BGH: Stoffpreisgleitklausel des öffentlichen Auftraggebers kann unwirksam sein.

18.12.2014

Die Klägerin begehrte vom Beklagten aus abgetretenem Recht die Zahlung restlichen Werklohns. Der Beklagte meinte, diesen aufgrund einer in dem zu Grunde liegenden Bauvertrag enthaltenen Stoffpreisgleitklausel nicht zu schulden.

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin, eine aus der B.B.I.-GmbH und der Klägerin bestehende Bietergemeinschaft (im Folgenden: ARGE), erhielt im Jahre 2009 im Zuge einer europaweiten öffentlichen Ausschreibung von dem Beklagten den Zuschlag für Brücken- und Straßenbauleistungen. Gegenstand der Verdingungsunterlagen war die "HVA B-StBStoffpreisgleitklausel (03/06)", die unter anderem folgende Bestimmungen enthält:

„(1) Die Klausel gilt nur für die Stoffe, die im ‘Verzeichnis für Stoffpreisgleitklausel’ genannt sind. (…) Mehr- oder Minderaufwendungen werden nach den folgenden Regelungen abgerechnet.

(2) Der Auftragnehmer hat dem Auftraggeber über die Verwendung der Stoffe nach Nr. (1) prüfbare Aufzeichnungen vorzulegen, wenn Mehr- oder Minderaufwendungen abzurechnen sind. Aus den Aufzeichnungen müssen die Menge des Stoffes und der Zeitpunkt des Einbaus bzw. der Verwendung hervorgehen.

(3) Der Ermittlung der Mehr- oder Minderaufwendungen werden nur die Baustoffmengen zugrunde gelegt, für deren Verwendung nach dem Vertrag eine Vergütung zu gewähren ist. (…)

Vermeidbare Mehraufwendungen werden nicht erstattet; vermeidbar sind insbesondere Mehraufwendungen, die dadurch entstanden sind, dass der Auftragnehmer

- Vertragsfristen überschritten oder - die Bauausführung nicht angemessen gefördert hat.

(4) An den ermittelten Aufwendungen wird der Auftragnehmer beteiligt, seine Selbstbeteiligung beträgt 10 v.H. der Mehraufwendungen, mindestens aber 0,5 v.H. der Abrechnungssumme (Vergütung für die insgesamt erbrachte Leistung oder für den vereinbarten Abschnitt). Für die Berechnung der Selbstbeteiligung zu Grunde zu legen sind der Mehrbetrag ohne Umsatzsteuer sowie die Abrechnungssumme ohne die aufgrund von Gleitklauseln zu erstattenden Beträge ohne Umsatzsteuer.

Ein Mehr- oder Minderbetrag kann erst geltend gemacht werden, wenn der Selbstbeteiligungsbetrag überschritten ist; bis zur Feststellung der Abrechnungssumme wird 0,5 v.H. der Auftragssumme für die insgesamt zu erbringende Leistung bzw. für den vereinbarten Abschnitt zugrunde gelegt.

(5) Bei Stoffpreissenkungen ist der Auftragnehmer verpflichtet, die ersparten (= Minder-) Aufwendungen von seinem Vergütungsanspruch abzusetzen. Er ist berechtigt, 10 v.H. der ersparten Aufwendungen, mindestens aber 0,5 v.H. der Abrechnungssumme (vgl. Nr. (4)) einzubehalten.

(6) Sind sowohl Mehraufwendungen als auch Minderaufwendungen zu erstatten, so werden diese getrennt ermittelt und gegeneinander aufgerechnet; auf die sich ergebende Differenz wird Nr. (4) bzw. (5) angewendet.

(7) Der Auftraggeber setzt für die im ‘Verzeichnis für Stoffpreisgleitklausel’ angegebene OZ einen ‘Marktpreis’ zum dort angegebenen Zeitpunkt (Monat/Jahr) als Nettopreis der der Abrechnung zugrunde liegenden Abrechnungseinheit (z.B. €/t, €/ltr.) fest.

