OLG Celle: Kein Ausschluss eines sog. Projektanten wegen (nur) befürchteter Wettbewerbsverzerrung

22.09.2016

Zugrundeliegender Sachverhalt

Im bezeichneten Verfahren vor dem OLG Celle stritten die Parteien über die Vergabe eines Auftrags von Abbruch und Rohbauarbeiten. Die Antragsgegnerin ließ als Auftraggeberin die Planung der Vergabe durch ein Architektenbüro durchführen. Da ihr die hierbei abgegebene Kostenschätzung mit 2,1 Millionen Euro zu gering erschien, ließ sie diese Einschätzung noch durch eine Projektdienstleistung-GmbH überprüfen, deren Geschäftsführer A. und B. sind. Der mit der Bearbeitung des Auftrags befasste Geschäftsführer A. kam nach Sichtung und Überprüfung der überreichten Unterlagen gleichfalls zum Ergebnis, dass die erfolgte Kostenschätzung zu gering war. Nach Einholung dieser Auskunft schrieb die Antragsgegnerin die Arbeiten im offenen Verfahren europaweit aus. Einziges Zuschlagskriterium war hierbei der niedrigste Preis. An dieser Ausschreibung beteiligte sich auch die Antragstellerin, deren Gesellschafter und Geschäftsführer ebenfalls A. und B. sind, und die ihren Gesellschaftssitz unter derselben Anschrift wie die Projektdienstleistung-GmbH hat. Im Submissionstermin war das Angebot der Antragstellerin das preislich günstigste Angebot, das Angebot der Beigeladenen das Zweitgünstigste. Aufgrund der im Vorfeld erfolgten Einbeziehung der Projektdienstleistung-GmbH in das Projekt und der bestehenden Geschäftsführeridentität bei der Antragstellerin und der Projektdienstleistung-GmbH befürchtete die Antragsgegnerin eine aufgrund eines Wissensvorsprungs vor den anderen Bietern bestehende Wettbewerbsverzerrung und schloss das Angebot der Antragstellerin von der Wertung aus. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Antragstellerin mit ihren Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer, die in der Folge die Antragsgegnerin im Beschlusswege dazu verpflichtete, die Bewertung der Angebote unter Berücksichtigung des Angebots der Antragstellerin zu wiederholen. Gegen diese Entscheidung wandten sich die Beigeladene und die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde an das OLG Celle.

Das Vergabeverfahren beginnt mit der Ausschreibung (sog. formelles Verständnis)

Im Rahmen seiner Entscheidungsgründe befasste sich das Gericht zunächst dezidiert mit der in der Rechtsprechung und Literatur umstritten Auslegung des Begriffs „Vergabeverfahren“ im § 16 Abs. 1 VgV a.F., wobei sich das Gericht unter Darlegung des Meinungsstandes der formellen Sichtweise anschloss, die auf den Zeitpunkt der Ausschreibung abstellt. Davon ausgehend verneinte das Gericht bereits den Anwendungsbereich der Vorschrift, da erfolgte Mitwirkungshandlungen vor der Ausschreibung nicht als während des Vergabeverfahrens i. S. d. § 16 Abs. 1 VgV a.F. vorgenommen gewertete werden können. Eine andere Betrachtungsweise würde nach Auffassung des Gerichts bereits die Grenzen des Wortlauts der Vorschrift überschreiten.

Vorbefassung

Sodann überprüfte das Gericht die Voraussetzungen des § 6 EG Abs. 7 VOB/A a.F.. Nach dieser Regelung hat der Auftraggeber, wenn er sich vor Einleitung des Vergabeverfahrens von einem Bieter hat beraten oder sonst wie unterstützen lassen, sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme dieses Bieters nicht verfälscht wird. Durch die Teilnahme eines Unternehmens am Vergabeverfahren, das den Auftraggeber bereits im Vorfeld beraten oder unterstützt hat, droht aufgrund eines eingetretenen Informationsvorsprungs durch die Vorbefassung prinzipiell eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung. Eine entsprechende Situation kann bei rechtlichen, wirtschaftlichen oder – wie vorliegend – bei personellen Verflechtungen zwischen den Projekttanten und dem Bieter anzunehmen sein.

Kein automatischer Ausschluss eines sog. Projektanten vom Vergabeverfahren

Allerdings kann die Teilnahme vorbefasster Unternehmen am Vergabeverfahren nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht per se als generell unzulässig bewertet werden. Ein solcher genereller Ausschluss wäre unverhältnismäßig und gemeinschaftswidrig (so schon EuGH, Urteil vom 03.03.2005 – C-21/03 u. C-34/03, Tz. 34ff.; Urteil vom 19.05.2005 – C-538/07, VergabeR 2009, 756ff., Tz. 28ff.). Vielmehr muss unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls stets geprüft werden, ob sich aus der Vorbefassung tatsächlich ein Wettbewerbsvorteil ergibt bzw. ob dieser durch geeignete Maßnahmen ausgeglichen werden kann.

Kein Wettbewerbsvorteil im konkreten Fall

In der letzten Konsequenz lehnte das Gericht das Vorliegen eines Wettbewerbsvorteils seitens der Antragstellerin und damit eine Verfälschung i. S. d. § 6 EG Abs. 7 VOB/A a.F. ab. Das Gericht sah es bereits nicht als erwiesen an, dass die Antragstellerin einen Wissensvorsprung erlangt hatte. Nach den Ausführungen des Gerichts war nicht feststellbar, dass die Projektdienstleistung-GmbH neben dem bepreisten Leistungsverzeichnis überhaupt wesentliche Informationen erhalten hat, die den übrigen Bietern nicht mitgeteilt worden waren. Auch die nur geringfügige Abweichung des Preisangebots der Antragstellerin zu den Angeboten der Beigeladenen und der sonstigen Bietern – die Differenz lag hierbei nur bei 1,6 % – sprach nach Auffassung des Gerichts gegen die Überlassung von wettbewerbsbeeinflussenden Informationen. Insgesamt folgte das Gericht vollumfänglich der Auffassung der Vergabekammer und wies die sofortige Beschwerde zurück.

Praxishinweis

Nach aktueller Rechtslage findet sich die sog. „Projektantenproblematik“ im neuen § 7 VgV 2016 geregelt. Auch wenn die vorliegende Entscheidung des OLG Celle noch die alte Rechtslage der VgV und VOB/A betrifft, so liegt auch nach aktueller Rechtslage weiterhin die Pflicht, einer Wettbewerbsverzerrung durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken, beim jeweiligen Auftraggeber. Damit kommt der bisherigen Rechtsprechung und der oben besprochenen Entscheidung auch zukünftig Bedeutung zu.