VG/OVG Lüneburg: Beschlagnahme eines ehemaligen Kinderheims in Lüneburg für Zwecke der Flüchtlingsunterbringung ist nicht zulässig

08.03.2016

Auf dem Grundstück befindet sich ein bereits entkerntes Gebäude, in dem früher ein Kinder- und Jugendheim untergebracht war. Auf dem Grundstück soll laut Investor ein neues Wohngebiet entstehen. Die Stadt Lüneburg hat am 01.10.2015 die Beschlagnahme des Grundstücks - befristet auf 6 Monate - verfügt und angeordnet, dass der Eigentümer das Grundstück bis zum 12.10.2015 zu räumen habe. Gleichzeitig wurde die Einweisung von 50 Flüchtlingen in das Gebäude verfügt und eine Entschädigung festgesetzt.

Die 5. Kammer des Gerichts hat dem hiergegen gerichteten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes stattgegeben: Die Voraussetzungen einer Beschlagnahme nach Polizeirecht seien nicht gegeben. Drohende Obdachlosigkeit stelle zwar eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Der Eigentümer als nichtverantwortlicher Dritter könne aber nur unter den engen Voraussetzungen des sog. polizeilichen Notstands und als „letztes Mittel" in Anspruch genommen werden. Die Beschlagnahme stelle einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum gem. Art. 14 Abs. 1 GG dar. Sie setze voraus, dass die Stadt die drohende Obdachlosigkeit von Flüchtlingen nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren könne. Vor der Inanspruchnahme des Eigentums unbeteiligter Dritter sei die Stadt daher gehalten, alle eigenen Unterbringungsmöglichkeiten auszuschöpfen und ggfs. Räumlichkeiten - auch in Beherbergungsbetrieben - anzumieten, auch wenn letzteres kostenintensiv sein möge. Der Kammer sei bewusst, dass die Unterbringung der derzeit hohen Zahl von Flüchtlingen eine große Herausforderung an alle Kommunen darstelle und die Bemühungen der Stadt Lüneburg mit dem von ihr erarbeiteten Konzept der dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen einen wichtigen Aspekt für eine dauerhafte und zufriedenstellende Versorgung der Flüchtlinge darstelle. Dabei sei auch nicht zu beanstanden, dass eine Unterbringung in Turnhallen und Kleinstunterkünften möglichst vermieden werden solle. Dennoch obliege die Gewährung sozialer Fürsorge primär der Allgemeinheit - und damit der Stadt Lüneburg - und dürfe nur als letztes Mittel auf eine Privatperson abgewälzt werden.

Hiervon ausgehend habe die Stadt Lüneburg nicht hinreichend dargelegt, dass alle anderen Möglichkeiten der Unterbringung ausgeschöpft worden sind. Die Stadt hätte insbesondere prüfen müssen, ob Unterbringungsmöglichkeiten in der Lüneburger Jugendherberge (148 Betten) zur Verfügung stehen und diese oder Ferienwohnungen und Hotelzimmer anmieten müssen. Wirtschaftliche Gesichtspunkte dürften bei der Inanspruchnahme keine wesentliche Rolle spielen.

In dem gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerdeverfahren der Stadt hat der 11. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 01.12.2015 (Az. 11 ME 230/15) die Beschwerde der Hansestadt Lüneburg gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Lüneburg zurückgewiesen. Nach Ansicht des 11. Senates spricht schon einiges dafür, dass zur Bewältigung der von der Hansestadt geltend gemachten Notlage bei der Beschaffung von Unterkünften für Flüchtlinge eine Beschlagnahme privaten Eigentums nur dann in Betracht kommt, wenn der Gesetzgeber zuvor im Einzelnen geregelt hat, unter welchen Voraussetzungen dies möglich sein soll. Abgesehen davon scheidet in dem vorliegenden Fall, in dem die Beschlagnahme auf die Generalklausel des § 11 Nds. SOG gestützt wird, die Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers aus, weil die Hansestadt vor der Heranziehung eines privaten Dritten mit Rücksicht auf dessen Eigentumsrecht zunächst die noch vorhandenen eigenen Kapazitäten für die Unterbringung von Flüchtlingen nutzen muss. Da der Grundstückseigentümer ein sog. Nichtstörer im Sinne des Polizeirechts ist, muss die Hansestadt darlegen, dass sie selbst nicht mehr über menschenwürdige Unterkünfte für eine Flüchtlingsunterbringung verfügt und solche auch nicht bei Dritten auf freiwilliger Basis beschaffen kann. Diesen Nachweis hat die Hansestadt nicht erbringen können.