Vergabekammer Bund: Stellt die höfliche Anfrage eines Bieters eine Rüge nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB dar?

28.08.2017

Zugrundeliegender Sachverhalt

Ein Auftraggeber (der spätere Antragsgegner) führte ein europaweites, offenes Verfahren zur Vergabe eines Rahmenvertrages über IT-Infrastrukturkomponenten durch, wobei er auf eine Aufteilung in Fachlose verzichtete. Auf die Frist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB wurde in der Bekanntmachung hingewiesen.

Zur Begründung der Gesamtvergabe führte der Auftraggeber aus, dass aufgrund organisatorischer Vorgaben und technischer Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Geräten die Leistung als Gesamtleistung an einen Auftragnehmer vergeben werden müsse.

Ein Bieter (der spätere Antragsteller) wandte sich an den Auftraggeber schriftlich mit folgender Frage:

„Abweichend vom Grundsatz der Aufteilung in Lose, gem. § 97 Abs. 4 GWB, beabsichtigen Sie, den Vertrag an nur einen Auftragnehmer zu vergeben (…). Der [Anmerkung: in der Leistungsbeschreibung] angeführten Argumentation können wir leider nicht folgen (…).

(…)

Würden Sie aufgrund dieser Rahmenbedingungen die Vergabe bitte dahingehend anpassen, dass zumindest der Speicheranteil (…) isoliert bewertet und vergeben werden kann und somit auch wieder dem § 97 Abs. 4 GWB entsprochen wird?“

 

Der Auftraggeber lehnte dies ab, woraufhin der Bieter ausdrücklich die Gesamtvergabe rügte. Diese Rüge wies der Auftraggeber dann schriftlich zurück. Diesem Schreiben wurde eine „Rechtsmittelbelehrung“ beigefügt, wonach gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB ein Nachprüfungsantrag innerhalb von 15 Kalendertagen nach einer Nichtabhilfemitteilung gestellt werden müsse.

Der Bieter gab in der Folge kein Angebot ab und beantragte nach Ende der Angebotsfrist bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

Nachprüfungsantrag war zulässig

Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag für zulässig. Insbesondere war der Antragsteller antragsbefugt und hat den geltend gemachten Vergaberechtsverstoß unter Einhaltung der Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB rechtzeitig gerügt.

Bieteranfrage als Rüge i. S. d. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB

Nach Auffassung der Vergabekammer war bereits die gestellte Bieteranfrage als eine Rüge nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB zu verstehen. Denn mit seiner Anfrage machte der Antragsteller bereits inhaltlich konkrete vergaberechtliche Beanstandungen geltend und gab dem Auftraggeber so die Möglichkeit, die beanstandeten Fehler nach Überprüfung zu erkennen und zu berichtigen.

Eine Rüge kann auch höflich erfolgen

Der Umstand, dass das Schreiben höflich formuliert wurde und am Ende mit einem Fragezeichen endete, vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Nach Auffassung der Vergabekammer war das Schreiben inhaltlich als eine überzeugende Mitteilung zu verstehen, dass der Antragsteller die derzeitige Vorgehensweise der Antragsgegnerin insgesamt für vergabefehlerhaft hielt, insbesondere durch das Zitat der einschlägigen Rechtsvorschrift.

Objektive Einschätzung der Vergabekammer maßgeblich

Unerheblich soll nach Auffassung der Vergabekammer sein, dass die Antragsgegnerin selbst das Schreiben der Antragstellerin nur als eine Bieterfrage verstanden hat. Ob nämlich die Zulassungsvoraussetzungen eines Nachprüfungsverfahrens erfüllt sind, richtet sich allein nach der objektiven Einschätzung der Vergabenachprüfungsinstanzen und steht grundsätzlich nicht zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten. Die folgende Antwort der Antragsgegnerin war daher nach Auffassung der Vergabekammer eine Nichtabhilfemitteilung i. S. d. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB.

Vertrauenstatbestand durch Rechtsbehelfsbelehrung gesetzt

Der Nachprüfungsantrag ging bei der Vergabekammer zwar später als 15 Kalendertage nach erfolgter Antwort des Antragsgegners auf die Bieterfrage ein. Da aber der Antragsgegner auf die zeitlich folgende Rüge der Gesamtvergabe mit einer Nichtabhilfemitteilung samt Rechtsbehelfsbelehrung reagierte, hat er einen Vertrauenstatbestand gesetzt: Der Antragsteller durfte insgesamt aufgrund der erfolgten Rechtsbehelfsbelehrung davon ausgehen, dass die 15-Kalendertage-Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB erst mit dieser Mitteilung zu laufen begonnen hat. Der dann innerhalb dieser Frist eingereichte Antrag war daher als zulässig zu werten.

Da aber die Vergabekammer die erfolgte Gesamtvergabe für ausreichend gerechtfertigt ansah, wurde der Nachprüfungsantrag – trotz seiner Zulässigkeit – im Ergebnis zurückgewiesen.

Praxistipp:

Während bislang das Vorliegen einer Rüge nur in Fällen angenommen wurde, in denen hinreichend klar zum Ausdruck kam, dass der Bieter dem Auftraggeber quasi die letzte Chance zur Korrektur des Vergabeverstoßes geben will, müssen Bieter nunmehr befürchten, dass schon kritische Fragen als Rügen im Sinne des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB bewertet werden könnten. Dadurch nimmt die Gefahr einer Präklusion eines späteren Nachprüfungsantrags deutlich zu, was im Ergebnis den Rechtsschutz erheblich erschwert. Um diese Gefahr zu begrenzen sollten Bieter – mehr als bisher – Ihre Fragen auf Sachthemen beschränken. Hinweise auf denkbare Vergabefehler, insbesondere das Zitieren von Verfahrensvorschriften, sollte tunlichst unterbleiben.