OLG Schleswig: Muss der Auftraggeber bei einer vergaberechtswidrigen Aufhebung des Verfahrens die Kosten einer Angebotserstellung ersetzen?

23.08.2018

Zugrundeliegender Sachverhalt:

Die beklagte Gemeinde schrieb Mitte 2013 im Rahmen einer sogenannten „Funktionalausschreibung für GU- Leistungen“ die „komplette Planung und Erstellung“ der Erweiterung eines Kindergartens aus. Vorgesehen war hierbei, dass der Erweiterungsbau eine Dachkonstruktion aus Holz mit einem Walmdach und Dachbegrünung aufweisen sollte. Auf der Grundlage einer „Kostenberechnung nach DIN 276“ wurden Kosten in Höhe von 510.000 € erwartet.

Als einziges Unternehmen beteiligte sich die Klägerin an der Ausschreibung und gab fristgerecht ein Angebot über 669.711,91 € netto ab, das im Nachgang auf 704.641,03 € netto korrigiert wurde. Daraufhin hob die beklagte Gemeinde die Ausschreibung gemäß § 17 (1) Ziff. 3 VOB/A auf, weil für eine Zuschlagserteilung nicht ausreichend Haushaltsmittel zur Verfügung stünden.

Im Nachgang forderte die beklagte Gemeinde acht Firmen zur Abgabe eines Angebots auf für die Planung und Erstellung der Kindergartenerweiterung, woraufhin zwei Angebote abgegeben wurden. Die Klägerin wurde hierbei nicht beteiligt. In folgenden Gesprächen seitens der beklagten Gemeinde mit einem der Bieter wurden Änderungen der Konstruktion und der Ausführung geplant, um die Baukosten zu senken. Insbesondere war anstelle des ursprünglich geplanten Pultdaches auf einem Holzrahmenbau die Ausführung eines Flachdaches vorgesehen. Dieser Bieter erhielt dann den Auftrag.

Gestützt auf die Behauptung, die Aufhebung der Ausschreibung sei nicht gerechtfertigt gewesen, da die beklagte Gemeinde diese lediglich dazu genutzt hätte, das erzielte Ausschreibungsergebnis unzulässigerweise zu korrigieren, forderte die Klägerin von der beklagten Gemeinde die Leistung eines Schadenersatzes wegen der Kosten für die Angebotsausarbeitung in Höhe von 9.112,50 € netto sowie der Zahlung eines entgangenen Gewinns in Höhe von 91.209,55 € netto. Nachdem die beklagte Gemeinde der Zahlungsaufforderung nicht nachkam, reichte die Klägerin die Klage ein.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der entgangene Gewinn stünde der Klägerin nicht zu. Wenn die eingeholten Angebote die Haushaltsmittel der Gemeinde übersteigen, so könne sich diese auch von der Ausschreibung lösen, ohne auf ein positives Interesse haften zu müssen. Etwas anderes könnte nur für den Fall gelten, wenn der Auftrag bei gleichen Vorhaben und Gegenstand „willkürlich“ an einen Dritten vergeben werde. Diese Voraussetzungen lägen im streitgegenständlichen Fall aber nicht vor.

Im Hinblick auf einen Betrag in Höhe von 9.112,50 € netto legte die Klägerin gegen das ergangene Urteil des Landgerichts Berufung ein.

Entscheidung des OLG Schleswig:

Das OLG Schleswig gab unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils der Klage in Höhe eines Betrages von 6.187,50 € statt.

Kein Anspruch auf Ersatz von entgangenem Gewinn

Zunächst verneinte das Gericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin auf Ersatz von entgangenem Gewinn (sog. positives Interesse). Selbst wenn zugunsten der Klägerin unterstellt werden würde, dass die beklagte Gemeinde den Auftrag zur Erweiterung der Kindergartenstädte unter Verletzung von Vergabevorschriften vergeben hat, wäre ein Anspruch auf Ersatz von entgangenem Gewinn nur dann begründet, wenn die Klägerin den Auftrag bei rechtmäßiger Durchführung des Vergabeverfahrens hätte erhalten müssen und der ausgeschriebene oder ein diesem wirtschaftlich gleichgesetzter Auftrag vergeben worden ist. Nur in diesem Fall nämlich ließe sich der geltend gemachte Schaden überhaupt kausal auf den (unterstellten) Vergabefehler zurückführen. Diese Voraussetzungen sah das Gericht im Ergebnis aber als nicht erfüllt an.

