VK Sachsen-Anhalt: Öffentliche Auftraggeber können Einzelangaben nachfordern

23.11.2015

Die Antragsgegnerin schrieb Fassaden- und Putzarbeiten im Offenen Verfahren nach VOB/A, Abschnitt 2. Nebenangebote waren nicht zugelassen. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis.Den Vergabeunterlagen war ein Formular über die Beachtung der Kernarbeitsnorm der Internationalen Arbeitsorganisation in Form der Anlage 3 beigefügt. Zum einen hatten die Bieter hierin mit Ja oder Nein anzukreuzen, ob die Leistung oder Lieferung der dort beispielsweise aufgeführten Waren und/Warengruppen Produkte enthalten, die in Afrika, Asien oder Lateinamerika hergestellt bzw. bearbeitet werden oder wurden. Soweit der Bieter dies bejaht, hat er unter Ziffer 2 u.a. zu erklären, dass er sich bei Auftragserteilung verpflichtet, den Auftrag ausschließlich mit Waren auszuführen, die nachweislich mit ILO-Kernarbeitsnormen gewonnen oder hergestellt worden sind. Das Formular ist abschließend mit Datum und Unterschrift des Bieters zu versehen. Diese Erklärung war nach Ziffer 3.2 der Angebotsaufforderung auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegen. Die Antragsgegnerin schloss das Angebot der Antragstellerin mit der Begründung aus, dieses sei unvollständig. In dem vorzulegenden Formular sei das entsprechende Kreuz nicht gesetzt worden. Die Antragstellerin hatte in der Unterlage bei der Abfrage, ob die bei der Leistung verwendeten Materialien aus Entwicklungsländern stammen, in der Tat versäumt, ein „Kreuz“ zu setzen. Die Antragstellerin leitete nach erfolgloser Rüge ein Nachprüfungsverfahren ein.

Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Antragstellerin zu Unrecht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen. Sie war vielmehr gemäß § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 S. 1 VOB/A gehalten, ein vollständig ausgefülltes Formblatt "Beachtung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation" nachzufordern. Nach § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 S. 1 VOB/A verlangt der Auftraggeber fehlende Erklärungen nach, soweit das Angebot nicht entsprechend den Nr. 1 oder 2 ausgeschlossen wird. Nach S. 4 der Vorschrift ist das Angebot auszuschließen, wenn die nachgeforderten Erklärungen nicht fristgemäß vorgelegt werden. Die Antragstellerin hatte es in der o.g. Anlage 3 bei der Abfrage, ob die bei der Leistung verwendeten Materialien aus Entwicklungsländern stammen, versäumt, ein Kreuz zu setzen. Die Antragsgegnerin wäre gehalten gewesen, diese Unterlage gemäß dieser Vorschrift nachzufordern. Sie war nicht berechtigt, das Angebot ohne eine solche Nachforderung auszuschließen. Ein Formblatt ist als Erklärung im Sinne der vorgenannten Vorschrift anzusehen. Grundsätzlich ist dieser Begriff sehr weit zu verstehen, so dass hierunter alle insbesondere leistungsbezogene Angaben und Unterlagen fallen, die der öffentliche Auftraggeber von den Bietern verlangt (vgl. Kulartz, Marx, Portz, Prieß, Kommentar zur VOB/A, Ausgabe 2010, § 13 Rn. 68). Dies ist bei der Abfrage nach der Herkunft der Produkte gegeben. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Erklärung der Anlage 3 einen elementaren Vertrags- und Angebotsbestandteil darstellt.

Gemäß § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 S. 1 VOB/A ist die Unterlage auch als fehlend zu betrachten. Grundsätzlich fehlen Dokumente nicht nur dann, wenn sie körperlich nicht vorhanden sind. Vielmehr sind sie auch dann als fehlend anzusehen, wenn sie formelle Mängel aufweisen oder inhaltliche Unzulänglichkeiten, die formellen Mängeln gleich kommen. Danach sind auch fehlende Einzelangaben innerhalb einer vorhandenen Gesamterklärung Nachforderungen zugänglich. Es ist dem Auftraggeber lediglich verwehrt, dem Bieter Gelegenheit zu geben, inhaltliche Mängel vorhandener Erklärungen zu korrigieren (vgl. VK Sachsen vom 05.05.2014, Az.1/SVK/010-14; VK Bund vom 21.08.2013, Az. VK 1-67/13). Eine von den Bietern abgeforderte Einzelangabe innerhalb eines vorgegebenen Dokumentes stellt rein sprachlich eine Erklärung dar.

Praxishinweis:

Es ist dem Auftraggeber lediglich verwehrt, dem Bieter Gelegenheit zu geben, inhaltliche Mängel vorhandener Erklärungen zu korrigieren. Durch die Regelung des § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 S. 1 VOB/A soll verhindert werden, dass Angebote aufgrund kleinerer Versehen der Bieter ohne weiteres allein aus formalen Gründen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Dieses Interesse besteht unabhängig davon, ob ein Dokument als Ganzes fehlt oder eine Einzelangabe in einer vorhandenen Unterlage. Durch die Vervollständigung des Formblattes wird das Angebot in inhaltlicher Hinsicht nicht abgeändert.