Voraussetzung – noch eine Prognoseentscheidung zu treffen ist, ob der jeweilige Bieter den Auftrag sorgfältig, ordnungsgemäß und gesetzestreu ausführen wird, ist umstritten.

Nach Auffassung des Gerichts hat der Antragsgegner vorliegend sein Ermessen vergaberechtmäßig ausgeübt. Da seitens der Antragstellerin keine Anhaltspunkte für eine Veränderung zum Besseren vorliegen, war auch von einer negativen Prognose auszugehen, sodass die obige Streitfrage nicht entschieden werden musste.

 

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 97 GWB -  Grundsätze der Vergabe

(1) 1 Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben. 2 Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt.

[…]

(6) Unternehmen haben Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden.

 

§ 124 GWB - Fakultative Ausschlussgründe

(1) Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn

[…]

  7.  das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat, […].