BGH: Ist die vereinbarte Funktionalität einer Glasfassade technisch nicht zu verwirklichen, steht dem Auftraggeber allein ein Schadensersatzanspruch zu.

10.11.2014

Die Klägerin macht gegen die Beklagte wegen einer vorgeblich mangelhaft erstellten Glasfassade Mängelrechte geltend. Die Klägerin beauftragte die Beklagte durch Generalunternehmervertrag (GU) vom 7.4.2005, einen gebrauchs- und schlüsselfertigen Bürohauskomplex mit Kraftfahrzeugstellplätzen und Außenanlagen zu errichten. Die Fassade war im Bereich von Stahlbetonstützen, Stahlbetonbrüstungen und der Stahlbetonaufkantung im Dachbereich mit emaillierten, thermisch vorgespannten Glasscheiben zu verkleiden (über 3.000 Scheiben auf 5.352 m²). In der Leistungsbeschreibung heißt es dazu:

„Nr. 2.3.1. Durch den AN ist nachzuweisen, dass die zur Verwendung kommenden vorgespannten Glasscheiben keine zerstörenden Einschlüsse haben. Alle ESG-Scheiben sind einem fremdüberwachten Heißlagerungstest als ESG-H gem. Bauregelliste zu unterziehen. Die Durchführung des Heißlagerungstests ist über eine Werksbescheinigung zu bestätigen. Die Ofenprotokolle müssen für jede einzelne Scheibe nachvollziehbar sein.“

Zusätzlich vereinbarten Klägerin und Beklagte im GU:

„§ 1. 8.7. Der Auftragnehmer garantiert die Verwendung ausschließlich fabrikneuer, mängelfreier und einwandfreier Baustoffe und Materialien in der vereinbarten Qualität, auch soweit ihm diese vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden, da er zu deren Überprüfung vor Verarbeitung verpflichtet ist.“

Die Streithelferin zu 3 der Beklagten plante die Glasfassade. Das Glas für die Fassade lieferte die Streithelferin zu 4 der Beklagten. Die Streithelferin zu 1 der Beklagten erstellte die Glasfassade. Die Klägerin nahm das Bürogebäude am 28.9.2006 ab. Am 26.2.2007, 18.5.2007, 29.5.2007, 6.7.2008, 31.8.2008 und 10.6.2009 gingen Scheiben an verschiedenen Stellen der Fassadenverkleidung zu Bruch, wobei Bruchstücke herabfielen. Vor diesem Hintergrund hält die Klägerin die Glasfassade insgesamt für mangelhaft und hält den Austausch sämtlicher Glasscheiben für erforderlich, um den Mangel zu beseitigen. Sie verlangt die Zahlung eines Mangelbeseitigungskostenvorschusses von 240.000 Euro, die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, über 240.000 Euro hinausgehende Kosten zu tragen, und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr die Kosten zur Beseitigung von Schäden zu ersetzen, die in Folge des Mangels „erhöhte Bruchanfälligkeit der Glasfassadenscheiben“ und der notwendigen Mangelbeseitigung auftreten.

Die Vorinstanzen haben zu Gunsten der Klägerin antragsgemäß entschieden. Dem ist Der BGH entgegengetreten. Zwar habe das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht eine Mangelhaftigkeit der Fassade angenommen. Eine Beseitigung des Mangels ist aber unmöglich, so dass die Klägerin die von ihr geltend gemachten Rechtsfolgen nicht beanspruchen könne.

Nach § 633 Abs. 2 S. 1 BGB ist ein Werk mangelhaft, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit nicht hat. Welche Beschaffenheit des Werks die Parteien vereinbart haben, ist durch Auslegung des Werkvertrags zu ermitteln. Zur vereinbarten Beschaffenheit in diesem Sinne gehören alle Eigenschaften des Werks, die nach der Vereinbarung der Parteien den vertraglich geschuldeten Erfolg herbeiführen sollen. Dieser bestimmt sich nicht allein nach der zu seiner Erreichung vereinbarten Leistung oder Ausführungsart, sondern auch danach, welche Funktion das Werk nach dem Willen der Parteien erfüllen soll. Dies gilt unabhängig davon, ob die Parteien eine bestimmte Ausführungsart vereinbart haben oder die anerkannten Regeln der Technik eingehalten worden sind. Ist die Funktionstauglichkeit für den vertraglich vorausgesetzten oder gewöhnlichen Gebrauch vereinbart und dieser Erfolg mit der vertraglich vereinbarten Leistung oder Ausführungsart oder den anerkannten Regeln der Technik nicht zu erreichen, schuldet der Unternehmer die vereinbarte Funktionstauglichkeit.