(8) Der Preis zum Zeitpunkt des Einbaus bzw. der Verwendung wird ermittelt aus dem vorgegebenen ‘Marktpreis’ (vgl. Nr. (7)) multipliziert mit dem Quotienten der Preisindizes (Monat/Jahr) der Erzeugnisse gewerblicher Produkte (GP) des Statistischen Bundesamtes vom Monat des Einbaus bzw. der Verwendung und dem vom Auftraggeber unter Nr. (7) genannten Zeitpunkt. Die Preisindizes werden veröffentlicht in der Fachserie 17, Reihe 2, bzw. auf der Homepage des Statistischen Bundesamtes unter ‘www.destatis.de’ unter der entsprechenden GP-Nummer.

(9) Mehr- oder Minderaufwendungen werden errechnet für jede OZ im ‘Verzeichnis für Stoffpreisgleitklausel’ aus der Differenz des ‘Preises’ vom Monat des Einbaus bzw. der Verwendung (vgl. Nr. (8)) und des vom Auftraggeber vorgegebenen ‘Marktpreises’ zum vorgegebenen Zeitpunkt (vgl. Nr. (7)).

(10) Die nach Nr. (9) errechneten Mehr- oder Minderaufwendungen werden für jede im ‘Verzeichnis für Stoffpreisgleitklausel’ angegebenen OZ und der nachgewiesenen Menge (vgl. Nr. (2)) unter Berücksichtigung der Selbstbeteiligung gemäß Nr. (4) und (5) zusätzlich zum Angebotspreis vergütet bzw. von diesem abgezogen."

Hierzu entschied der BGH, dass die Stoffpreisgleitklausel nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden sei und begründete dies wie folgt:

Es kann dahinstehen, ob es sich bei der Stoffpreisgleitklausel um eine Preishauptabrede oder um eine Preisnebenabrede handelt, da Klauseln, mit denen Vereinbarungen über die Hauptleistungspflichten getroffen werden, dem Anwendungsbereich des § 305c Abs. 1 BGB unterfallen. Nach dieser Vorschrift, die auch gegenüber Unternehmern Anwendung findet, § 310 Abs. 1 BGB, werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Überraschenden Inhalt hat eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen dann, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Generell kommt es dabei nicht auf den Kenntnisstand des einzelnen Vertragspartners, sondern auf die Erkenntnismöglichkeiten des für derartige Verträge in Betracht kommenden Personenkreises an (BGH, Urteil vom 26. Juli 2012 - VII ZR 262/11, BauR 2012, 1647 Rn. 10 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Die Regelungen der Stoffpreisgleitklausel zur Herabsetzung der Vergütung wegen "Minderaufwendungen" sind derart ungewöhnlich, dass der typische Kundenkreis (Bauunternehmen) mit ihnen nicht rechnen muss.

Durch Preisgleitklauseln sollen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht überschaubare Marktrisiken auf beide Vertragspartner in objektiv angemessener Weise verteilt und das unternehmerische Risiko reduziert werden. Dies führt unmittelbar auch zu Einspareffekten auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers, da der Bieter keine - oder jedenfalls geringere - Risikozuschläge für ungewisse Kostensteigerungen in die Angebotspreise einkalkuliert (Gabriel/ Schulz, ZfBR 2007, 448; Reitz, BauR 2001, 1513, 1517). Schließt der Auftragnehmer einen Bauvertrag, der eine Stoffpreisgleitklausel beinhaltet, darf er deshalb davon ausgehen, dass er einerseits von Marktrisiken, die darin bestehen, dass Baustoffpreise steigen, entlastet wird. Andererseits muss er damit rechnen, dass Vorteile, die aus Preissenkungen resultieren, an den Auftraggeber weitergegeben werden.

Der Auftragnehmer muss jedoch ohne einen ausreichenden Hinweis nicht damit rechnen, dass er zur Vermeidung erheblicher Nachteile bei Stoffpreissenkungen unter dem Mantel einer Stoffpreisgleitklausel angehalten wird, von üblichen Kalkulationsgrundsätzen abzuweichen und seiner Kalkulation einen Preis zugrunde zu legen, der nicht mit dem Preis übereinstimmt, den er aufgrund der aktuellen Marktpreise redlicher Weise seinem Angebot zugrunde legen kann.