VK Lüneburg: Verspätete oder unterlassene Kennzeichnung der Angebote ist Vergabeverstoß

04.05.2016

Die Vergabestelle (VSt) hat Rohrleitungs-, Umbau-, Anschluss- und Oberflächenarbeiten als Bauauftrag gem. VOB/A-EG europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben. Nebenangebote waren nicht zugelassen. Einziges Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis. Die Antragstellerin (ASt) hat als einzige ein Angebot abgegeben. Gemäß der in der Vergabeakte enthaltenen Niederschrift über die Öffnung der Angebote waren Bieter oder deren Bevollmächtigte bei der Submission nicht anwesend. Zudem befand sich in der Niederschrift über die Angebotsöffnung in der Zeile zur Kennzeichnung der Angebote die Voreintragung "Lochstempel".DasAngebot der Antragstellerin war nicht durch Lochstempel gekennzeichnet und schloss mit der bei der Angebotsöffnung festgestellten Angebotsendsumme ab. Nach dem Submissionstermin wurde die ASt zur Nachreichung von Nachweisen und Erklärungen aufgefordert. Diese kam der Aufforderung fristgemäß nach. VSt teilte anschließend mit, dass sie das Vergabeverfahren aufgehoben habe, da ein Verstoß gegen § 14 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 VOB/A festgestellt worden sei und dass beabsichtigt sei, ein erneutes offenes Verfahren nach öffentlicher Vergabebekanntmachung durchzuführen. Weitere relevante Informationen enthielt das Schreiben nicht. Insbesondere enthielt die Vergabeakte keinen dem § 20 EG VOB/A entsprechenden Vergabevermerk.Die VSt kündigte sodann dem von ihr mit der Durchführung des Vergabeverfahrens betrauten Ingenieurbüro.Nach der Information über die Aufhebungsentscheidung rügte die ASt, dass die Kennzeichnung der Angebote zur Sicherstellung der Vergleichbarkeit gar nicht erforderlich gewesen sei, da nur ein Angebot vorgelegen habe und zudem der Fehler der Nichtkennzeichnung des Angebotes der Vergabestelle zuzurechnen sei, sodass eine Aufhebung des Vergabeverfahrens eine extreme Benachteiligung und Härte ihr gegenüber darstellen würde.Es liege kein Aufhebungsgrund gem. § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A durch die fehlende Kennzeichnung des Angebotes gem. § 14 EG Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 VOB/A vor.Nach Zurückweisung der Rüge leitete die ASt ein Nachprüfungsverfahren ein.

Der Nachprüfungsantrag wurde zurückgewiesen. Die VSt sei gemäß § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A berechtigt gewesen, aufgrund des erschütterten Vertrauensverhältnisses zu dem mit der Submission und Wertung der Angebote beauftragten Ingenieurbüros sowie der unterlassenen Kennzeichnung der Angebote im Submissionstermin die Vergabe aufzuheben. Die Regelung des § 14 EG Abs. 3 Nr. 2 VOB/A entfalte seine Schutzwirkung nicht nur im Verhältnis konkurrierende Anbieter untereinander, sondern schütze auch den Auftraggeber vor einem Handeln eines Anbieters in Verbindung mit dem beauftragten Ingenieurbüro. Da die Pflicht zur Kennzeichnung der Angebote unabhängig von einem konkreten Gefahrverdacht bestünde, gäbe es für den Auftraggeber keine Verpflichtung, anhand konkreter Anhaltspunkte eine gegenwärtige Gefahrenlage für ein rechtswidriges Verhalten des Ingenieurbüros oder des anbietenden Unternehmens darlegen zu müssen.Schon die verspätete Kennzeichnung der Angebote nach Eröffnungstermin, würde einen Vergabeverstoß darstellen, sodass erst recht das für die hier dauerhaft unterlassene Kennzeichnung der Angebote gelte. Diese Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers würde nicht nur die Wettbewerber untereinander vor Fälschungen schützen, sondern gleichermaßen auch den Auftraggeber davor, von einem der Wettbewerber übervorteilt zu werden. Denn die Möglichkeit, aus einem nicht gekennzeichneten Angebot einzelne Seiten des Angebots oder sogar das gesamte Angebot auszutauschen, schädige nicht nur Konkurrenten, etwa wenn die Blätter mit dem Endpreis und bestimmten Einzelpreisen ausgetauscht werden würden, um einen Konkurrenten zu unterbieten.

Praxishinweis:

Die Entscheidung der VK Lüneburg entspricht der ganz überwiegenden Rechtsprechung zu dem Aspekt Kennzeichnungspflicht. Die Argumentation, fehlende Kennzeichnung würde treuwidriges Handeln auch im Verhältnis zum Auftraggeber erleichtern, etwa durch Änderung bestimmter Einzelpreise, um die Basis für eine Mischkalkulation zu legen, ist zutreffend. Zu beachten ist, dass auch wenn nur ein Angebot eines Wettbewerbers vorliegt, es sich bei dem Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht um eine den Auftraggeber und die Konkurrenten unmittelbar schützende Vorschrift um die Ursprünglichkeit des abgegebenen Angebotes zu wahren, handelt. Die Entscheidungspraxis hat jedoch auch zur Folge, dass dem Auftraggeber faktisch die Möglichkeit eingeräumt wird, nach Submission der Angebotssummen Angebote nicht zu kennzeichnen und sich so bei unerwünschten Submissionsergebnissen im Ergebnis selbst einen Aufhebungsgrund zu verschaffen.