VGH Hessen: Pflicht zur Erhebung von Ausbaubeiträgen bei defizitärem Haushalt

17.04.2014

Sachverhalt

Hintergrund der Entscheidung des VGH Kassel war ein Rechtsstreit zwischen der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Nidda und deren Bürgermeister über die Rechtmäßigkeit einer kommunalrechtlichen Beanstandung.

Als sich für das Haushaltsjahr 2003 herausstellte, dass sich die wirtschaftliche Situation der Stadt im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verschlechtert hatte, wurde sie von der Kommunalaufsichtsbehörde aufgefordert, ihre Situation u.a. auch durch die konsequente Ausschöpfung der nach § 93 HGO vorrangigen Einnahmebeschaffungsmöglichkeiten zu verbessern. Zum 1. Januar 2004 erließ die Stadt Nidda daraufhin eine Straßenbeitragssatzung. Bereits die Abrechnung der ersten beiden (kleineren) Straßenbauprojekte führte jedoch zu Diskussionen mit den Anliegern. In der Folgezeit strebte die Klägerin daraufhin eine Überarbeitung der Satzung an und erwog im Dezember 2008 sogar deren rückwirkende Aufhebung zum 1. Januar 2008 unter gleichzeitiger Anhebung der Grundsteuer B. Nachdem der Haupt- und Finanzausschuss in seiner Sitzung vom 18. Februar 2009 zunächst den Beschluss gefasst hatte, der Stadtverordnetenversammlung die "Aufhebung der Straßenbeitragssatzung mit den Vorschlägen der Gegenfinanzierung" zu empfehlen, hob er diese Beschlussempfehlung in seiner Sitzung am 31. August 2009 wieder auf weil die Kommunalaufsichtsbehörde die Aufhebung der Satzung als haushaltsrechtlich unzulässig bewertet hatte und ein Gutachten des Hessischen Städte- und Gemeindebundes zu dem Ergebnis gekommen war, dass zwar nicht mit der Aufhebung der Straßenbeitragssatzung, möglicherweise aber mit der Beschlussfassung über die Durchführung der entsprechenden Baumaßnahmen auch eine Strafbarkeit wegen Untreue nach § 266 StGB in Betracht kommen könne.

In der Folgezeit erwog die Stadtverordnetenversammlung daraufhin eine Änderung der Straßenbeitragssatzung dahingehend, dass die von der Stadt Nidda zu tragenden Anteile - abweichend von den in § 11 Abs. 3 Kommunalabgabengesetz (KAG) festgesetzten Anteilen - auf 40 % für Verkehrsanlagen mit überwiegend Anliegerverkehr, 60 % für Verkehrsanlagen mit überwiegend innerörtlichem und 80 % bei solchen mit überörtlichem Durchgangsverkehr festgelegt werden sollten. Obwohl der Hessische Städte- und Gemeindebund auch insoweit angesichts der defizitären Haushaltslage der Stadt Bedenken geäußert hatte, beschloss die Klägerin in ihrer Sitzung am 29. Juni 2010 eine entsprechende Änderung der Straßenbeitragssatzung vom 1. Januar 2004

Mit Schreiben vom 2. Juli 2010 widersprach der Bürgermeister der Stadt Nidda diesem Beschluss und machte geltend, er verletze geltendes Recht und gefährde das Wohl der Stadt. Gleichwohl wies die Klägerin den Widerspruch in ihrer Sitzung am 24. August 2010 zurück und bestätigte noch einmal die geänderte Straßenbeitragssatzung in der am 29. Juni 2010 beschlossenen Fassung. Mit Schreiben vom 26. August 2010 - eingegangen bei der Stadt Nidda am 30. August 2010 - beanstandete der Beklagte den Beschluss der Klägerin vom 24. August 2010. Zur Begründung machte er geltend, die von der Klägerin mit dieser Satzungsänderung in Abweichung von den im KAG vorgesehenen Beitragssätzen vorgenommene Reduzierung des Eigenanteils der Grundstückseigentümer sei unzulässig. Die in § 11 Abs. 3 KAG aufgeführten Prozentsätze beruhten auf Erfahrungswerten. Bei der Bestimmung des Gemeinde- bzw. Anliegeranteils sei das Vorteilsprinzip zu beachten. Nur in diesem Rahmen bestehe für die Gemeinde ein geringer Einschätzungsspielraum, der jedoch auf eine Abweichung von höchstens +/- 5 % beschränkt sei. Außerdem verstoße die Reduzierung der Eigenanteile gegen die Grundsätze der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung (§§ 92 Abs. 2, 10 HGO) sowie die Einnahmebeschaffungsgrundsätze nach § 93 Abs. 2 HGO.