Soweit das Berufungsgericht als Mangel der Glasfassade ein statistisch deutlich erhöhtes Bruchrisiko der verwendeten ESG-H-Scheiben annimmt, teilt der BGH diese Auffassung nicht. Die Parteien hätten nicht vereinbart, dass die Leistung schon dann mangelhaft ist, wenn mehr Scheiben zerbrechen als der statistischen Wahrscheinlichkeit entspricht. Das kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil die Parteien die Durchführung eines Heißlagerungstests vereinbart haben. Dieser senkt zwar das Bruchrisiko, ändert aber nichts daran, dass sich dieses an einem Gebäude mehr und an einem Gebäude weniger verwirklichen kann. Die bloße Bruchwahrscheinlichkeit sagt deshalb nichts darüber aus, welche Vertragspartei das Risiko zu tragen hat, wenn die Anzahl der tatsächlich zerbrochenen Glasscheiben oberhalb eines statistischen Mittelmaßes liegt. Vielmehr kommt es darauf an, welche Funktion des in Auftrag gegebenen Werks die Parteien nach dem Vertrag vereinbart oder vorausgesetzt haben. Das ist durch Auslegung nach den allgemein anerkannten Auslegungsregeln zu ermitteln (§§ 133, 157 BGB). Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, insbesondere der zum Ausdruck gekommene Wille des Bestellers, für welchen Zweck er das Bauwerk nutzen will und welchen Anforderungen es nach diesem Zweck genügen muss. Diese Auslegung des Generalunternehmervertrags kann der BGH als Revisionsgericht selbst vornehmen, da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind. Die Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass die Vertragsparteien die Verwendung von Glasscheiben vereinbarten, bei denen kein Risiko eines Glasbruchs auf Grund von Nickelsulfid-Einschlüssen besteht, so der BGH [wird ausgeführt].

Ausgehend von der vereinbarten Funktionalität der Fassade, eine Gefährdung durch Nickelsulfid-Einschlüsse vollständig auszuschließen, ist die von der Beklagten erstellte Fassade mangelhaft, da jede der über 3000 montierten Glasscheiben das Risiko birgt, auf Grund eines Nickelsulfid-Einschlusses zu bersten. Zwar ist es möglich, dass keine der noch nicht ausgetauschten Scheiben über einen Nickelsulfid-Einschluss verfügt. Das könnte aber nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nur durch Zerstörung der Glasscheiben festgestellt werden. Es verbleibt deshalb eine Unsicherheit hinsichtlich der Bruchfestigkeit der Fassade, die nach der vereinbarten Funktionalität in den Risikobereich der Beklagten fällt. Der Klägerin kann zudem nicht zugemutet werden abzuwarten, ob noch weitere Scheiben zu Bruch gehen, da ein erhebliches Risiko für Leib und Leben der Passanten besteht, für welches sie verantwortlich ist.

Auf Grund des festgestellten Mangels stehen der Klägerin die geltend gemachten Mängelrechte aber nicht zu, da die Beseitigung des Mangels unmöglich ist.

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts kann der vollständige Ausschluss von Nickelsulfid-Einschlüssen technisch nicht gewährleistet werden. Die vereinbarte Funktionalität ist deshalb nicht erreichbar. Daher liegt ein Fall der dauerhaften objektiven Unmöglichkeit i. S. v. § 275 Abs. 1 2. Fall BGB vor. Für diese Beurteilung ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Eintritts des Hindernisses maßgeblich. Der Umstand, dass eine Bruchwahrscheinlichkeit entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen nach Ablauf von zehn Jahren praktisch ausgeschlossen ist, steht deshalb der Annahme einer dauerhaften Unmöglichkeit nicht entgegen. Ein zeitweiliges Erfüllungshindernis ist einem dauernden gleichzustellen, wenn die Erreichung des Vertragszwecks durch die vorübergehende Unmöglichkeit in Frage gestellt wird und deshalb dem Vertragspartner nach dem Grundsatz von Treu und Glauben unter billiger Abwägung der Belange beider Vertragsteile die Einhaltung des Vertrags nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen liegen vor. Da es der Klägerin darauf ankam, Bruchgefahren durch Einschlüsse in den Glasscheiben auszuschließen, um keine Gefahrenquelle für die das Gebäude nutzenden Menschen und Fußgänger zu schaffen, ist es ihr unzumutbar, zehn Jahre zu warten, bis ein solcher Zustand eintritt. Berechtigte Belange der Beklagte, die diesem Abwägungsergebnis entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

Die Folge der Unmöglichkeit ist das Entfallen des Erfüllungsanspruchs und damit ebenso des Nacherfüllungsanspruchs und des Selbstvornahmerechts einschließlich des Vorschussanspruchs. Die Klägerin kann daher keinen Austausch der Glasscheiben gegen andere verlangen, die auch bei ordnungsgemäß durchgeführtem Heißlagerungstests einer Bruchgefahr unterlägen und deshalb der vereinbarten Funktionalität nicht genügten. Eine andere Art der Erfüllung bzw. Nacherfüllung, die den Interessen der Parteien gerecht wird, kommt auf Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht in Betracht.

Der Klägerin steht aber ein Schadensersatzanspruch unter den Voraussetzungen von §§ 634 Nr. 4, 311 a Abs. 2 BGB zu. Da das Berufungsgericht die notwendigen Feststellungen zu einem Schaden i. S. v. §§ 634 Nr. 4, 311 a Abs. 2 BGB nicht getroffen hat, ist das Berufungsurteil insgesamt, also auch hinsichtlich des Feststellungsantrags bezüglich der Mangelfolgeschäden, aufzuheben, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist, und die Sache ist insoweit an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.