KG Berlin: Aufklärungspflicht des Auftraggebers bei offensichtlichen Eintragungsfehlern

09.11.2015

Der Antragsgegner (AG) schrieb in offenen Verfahren Straßenbauarbeiten (Los 1) sowie den Bau von Entwässerungsanlagen und Trinkwasserleitungen(Los 2)europaweit aus. Nach den Angaben in der Angebotsaufforderung war dem Angebot bei den Besonderen Vertragsbedingungen ein Formblatt zur Frauenförderung beizufügen. Die Antragstellerin (AS) gab ein Angebot mit ihrer eigenen formularmäßigen Frauenfördererklärung ab,in der angekreuzt war, dass diese über 250 bis 500 Beschäftigte verfüge, wobei nach dem Hinweis in dem Formular dann drei Frauenfördermaßnahmen auszuwählen seien.In dem Katalog der Frauenfördermaßnahmen waren zwei Maßnahmen angekreuzt. Nach dem Submissionsergebnis befand sich die AS, deren Angebotssumme für beide Lose unter Berücksichtigung von Preisnachlässen gegenüber den Mitbewerbern am niedrigsten war, auf Platz 1. Der AG forderte die AS unter Fristsetzung zur Nachreichung von Unterlagen auf, da dem Angebot keine komplett ausgefüllte Frauenförderungserklärung eingereicht worden sei.  Per Fax übersandte die AS erneut die eigene formularmäßige Frauenfördererklärung. Nachdem der AS mitgeteilt wurde, dass sie nicht den Zuschlag erhalten werde, erhob sie mehrere vergaberechtliche Rügen, u.a. dass ihr Ausschluss wegen der fehlerhaften Frauenfördererklärung unzulässig sei, da sie nicht ordnungsgemäß auf den Fehler, nämlich das hinsichtlich der Mitarbeiterzahl falsch gesetzte Kreuz, hingewiesen worden sei.Ihrem Schreiben fügte die AS eine Frauenfördererklärung erneut bei, wonach sie über 20 bis 250 Beschäftigte verfüge und über die zwei bereits in der vorherigen Erklärung benannten Frauenfördermaßnahmen eine weitere dritte durchführe. Der AG wies die von der Antragstellerin erhobenen Rügen insgesamt zurück. Die AS reichte sodann einen Vergabenachprüfungsantrag bei der VK Berlin ein, mit der sie die Rügen zu ihrem Ausschluss und zu der losweisen Vergabe der Aufträge weiter verfolgt.

Der Ausschluss der AS mit der Begründung, dass sie die Anforderungen an die Frauenförderung nach Maßgabe von § 3 Abs. 2 FFV nicht erfüllt habe, hat nach Auffassung der VK gegen vergaberechtliche Vorschriften verstoßen, weil der AG seiner sich vorliegend aus § 15 Abs. 1 VOB/A-EG ergebenden Hinweispflicht im Hinblick auf die von der AS wiederholt eingereichte offenkundig fehlerhafte Frauenfördererklärung nicht genügt hat; nur dann wäre aus diesem Grund ein Ausschluss der Antragstellerin zulässig gewesen. Ausweislich der von ihr mit ihrem letzten Rügeschreiben vorgelegten Frauenfördererklärung verfügt diese über 20 bis 250 Mitarbeiter und bietet drei Frauenfördermaßnahmen an. Mit dieser Erklärung hat die AS die ursprüngliche Erklärung berichtigt und ersetzt.Grundlage der Hinweispflicht ist nicht § 16 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A-EG, wonach der Auftraggeber fehlende Erklärungen und Nachweise, die gefordert waren, nachfordert, wenn ihr Fehlen nicht Grund zu einem Ausschluss nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 VOB/A-EG war. Denn eine inhaltlich unrichtige Erklärung, um die es sich bei der Frauenfördererklärung vorliegend handelt, ist im Sinne der Vorschrift keine fehlende Erklärung (siehe auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Dezember 2012 - Verg 47/12; Vavra in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht 2. Auflage 2013, § 16 VOB/A Rn. 28c m.w.N.). Der AG hatte hier nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A-EG tätig zu werden. Nach dieser Vorschrift darf der AG nach Öffnung der Angebote bis zur Zuschlagserteilung von einem Bieter Aufklärung verlangen, um sich unter anderem über seine Eignung und das Angebot selbst zu unterrichten. Zwar räumt die Vorschrift dem AG nach ihrem Wortlaut lediglich eine Befugnis ein. Der AG ist aber im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens gehalten, von der Befugnis auch Gebrauch zu machen. Der AG hat mit dem Schreiben an die AS seiner Hinweispflicht nicht genügt, weil die AS dieses Schreiben missverstehen konnte und tatsächlich auch missverstanden hat. Folge des unzulässigen Ausschlusses der AS ist, dass das Vergabeverfahren in den Stand unmittelbar vor Wertung der Angebote zurückzuversetzen war. Bei einer erneuten Wertung der Angebote wird der AG gegebenenfalls das Angebot der AS mit der Maßgabe zu werten haben, dass die ihrem letzten Schreiben als Anlage beigefügte Frauenfördererklärung zugrunde zu legen ist.

Praxishinweis:

Im Gegensatz zu geforderten Fabrikats-, Zeugnis- und Typangaben, die nach einheitlicher Rechtsprechung integrale Angebotsbestandteile sind, und das Fehlen solcher Angaben nicht heilbar ist und zum Angebotsausschlussführt (vgl. VK Thüringen Beschluss vom 12.04.2013 - 250 - 4002 - 2004/2013), sind Erklärungen oder Nachweise nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A spätestens innerhalb von 6 Kalendertagen nach Aufforderung durch den AG vorzulegen. Ein pauschaler Hinweis, dass die geforderten Unterlagen nachzureichen seien, reicht jedoch nicht aus. Der Bieter muss der Nachforderung eindeutig entnehmen können, ob eine geforderte Erklärung körperlich fehlt oder ob es einer körperlich durchaus vorhandenen und dem Angebot beigefügten Erklärung bzw. einem Nachweis an einer geforderten formal-inhaltlichen Qualität mangelt. Um dem Bieter eine realistische Chance auf Nachbesserung zu ermöglichen – wie es dem Zweck des § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A entspricht –, bedarf es der präzisen und konkreten Aufklärung darüber, was der Auftraggeber vermisst (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.3.2011, VII-Verg 56/10).