Fehlen eines neuen Angebots

Unabhängig der Feststellung, ob der vergebene Auftrag mit dem ursprünglich ausgeschriebenen Auftrag überhaupt wirtschaftlich gleichzusetzen war, sah das Gericht es bereits als nicht nachgewiesen an, dass der Klägerin der Zuschlag hätte erteilt werden müssen. Insoweit fehlte es nämlich schon an einem das „neue“ Vorhaben betreffenden Angebot der Klägerin.

Altes Angebot nicht unbedingt auch das wirtschaftlichste

Auch wenn insoweit zugunsten der Klägerin ihr ursprüngliches Angebot zu Grunde gelegt werden müsste – was aber nach Auffassung des Gerichts zweifelhaft erscheint –, könnte keine andere Bewertung erfolgen. Denn auch in diesem Fall wäre für einen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses zu fordern, dass der Klägerin der Auftrag auf dieser Grundlage hätte erteilt werden müssen. Dies konnte aber schon im Hinblick auf die Angebote der anderen Unternehmen nicht beurteilt werden. Insoweit war für das Gericht nämlich nicht feststellbar, dass die Klägerin im Vergleich zu den anderen Bietern auch das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat.

Keine Pflicht zur Fortsetzung eines Vergabeverfahrens

Da ein öffentliche Auftraggeber auch nicht verpflichtet ist, ein einmal begonnenes Vergabeverfahren tatsächlich durch einen Zuschlag zu beenden, war die beklagte Gemeinde auch nicht verpflichtet, das ursprüngliche Vergabeverfahren allein auf der Grundlage des Angebots der Klägerin zu Ende führen. Selbst wenn die erfolgte Aufhebung der Ausschreibung rechtswidrig war, ergäbe sich hieraus kein Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens und Zuschlagserteilung.

Keine Scheinaufhebung

Auch aus dem Gedanken einer Scheinaufhebung lässt sich kein anderes Ergebnis ableiten. Ein Fall einer Scheinaufhebung läge vor, wenn nur der Schein einer Aufhebung gesetzt worden ist, um zur Vermeidung einer Zuschlagserteilung eine Auftragserteilung an einen dem Auftraggeber „genehmeren“ Bieter zu ermöglichen. Da aber nach Auffassung des Gerichts die beklagte Gemeinde im Zeitpunkt ihrer Aufhebungsentscheidung noch keine Auftragserteilung an ein anderes Unternehmen im Sinne hatte, liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Auch ging es der beklagten Gemeinde im Ergebnis lediglich darum, kostensparende Änderungen am Vergabeobjekt zu erreichen, was sich so nur in einem neuen Vergabeverfahren umsetzen ließ.

Kosten der Angebotserstellung fallen grundsätzlich ins Akquisitionsrisiko des Bieters

Sodann setzte sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob ein Schadensersatzanspruch unter dem Aspekt eines Vertrauensschadens (sog. negatives Interesse) in Betracht kommen kann. Ein entsprechender Anspruch umfasst insbesondere die Kosten im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Teilnahme am Vergabewettbewerb, mithin also die Kosten der Angebotserstellung. Als Ausgangspunkt seiner Bewertung stellt das Gericht zunächst fest, dass die Kosten der Angebotserstellung grundsätzlich das Akquisitionsrisiko eines Bieters betreffen und daher auch von diesem allein zu tragen sind.