In ihrer Sitzung am 14. September 2010 beschloss die Klägerin, Klage gegen diese Beanstandung zu erheben, die sie sodann mit anwaltlichem Schriftsatz vom 28. September 2010 - eingegangen beim Verwaltungsgericht Gießen am selben Tage - erhoben hat. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Beanstandung sei rechtswidrig. Angesichts der ländlichen Struktur und der dadurch bedingten großzügigeren Bebauung hätten an reinen Anliegerstraßen in Nidda im Vergleich zu anderen Städten nur verhältnismäßig wenige Anlieger zu zahlen, während jedoch die geringe Verdichtung allen Bürgern zugute komme. Deshalb sei es gerechtfertigt, den städtischen Anteil in Nidda höher anzusetzen als in anderen Städten. Darin liege weder eine Verletzung des Grundsatzes der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung (§§ 92 Abs. 2, 10 HGO) noch ein Verstoß gegen die Einnahmebeschaffungsgrundsätze nach § 93 Abs. 2 HGO. Angesichts der Altersstruktur und des damit verbundenen geringeren Grundeinkommens seien die Einwohner von Nidda wirtschaftlich weniger leistungsfähig, was durch die Änderung der Beitragssätze berücksichtigt werde.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Ansicht, die von ihm ausgesprochene Beanstandung sei rechtmäßig. Die Straßenbeitragssatzung stehe nicht mit den kommunalrechtlichen Grundsätzen der Einnahmebeschaffung gem. § 93 HGO in Einklang und verletze zudem die Verpflichtung der Klägerin, die Gemeindefinanzen gesund zu erhalten (§ 10 HGO). Schließlich verstoße die im Beschluss der Klägerin getroffene Verteilung außerdem gegen das im KAG verankerte Vorteilsprinzip. Gerade in ländlichen Gebieten ergebe sich durch Baumaßnahmen an Anliegerstraßen für die Allgemeinheit in aller Regel kein erhöhter Vorteil, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Abweichung von den im KAG festgelegten Sätzen nicht gerechtfertigt sei.

Mit Urteil vom 25. Januar 2012 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beanstandung durch den Bürgermeister sei zu Recht erfolgt, denn die Änderung der Straßenbeitragssatzung widerspreche den kommunalrechtlichen Regelungen zur Einnahmebeschaffung und der sich daraus ergebenden Pflicht, die nach § 11 Abs. 3 KAG gegebenen Einnahmemöglichkeiten auszuschöpfen. § 93 Abs. 2 HGO lege eine verbindliche Rangfolge der Einnahmequellen fest, wonach Steuern und Kredite lediglich subsidiär herangezogen werden dürften. Nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 KAG - "können" - stehe der Gemeinde zwar ein Ermessen hinsichtlich der Beitragserhebung zu. Dieses verdichte sich jedoch zu einer Beitragserhebungspflicht, wenn der Haushalt der Gemeinde defizitär sei und auf absehbare Zeit nicht ausgeglichen werden könne. Das gemeindliche Ermessen werde insoweit durch die Regelungen der §§ 92, 93 und 10 HGO eingeschränkt. Die Verpflichtung, eine Straßenbeitragssatzung vorzuhalten, könne somit lediglich entfallen, wenn eine Gemeinde in der Lage sei, sich die entsprechenden Einnahmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben aus den sonstigen Einnahmen zu beschaffen. Würde eine nach dem Vorteilsprinzip mögliche und zudem gebotene und vertretbare Festsetzung von Abgaben unterlassen oder würden solche Abgaben in der Absicht reduziert, etwaige Mindereinnahmen durch Steuermehreinnahmen auszugleichen, sei das rechtswidrig. Sei der Haushaltsausgleich gefährdet, komme dem Gebot der kostendeckenden Entgelterhebung größeres Gewicht zu als der Vertretbarkeit der Beitragshöhe. Der fehlenden Leistungsfähigkeit einzelner Beitragspflichtiger könne durch Stundung oder Erlass Rechnung getragen werden. Dem stehe auch die sich zugunsten der Gemeinden aus dem nach Art. 28 Abs. 1 GG gewährleisteten Selbstverwaltungsrecht ergebende Finanzhoheit nicht entgegen, da diese unter Gesetzesvorbehalt stehe und daher durch den Gesetzgeber eingeschränkt werden könne, soweit ihr Kernbereich nicht berührt werde.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie macht im Wesentlichen geltend, das Urteil berücksichtige nicht hinreichend, dass eine Reduzierung des Eigenanteils der Grundstückseigentümer angesichts der ländlichen Struktur und des demographischen Wandels in Nidda notwendig sei, zumal die geringer verdichtete Bebauung allen Bürgern zugute komme. Das Vorteilsprinzip sei nicht verletzt, weil nicht nur Vorteile wirtschaftlicher Art, sondern auch Gebrauchsvorteile oder sonstige Verwendungsvorteile zu berücksichtigen seien. Die Regelungen der §§ 92 und 93 HGO seien lediglich für die Frage bedeutsam, ob (überhaupt) Straßenbeiträge zu erheben seien. Die Beitragshöhe bemesse sich hingegen ausschließlich nach dem Vorteil, wobei die geringe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bevölkerung im ländlichen Raum stärker ins Gewicht fallen müsse. Die vom Verwaltungsgericht aus dem Haushaltsdefizit der Stadt Nidda abgeleiteten Zwänge seien erst bei einer anhaltenden Notlage gerechtfertigt, wovon hier jedoch nicht ausgegangen werden könne. Bestehe diese nicht, habe die Gemeinde in freier Selbstverwaltung das zu tun, was dem Wohl der Einwohner diene, wobei dem Gebot der kostendeckenden Entgelterhebung keine größere Bedeutung beizumessen sei als der Vertretbarkeit der Beitragshöhe. Auch der Einnahmebeschaffungsgrundsatz aus § 93 Abs. 3 HGO sei nicht verletzt. Von den Regeln könne im öffentlichen Interesse abgewichen werden. Die ländliche Struktur, die geringe Besiedelungsdichte, die Höhe der Beiträge auf Grund der Grundstücksgröße und die geringe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beitragspflichtigen seien insoweit zu berücksichtigen. Die seit einigen Jahren zu verzeichnende Verschlechterung der Haushaltslage sei auf den Entzug kommunaler Umverteilungsmittel durch die Bundesgesetzgebung zurückzuführen ("Wachstumsbeschleunigungsgesetz").

