BGH: § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B ist wirksam und verstößt nicht gegen die Insolvenzordnung

11.08.2016

Sachverhalt

Die Auftraggeberin (im Folgenden: AG) beauftragte die B. GmbH im Jahre 2011 unter Einbeziehung der VOB/B (2009) mit der Errichtung eines Geschäftshauses. Zur Sicherung der Erfüllungsansprüche der AG gegen die B. GmbH verbürgte sich die Bürgin bis zur Höhe eines Betrages von 166.000,00 €. Im April 2012 beantragte die B. GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, woraufhin die AG den Vertrag mit der B. GmbH unter Bezugnahme auf die vertraglichen Vereinbarungen und auf § 8 VOB/B (2009) aus wichtigem Grund kündigte. Die B. GmbH stellte daraufhin die Arbeiten ein. Die Klägerin beauftragte Drittunternehmer mit der Fertigstellung des Gebäudes. Über das Vermögen der B. GmbH wurde im Juni 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die AG nimmt die Bürginaus der Bürgschaft, wegen der Fertigstellungsmehrkosten, in Anspruch. Das erstinstanzliche Gericht (LG Wiesbaden, 07.02.2014 - 1 O 139/13) hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet. Auf die Berufung der Bürgin hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen (OLG Frankfurt, 16.03.2015 - 1 U 38/14). Hiergegen wendet sich die AG mit ihrer Revision, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.

Entscheidung

§ 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) ist nicht gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen §§ 103, 119 InsO unwirksam, entschied nun der BGH. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Unwirksamkeit des § 8 Abs. 2 VOB/B (2009) sind – so der BGH - rechtsfehlerhaft. Gemäß § 103 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter bei gegenseitigen Verträgen, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner und vom anderen Teil noch nicht vollständig erfüllt sind, ein Wahlrecht, ob er die Erfüllung der wechselseitigen Vertragspflichten verlangt oder ablehnt. § 119 InsO schützt dieses Wahlrecht, indem danach Vereinbarungen unwirksam sind, durch die die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt wird. Von dem Verbot des § 119 InsO können auch Klauseln erfasst sein, die dem Gläubiger das Recht einräumen, sich vom Vertrag zu lösen (insolvenzabhängige Lösungsklauseln), da derartige Klauseln das Wahlrecht des Insolvenzverwalters zumindest mittelbar beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2012 - IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 Rn. 13).§ 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009) enthält eine insolvenzabhängige Lösungsklausel. Danach kann der Auftraggeber den Bauvertrag kündigen, wenn der Auftragnehmer die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt hat. An eine solche Kündigung knüpft § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) besondere, in § 649 BGB nicht vorgesehene Rechtsfolgen. Der AN erhält nur die Vergütung für bereits ausgeführte Leistungen (anders als bei der freien Kündigung des AG). Zudem steht dem AG hinsichtlich der nicht erbrachten Leistungen ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu. Diese führe nach weitverbreiteter Meinung in der Literatur und Rechtsprechung, dass § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) unwirksam sei, da das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO ausgeschlossen werden würde und hierdurch ein Verstoßes gegen § 119 InsO vorläge. Das Kündigungsrecht aus § 8 Abs. 2 VOB/B (2009) und die damit verbundenen Rechtsfolgen würden durch die Untergrabung des Wahlrecht des Insolvenzverwalters jede Unternehmensfortführung im Kern ersticken und Sanierungschancen für insolvente Bauunternehmen zunichtemachen. Das sieht der BGH anders und hat sich der Gegenmeinung angeschlossen (bspw. OLG Koblenz, NZI 2014, 807, 808 f.; OLG Celle, NZBau 2014, 696, 699 f.; OLG Schleswig, NJW 2012, 1967, 1968; OLG Bamberg, Urteil vom 12. April 2010 - 4 U 48/09; OLG Brandenburg, Urteil vom 16. Dezember 2009 - 4 U 44/09; OLG Düsseldorf, BauR 2006, 1908, 1912 f.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 26. Juli 2002 - 14 U 207/00; LG Lübeck, BeckRS 2012, 09917). Eine Beeinträchtigung des Wahlrechts sei mit einer vertraglichen Lösungsklausel dann nicht verbunden, wenn diese sich eng an eine gesetzliche Lösungsmöglichkeit anlehnt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - IX ZR 194/05, BGHZ 170, 206 Rn. 11; Urteil vom 15. November 2012 - IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 Rn. 13). Das ist bei § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) der Fall. Diese Regelungen entsprechen in aus Rechtssicherheit gebotener typisierender Weise gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten.Begründet wird die Entscheidung mit dem Hauptargument, dass der Bauvertrag nach § 649 BGB ohnehin kündbar sei und darüber hinaus die Kündigungsmöglichkeit der besonderen Interessenlage der am Bau Beteiligten entspreche. Die vom AG gestellten Regelungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B 2009 seien - so der BGH - auch nicht gem. § 307 Abs. 1, 2 BGB unwirksam. Das gesetzliche Leitbild des § 649 BGB werde nicht tangiert, da § 8 VOB/B ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund regle. Dem AG sei es häufig auch in persönlicher Hinsicht nicht zuzumuten, den Vertrag gegen seinen Willen mit dem Auftragnehmer, der einen Eigeninsolvenzantrag gestellt hat, oder mit dem Insolvenzverwalter fortzusetzen. Bei einem Bauvertrag sind die persönlichen Eigenschaften des Auftragnehmers (Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit) für den Auftraggeber von wesentlicher Bedeutung. Der Abschluss eines Bauvertrags erfolgt deshalb regelmäßig unter Inanspruchnahme besonderen Vertrauens.Dieses Vertrauen zerstöre der Schuldner, der einen Eigeninsolvenzantrag stellt. Aus diesem Grund würde auch die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs durch den AG wegen schuldhafter Verletzung einer Nebenpflicht nach §§ 280, 282 BGB in Betracht kommen.

Praxishinweis

Lange Zeit war in der Instanzrechtsprechung und im juristischen Schrifttum die Frage umstritten, ob § 8 Abs. 2 Nr. 1 mit der InsO vereinbar ist. Nach der wohl überwiegenden Instanzrechtsprechung war dies der Fall, während die wohl überwiegende Auffassung im Schrifttum von einer Unwirksamkeit der Regelung der VOB/B ausging. Diesen letztlich schon seit Jahrzehnten (auch zur Konkursordnung) geführten Meinungsstreit hat der BGH nunmehr erledigt.