Schadenersatz bei fehlerhafter Kostenschätzung

Etwas anderes ist aber in Fällen anzunehmen, wenn die Auftragsvergabe insgesamt unzureichend vorbereitet worden ist oder wenn die Vertragsunterlagen (vorwerfbar) mangelhaft erstellt worden sind. Gleiches gilt auch für den – hier vorliegenden – Fall, dass für das ausgeschriebene Objekt aufgrund einer fehlerhaften Kostenschätzung nicht genügend Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Werden die Kosten der ausgeschriebenen Leistung von vornherein zu niedrig geschätzt und veranschlagt, so kann der öffentliche Auftraggeber zwar die Ausschreibung aufheben, muss aber in diesem Fall den betroffenen Bietern wegen der Verletzung von Rücksichtnahmepflichten nach § 311 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 241 Abs. 2, 280 BGB den hieraus entstandenen Vertrauensschaden ersetzen. Denn ein Bieter bzw. Bewerber hat ein von § 241 Abs. 2 BGB geschütztes Interesse daran, dass der öffentliche Auftraggeber das Verfahren so anlegt und durchführt, dass er seine Aufwendungen dem Wettbewerbszweck entsprechend tatsächlich verwenden kann.

Fehlen einer „schwerwiegenden“ Budgetüberschreitung i.S.d. § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A

Auf der Grundlage des zur Kostenberechnung eingeholten Gutachtens, das bei der Kostenabrechnng erhebliche Unsicherheiten der Kostenberechnung der beklagten Gemeinde erhebliche Unsicherheiten attestierte, verneinte das Gericht im Ergebnis das Vorliegen einer hinreichend tragfähige Grundlage für die Annahme einer – die Aufhebung der Ausschreibung rechtfertigenden – „schwerwiegenden“ Budgetüberschreitung im Sinne des § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A. Die Aufhebung der Ausschreibung war nach Auffassung des Gerichts rechtswidrig, weshalb die beklagte Gemeinde der Klägerin auch den Vertrauensschaden zu ersetzen hat.

Eigene Lohnkosten des Bieters begründen grundsätzlich keinen Schaden

Der Höhe nach bestimmt sich der Ersatzanspruch nach der sogenannten Differenzmethode aus einem Vergleich der Vermögenslage nach der erfolgten rechtswidrigen Aufhebung mit derjenigen, die sich ohne dieses schädigende Ereignis eingestellt hätte. Da die Klägerin in beiden Fällen ihre Mitarbeiter hätte voll bezahlen müssen, lässt sich ein wirtschaftlicher Schaden in Form von Lohnkosten nur dann begründen, wenn die Klägerin ihre Mitarbeiter in der gleichen Zeit alternativ für einen anderen Zweck hätte gewinnbringend einsetzen können, sodass ihr infolge des schädigenden Ereignisses – konkret durch die rechtswidrige Aufhebung der Ausschreibung – Gewinne entgangen sind. Insoweit fehlten aber bereits entsprechende Darlegungen seitens der Klägerin.

Wertende Korrektur bei „funktionaler“ Ausschreibung erforderlich

Da im Falle einer – hier vorliegenden – „funktionalen“ Ausschreibung ein beachtlicher Teil dessen, was bei einer „klassischen“ Ausschreibung mit Leistungsverzeichnis und Mengen-/Massenangaben vorgegeben wird, auf den Bieter übertragen wird, kann der Auftraggeber auch nicht erwarten, dass der Bieter die ihm zugewiesenen (zusätzlichen) Aufgaben entschädigungslos erbringen wird. Dies zeigt auch § 8 b Abs. 2 Nr. 1 S. 2 VOB/A. Vor diesem Hintergrund erachtet das Gericht es als möglich und erforderlich, die Differenzmethode einer wertenden Korrektur dahingehend zu unterziehen, dass bei einer „funktionalen“ Ausschreibung die Lohnkosten für die vergebliche Arbeitszeit der mit der Angebotserstellung betrauten Mitarbeiter ersetzbar sind. Die Kosten ermittelte das Gericht dann im Wege einer Schätzung nach § 287 ZPO.