Entscheidungsgründe

Der VGH hat die Berufung zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht habe die Klage gegen die vom Beklagten ausgesprochene Beanstandung der von der Klägerin beschlossenen Änderung der Straßenbeitragssatzung zu Recht abgewiesen. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass die vom Beklagten ausgesprochene Beanstandung rechtmäßig ist, weil die geänderte Straßenbeitragssatzung gegen höherrangiges Recht verstößt.

Die Beanstandung ist nicht nur formell, sondern auch materiell rechtmäßig, denn mit der geänderten Straßenbeitragssatzung verstößt die Gemeinde gegen die ihr durch die HGO auferlegten haushaltswirtschaftlichen Pflichten. Die geänderte Straßenbeitragssatzung ist rechtswidrig, weil die Klägerin unabhängig davon, ob die in § 11 Abs. 3 KAG festgelegten, von der Allgemeinheit zu tragenden Mindestprozentsätze grundsätzlich abgeändert werden können, jedenfalls im Falle eines defizitären Haushalts nicht berechtigt ist - und zwar auch nicht in geringem Rahmen -, auf Einnahmen aus Beiträgen oder Gebühren zu verzichten.

Nach § 10 Satz 1 HGO hat die Gemeinde ihr Vermögen und ihre Einkünfte so zu verwalten, dass die Gemeindefinanzen gesund bleiben. Gem. § 92 Abs. 1 Satz 1 HGO hat sie zudem ihre Haushaltswirtschaft so zu planen, dass die stetige Erfüllung ihrer Aufgaben gesichert ist. Gleichzeitig soll der Haushalt gem. § 92 Abs. 3 Satz 1 HGO in jedem Haushaltsjahr ausgeglichen sein. Auch wenn der Haushaltsausgleich danach als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist, gilt diese Regelung für die Gemeinde zunächst als verbindliche Verpflichtung mit dem Ziel, den Haushaltsausgleich auch tatsächlich herbeizuführen und dazu alle notwendigen Maßnahmen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite zu treffen. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Ausgestaltung der Vorschrift lediglich dem Umstand Rechnung tragen, dass es einer Gemeinde trotz aller Anstrengungen in einem Haushaltsjahr möglicherweise nicht gelingt, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen. In diesem Fall soll ein Abweichen von dieser Vorschrift (ausnahmsweise) möglich sein, ohne dass dadurch zugleich eine Gesetzesverletzung entsteht. Die Grundsätze der Einnahmebeschaffung beinhalten für die Gemeinde nach § 93 Abs. 1 HGO demzufolge nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur Abgabenerhebung. Davon ausgehend haben die Gemeinden zur Finanzierung der ihnen obliegenden Aufgaben Abgaben nach den gesetzlichen Vorschriften zu erheben (§ 93 Abs. 1 HGO), wozu u.a. auch Straßenbaubeiträge i.S.d. § 11 KAG gehören. Nach § 11 Abs. 1 KAG können Gemeinden und Landkreise zur Deckung des Aufwands für die Schaffung, Erweiterung und Erneuerung öffentlicher Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtungen nicht nur vorübergehende Vorteile bietet. Zu diesen öffentlichen Einrichtungen gehören auch die in der kommunalen Straßenbaulast stehenden Straßen (§ 11 Abs. 3, 5 bis 11 KAG). Auch wenn