EuGH: Die Verlängerung der Gültigkeitsdauer einer bestehenden staatlichen Beihilfe ist als neue Beihilfe anzusehen

28.12.2016

Sachverhalt

Im Jahr 1960 schloss DEI, ein öffentlicher Stromversorger, mit Alouminion, einem auf die Herstellung von Aluminium spezialisierten griechischen Unternehmen, einen Vertrag, aufgrund dessen Alouminion ein Vorzugstarif für die Lieferung von Elektrizität gewährt wurde. Der Vertrag sollte am 31. März 2006 enden, sofern er nicht gemäß seinen Bestimmungen verlängert wurde. Mit Beschluss vom 23. Januar 1992 vertrat die Kommission die Ansicht, dass der Alouminion mit diesem Vertrag gewährte Vorzugstarif eine mit dem Binnenmarkt vereinbare staatliche Beihilferegelung darstelle.

DEI kündigte den Vertrag zum 1. April 2006. Alouminion focht diese Kündigung vor den griechischen Gerichten an. Mit einer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Anordnung vom 5. Januar 2007 setzte das Monomeles Protodikeio Athinon (mit einem Richter besetztes erstinstanzliches Gericht Athen, Griechenland) die Wirkungen dieser Kündigung vorläufig aus. DEI legte dagegen ein Rechtsmittel beim Polymeles Protodikeio Athinon (Kollegialgericht erster Instanz Athen) ein, das durch Beschluss vom 6. März 2008 mit Wirkung von diesem Datum den Vertrag von 1960 auflöste.

Mit Beschluss vom 13. Juli 2011 vertrat die Kommission die Ansicht, dass Griechenland Alouminion rechtswidrig eine staatliche Beihilfe in Höhe von 17,4 Mio. Euro gewährt habe, da Alouminion nach der ersten einstweiligen Anordnung des griechischen Gerichts im Zeitraum vom 5. Januar 2007 bis zum 6. März 2008 weiterhin in den Genuss des Vorzugstarifs gekommen sei. Diese Beihilfe sei als neue Beihilfe anzusehen und sei mit dem Binnenmarkt unvereinbar, da sie gewährt worden sei, ohne vorher bei ihr angemeldet worden zu sein. Die Kommission verpflichtete Griechenland daher, die Beihilfe von Alouminion zurückzufordern.

Alouminion erhob Klage beim Gericht der Europäischen Union, das mit Urteil vom 8. Oktober 2014 den Beschluss der Kommission für nichtig erklärte, weil seiner Auffassung nach diese Beihilfe als bestehende Beihilfe einzustufen war. DEI, unterstützt durch die Kommission, hat beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt und sich auf vom Gericht begangene Rechtsfehler berufen.

Zentrale Fragestellung

In der vorliegenden Rechtssache stellte sich die Frage, ob die erste vom griechischen Gericht erlassene einstweilige Anordnung als Umgestaltung einer bestehenden Beihilfe (und damit als neue Beihilfe) oder als bestehende Beihilfe anzusehen ist. Nur im ersten Fall hätte sie vor ihrer Durchführung bei der Kommission angemeldet werden müssen.

Entscheidung

In seinem Urteil hebt der Gerichtshof das Urteil des EuG auf und verweist die Sache zur erneuten Prüfung an das Gericht zurück.

Erstens erklärt der Gerichtshof, dass das Gericht die Rechtsprechung des Gerichtshofs falsch ausgelegt und dadurch einen Rechtsfehler begangen hat, dass es entschieden hat, dass die erste vom griechischen Gericht erlassene einstweilige Anordnung nicht als Einführung oder Umgestaltung einer bestehenden Beihilfe angesehen werden könne. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass die Gültigkeitsdauer einer bestehenden Beihilfe einen Gesichtspunkt darstellt, der die Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Binnenmarkt durch die Kommission beeinflussen kann.

Der Gerichtshof schließt daraus, dass die Verlängerung der Gültigkeitsdauer einer bestehenden Beihilfe als Umgestaltung einer bestehenden Beihilfe anzusehen ist und daher eine neue Beihilfe darstellt.

Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die erste vom griechischen Gericht erlassene einstweilige Anordnung (die die im Vertrag von 1960 vereinbarten zeitlichen Grenzen der Anwendung des Vorzugstarifs und damit die von der Kommission genehmigte Beihilferegelung ändert) eine Umgestaltung einer bestehenden Beihilfe und damit eine neue Beihilfe darstellt.

Zweitens weist der Gerichtshof darauf hin, dass die nationalen Gerichte über die Einhaltung des Unionsrechts im Bereich staatlicher Beihilfen wachen und einer Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit mit den Unionsorganen unterliegen.

Er schließt daraus, dass das Gericht dadurch einen Rechtsfehler begangen hat, dass es davon ausgegangen ist, die nationalen Gerichte könnten sich mit der Begründung, dass sie (wie im vorliegenden Fall) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, den Verpflichtungen entziehen, die ihnen im Rahmen der Kontrolle staatlicher Beihilfen obliegen.

Ein mit einem Rechtsstreit über einen Vertrag befasstes nationales Gericht ist nämlich verpflichtet, der Kommission alle Maßnahmen (u. a. die von diesem Gericht erlassenen) anzuzeigen, die die Auslegung und die Durchführung dieses Vertrags betreffen und die sich auf das Funktionieren des Binnenmarkts, auf den Wettbewerb oder auch nur auf die tatsächliche Geltungsdauer bestehender Beihilfen für einen bestimmten Zeitraum auswirken können.