Vergabekammer Thüringen: Zulässigkeit einer Ausschreibung durch Vorgabe eines sog. "Orientierungsfabrikats"

02.10.2017

Zugrundeliegender Sachverhalt

Der Auftraggeber hat das Vorhaben „Energetische Sanierung der Straßenbeleuchtung der Stadt …“ nach den Vergabebestimmungen der VOB/A öffentlich ausgeschrieben. Leistungsziel war die Erneuerung von 1.240 Leuchten, inklusive aller Nebenarbeiten sowie Demontage und Entsorgung der Altleuchten.

Der Ausschreibung wurde ein im Rahmen eines Markterkundungsverfahrens ausgewähltes Fabrikat bzw. Leuchtentyp als sog. „Orientierungsfabrikat“ zu Grunde gelegt. Die Parameter und Eigenschaften dieser Leuchten wurden – sehr detailliert – in den jeweiligen LV-Positionen als „Mindestanforderung“ aufgeführt, die vom Bieter zwingend einzuhalten waren.

An einer späteren Stelle in den Vergabeunterlagen wurden – nach Ansicht der Vergabekammer weitgehend neutrale – Vorgaben für ein abweichendes Fabrikat der Leuchten gemacht, wobei diese gleichfalls als „Mindestanforderungen“ bezeichnet wurden. Eine Alternative zu dem angegebenen Orientierungsfabrikat war nur zugelassen, wenn in Bezug auf Technik und Design eine Gleichwertigkeit bestehe, die mit der Abgabe des Angebots durch Beifügung von Berechnungsnachweisen, Bildmaterial und Datenblätter nachzuweisen war.

Darauf folgend wurde in den Vergabeunterlagen auf „die o.g. Mindestanforderungen“ verwiesen und bestimmt, dass wenn diese nicht oder nur teilweise erfüllt wurden, dass Bieterangebot ausgeschlossen wird.

Der Auftraggeber schloss die Angebote der Beschwerdeführerinnen mit der Begründung aus, dass sie unzulässige Änderungen an den Vergabeunterlagen enthielten. Die Beschwerdeführerinnen beanstandeten daraufhin das Vergabeverfahren.

Nationale Ausschreibung

Eingangs der Entscheidung stellte die Vergabekammer zunächst fest, dass das streitgegenständliche Vergabeverfahren national ausgeschrieben wurde, sodass es nicht der einschlägigen europarechtlichen Regelungen, u. a. der VgV unterliege. Im Folgenden setzte sich die Vergabekammer dann mit den Voraussetzungen des § 7 VOB/A 2016 näher auseinander.

Pflicht zur fabrikatsneutralen Ausschreibung

Nach § 7 Abs. 2 VOB/A 2016 ist die Benennung eines Leitfabrikats in einer Ausschreibung ein Ausnahmefall, der nur in den engen Grenzen dieser Regelung möglich ist, namentlich bei einer Rechtfertigung durch den Auftragsgegenstand (Nr. 1) sowie im Falle einer Nichtbeschreibbarkeit des Auftragsgegenstandes (Nr. 2). Einen entsprechenden Ausnahmefall vermochte die Vergabekammer im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Der Auftraggeber hätte demnach nur fabrikatsneutral ausschreiben dürfen.

Anerkenntnis der Leistungsbeschreibung

Da sich aber im Vorfeld kein Bieter gegen die unzulässige Festlegung eines Orientierungsfabrikats durch den Auftraggeber gewandt hat, ging die Vergabekammer im Ergebnis von einem Anerkenntnis der fehlerhaften Leistungsbeschreibung durch die Bieter im Zeitpunkt der Angebotsabgabe aus.

Pflicht zu widerspruchsfreien Leistungsbeschreibung

Die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Nr.1 VOB/A 2016 verpflichtet einen öffentlichen Auftraggeber im Vergabeverfahren die Leistung in den Vergabeunterlagen so eindeutig und erschöpfend zu beschreiben, dass alle Unternehmen die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Um eine ordnungsgemäße Bewertung der eingegangenen Angebote unter Berücksichtigung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung zu gewährleisten, muss die Leistungsbeschreibung damit widerspruchsfrei sein. Diese Voraussetzung sah die Vergabekammer als nicht erfüllt an.

„Mindestanforderungen“ an das Alternativprodukt unklar

Da in der Leistungsbeschreibung sowohl die Parameter und Eigenschaften des Orientierungsfabrikats, als auch die – davon abweichenden – Eigenschaften des Alternativprodukts jeweils als „Mindestanforderungen“ bezeichnet wurden, lag nach Einschätzung der Vergabekammer ein Widerspruch in den Vergabeunterlagen vor. Es blieb damit nämlich im Ergebnis offen, welche Anforderungen durch ein abweichendes Fabrikat tatsächlich einzuhalten waren.

Faktischer Ausschluss eines Alternativprodukts

Auch hätte nach Auffassung der Vergabekammer der Auftraggeber, um den Bietern die Abgabe eines „gleichwertigen“ Angebots gegenüber dem ausgeschriebenen Orientierungsfabrikat zu ermöglichen, die Parameter, die bei einem abweichenden Fabrikat zwingend einzuhalten waren, konkret angegeben müssen. Wurden aber – wie vorliegend – die Parameter und Eigenschaften des Orientierungsfabrikats 1:1 – mithin zu 100% – in die Leistungsbeschreibung übernommen, so war das Anbieten eines Alternativprodukts von vornherein faktisch gar nicht möglich gewesen: Die Abweichung in nur einem Parameter wäre nämlich als eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen zu werten gewesen mit der Folge, dass das Angebot auszuschließen wäre. Es entspricht nach Auffassung der Vergabekammer nämlich der allgemeinen Praxis der Hersteller, ihre Produkte mit Alleinstellungsmerkmalen auszustatten, um eine Abgrenzung zu den Produkten anderer Hersteller zu erreichen.

Im Ergebnis beanstandete die Vergabekammer das Vergabeverfahren auf Grund eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2016 als rechtswidrig und setzte dieses in den Stand vor Aufforderung zur Abgabe eines Angebots zurück.