der Landesgesetzgeber den Gemeinden damit nach dem Wortlaut der Bestimmung ein Ermessen hinsichtlich der Erhebung von Straßenbeiträgen eingeräumt hat, ist es in Literatur und Rechtsprechung unbestritten, dass sich daraus eine Beitragserhebungspflicht ergibt. Die Grundstückseigentümer, denen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer ausgebauten öffentlichen Anlage im Verhältnis zur Allgemeinheit besondere Vorteile erwachsen, sollen als Gegenleistung Beiträge bezahlen, um den ihnen dadurch entstandenen zusätzlichen Vorteil auszugleichen. In diesem Sinne sind Straßenbaubeiträge als eine Vorzugslast zu sehen. Denn bei einer Finanzierung der von der Gemeinde erbrachten Leistung durch Steuern würden die Grundstückseigentümer die von dieser Leistung ausgelösten zusätzlichen Vorteile auf Kosten der Allgemeinheit, also gleichsam entgeltlos, erhalten. Dieser Verpflichtung zur Erhebung von Straßenbeiträgen ist die Klägerin mit dem Erlass der Straßenbeitragssatzung (grundsätzlich) nachgekommen.

Dabei war es der Klägerin jedoch verwehrt, die im Gesetz festgelegten, von der Gemeinde zu tragenden Anteile zu verringern. Nach § 11 Abs. 3 KAG bleiben bei einem Um- und Ausbau von Straßen, Wegen und Plätzen, der über die Straßenunterhaltung und die Straßeninstandsetzung hinausgeht, bei der Bemessung des Beitrags mindestens 25 % des Aufwands außer Ansatz, wenn diese Einrichtungen überwiegend dem Anliegerverkehr dienen, mindestens 50 %, wenn sie überwiegend dem innerörtlichen Durchgangsverkehr dienen, und mindestens 75 %, wenn sie überwiegend dem überörtlichen Durchgangsverkehr dienen. Mit diesen Prozentsätzen hat der Landesgesetzgeber - ausgehend vom Nutzungsanteil, den die Allgemeinheit bzw. die jeweiligen Grundstückseigentümer im Hinblick auf den in der betreffenden Straße eröffneten Verkehr, regelmäßig haben - den Anteil festgelegt, mit dem das öffentliche Interesse am ordnungsgemäßen Zustand der Straßen und Wege berücksichtigt wird und welcher Kostenanteil dementsprechend von der Allgemeinheit bzw. den Grundstückseigentümern zu tragen ist.

Ob diese Sätze gegebenenfalls zu Lasten der Gemeinde weiter abgesenkt werden können, ist fraglich. Der 5. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat zwar in seinem Urteil vom 12. Januar 1983 (- V OE 1/79 -) ausgeführt, es handele sich um Mindestsätze, und hat insoweit eine Abweichung durch die Gemeinden für zulässig erachtet. Inwieweit diese Rechtsprechung sich heute noch aufrechterhalten lässt, erscheint jedoch zweifelhaft. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat in einer neueren Entscheidung ausgeführt, die gesetzlichen Regelungen zur Höhe von Straßenbeiträgen stünden nicht zur Disposition der die Beiträge erhebenden Gemeinden, insbesondere könnten die im Gesetz genannten Beitragshöhen nicht unter- oder überschritten werden. Das ergebe sich zum einen aus der Gesetzesgebundenheit der Gemeinden und zum anderen aus der ihnen auferlegten prinzipiellen Beitragserhebungspflicht.

Welcher dieser Auffassungen zu folgen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, denn jedenfalls hat die Gemeinde im Rahmen der Beitragserhebung § 93 HGO zu beachten. Es ist ihr deshalb verwehrt, bei Vorliegen eines defizitären Haushalts auf Einnahmen aus Beiträgen - und sei es auch nur in Höhe von 5 % - zu verzichten und stattdessen derartige Maßnahmen aus dem Steueraufkommen zu finanzieren. Nach § 93 Abs. 2 HGO hat die Gemeinde die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Erträge und Einzahlungen 1. soweit vertretbar und geboten aus Entgelten für ihre Leistungen und 2. im Übrigen aus Steuern zu beschaffen, soweit die sonstigen Erträge und Einzahlungen nicht ausreichen.

Mit dieser Regelung wird den Gemeinden eine Rangfolge zur Einnahmebeschaffung vorgegeben, wobei die speziellen Deckungsmittel vorrangig eingesetzt werden müssen und Steuern als allgemeine Deckungsmittel nur subsidiär herangezogen werden können. Denn diese Regelungen stellen nicht nur Ratschläge dar, die die Gemeinde auf Grund von Zweckmäßigkeitsüberlegungen befolgen oder auch nicht befolgen kann. Sie enthalten vielmehr gesetzliche Verpflichtungen, deren Nichtbeachtung eine Rechtsverletzung darstellt.

Das vorausgesetzt ist es der Klägerin hier nicht gestattet, den Gemeindeanteil im Rahmen der Erhebung von Straßenbaubeiträgen über die im Gesetz festgelegten Prozentsätze hinaus zu erhöhen. Denn unabhängig davon, ob dies für den Fall, dass eine Gemeinde tatsächlich über weitergehende Einnahmen verfügt, angesichts des in § 11 Abs. 5 Satz 1 KAG festgelegten Vorteilsprinzips grundsätzlich zulässig sein könnte, ist es jedenfalls bei Vorliegen eines defizitären Haushalts ausgeschlossen. Die Verpflichtung, vorrangig Leistungsentgelte zu erheben, wird nach § 93 Abs. 2 Nr. 1 HGO zwar dadurch begrenzt, dass diese Art der Einnahmebeschaffung nur "soweit vertretbar und geboten" vordringlich zu wählen ist. Für den vorliegenden Fall lässt sich daraus jedoch kein Grund für eine Abweichung von den Prozentsätzen herleiten. Mit dem in § 93 Abs. 2 Nr. 1 HGO zum Ausdruck gebrachten Subsidiaritätsprinzip hat der Landesgesetzgeber den Kommunen zwar einen gewissen Gestaltungsspielraum zugestanden, der diese berechtigt, aber auch verpflichtet sowohl den finanzwirtschaftlichen Erfordernissen als auch kommunalpolitischen - insbesondere sozialen - Erwägungen Rechnung zu tragen. Geboten ist danach - bezogen auf den Abgabenbereich - die Erhebung kostendeckender Abgaben. Als "vertretbar" sind hingegen Beiträge anzusehen, die auch soziale Gesichtspunkte berücksichtigen. Bei der Entscheidung, ob vom Grundsatz der Ausgabendeckung durch spezielle Entgelte abgewichen werden soll, ist jedoch ein strenger Maßstab anzuwenden. Die beiden Tatbestandsmerkmale "vertretbar" und "geboten" stehen gleichwertig nebeneinander, so dass die finanzwirtschaftlichen und die allgemeinen kommunalpolitischen Gesichtspunkte sorgfältig gegeneinander abzuwägen sind. Davon ausgehend hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 12. Januar 2011 (8 B 2106/10; ihm folgend der 5. Senat in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 5 B 2017/11 -) ausgeführt, dass sich die Möglichkeit zur Erhebung von Straßenbeiträgen durch Gemeinden jedenfalls dann zu einer Beitragserhebungspflicht verdichten kann, wenn ohne die Erhebung solcher Beiträge ein Ausgleich des Gemeindehaushalts nicht möglich ist. An dieser Auffassung hält der Senat fest. Neben der Verpflichtung, überhaupt Straßenbaubeiträge zu erheben, ergibt sich daraus demzufolge im Falle eines Haushaltsdefizits zugleich auch die Verpflichtung, von dem in § 11 Abs. 3 KAG festgelegten Gemeindeanteil nicht zu Lasten der Gemeinde abzuweichen. Das Verwaltungsgericht ist deshalb in seiner Entscheidung zu Recht davon ausgegangen, dass die im ersten Nachtrag zur Straßenbeitragssatzung beschlossene Änderung nicht mit dem Vorteilsprinzip gem. § 11 Abs. 5 Satz 1 KAG in Einklang steht.

Dem ist die Klägerin nicht mit überzeugenden Gründen entgegengetreten. Die ländliche Struktur der Stadt Nidda, die dadurch bedingte großzügigere Bebauung und eine dementsprechend wesentlich höhere Beitragsbelastung des einzelnen Anliegers rechtfertigen - jedenfalls in Zeiten leerer Kassen - keine Abweichung von den vorgegebenen Prozentsätzen. Die höheren Beiträge sind eine Konsequenz der Entscheidung für ein Leben in ländlicher Umgebung und der damit einhergehenden geringeren Besiedelungsdichte infolge größerer Grundstücke und damit ganz konkreter Vorteile der einzelnen Straßenbaumaßnahmen für den jeweiligen Anlieger. Diese kommen dem Grundstück und damit seinem Eigentümer zugute, so dass er vorrangig mit den Kosten zu belasten ist. Soweit die Klägerin darauf hinweist, die geringere Besiedelungsdichte spiegele sich in einer gesteigerten Lebensqualität für alle wider, hat dieser Umstand im Rahmen des Vorteilsausgleichs nach § 11 Abs. 5 KAG außer Betracht zu bleiben. Denn maßgeblich für die Beitragspflicht ist der maßnahmebedingte, d.h. durch eine Maßnahme der Gemeinde herbeigeführte, und der anlage- oder nutzungsbezogene, d.h. auf der Benutzungsmöglichkeit der Anlage beruhende Vorteil. Der Vorteil knüpft somit an die jeweilige Maßnahme zugunsten des einzelnen Grundstücks an, weil sie im Interesse des Grundstückseigentümers einen Verkehr ermöglicht, den dieser im Rahmen der Nutzung seines Eigentums zu seinen Gunsten eröffnet. Dass auch andere Personen und Institutionen daraus Vorteile ziehen - wie etwa Lieferanten, Post- und Paketservice oder Besucher - hat insoweit außer Betracht zu bleiben, weil sie sämtlich nicht Ursache, sondern Folge der vom Eigentümer gewählten Nutzung seines Grundstücks sind. Insoweit erscheint es gerechtfertigt, ihm die Kosten in dem vom Gesetz vorgegebenen Rahmen aufzuerlegen.

Soweit die Klägerin ferner darauf hinweist, dass infolge des demographischen Wandels in ihrem Gebiet überwiegend ältere Menschen leben, die über ein eher geringeres Einkommen verfügten und daher weniger belastbar seien, kann sie letztlich auch damit nicht durchdringen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass auch soziale Belange bei der Beitragsbemessung berücksichtigt werden können, erscheint eine flächendeckende Beitragssenkung zugunsten aller Eigentümer nicht gerechtfertigt. Zum einen käme diese auch denjenigen zugute, die durchaus in der Lage wären, die Beiträge zu entrichten. Das gilt umso mehr, als es unzulässig ist, soziale Gesichtspunkte bei unabdingbaren Aufwendungen für den Lebensbedarf zu berücksichtigen; das ist vielmehr Aufgabe der Sozialhilfe. Durch die Gebührenpolitik können nur einzelne soziale Härten gemildert werde; die Verfolgung allgemein sozialpolitischer Zielsetzungen kommt hingegen nicht in Betracht (Rauscher, § 93 Nr. 3 d) S. 10). Hinzukommt, dass eine Absenkung des Anliegeranteils mit der Folge eines höheren steuerfinanzierten Anteils an den Straßenausbaukosten in den Gemeinden mit defizitären Haushalten letztlich Kreditaufnahmen nach sich ziehen müsste. Das aber wäre nichts anderes als eine Verlagerung der Kosten auf spätere Generationen, die nicht als "vertretbar" anzusehen wäre. Sozialen Härtefällen kann im Einzelfall auf Grund sorgfältiger Prüfung durch eine Beitragsermäßigung Rechnung getragen werden.

Soweit die Klägerin schließlich meint, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2010 (8 C 43/09) eine sich aus dem Selbstverwaltungsrecht nach Art. 28 Abs. 2 GG ergebende Verletzung der Finanzhoheit der Klägerin verneint, vermag der Senat auch diese Ansicht nicht zu teilen. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht unter Bezugnahme auf diese Entscheidung darauf hingewiesen, dass die sich aus dem Selbstverwaltungsrecht ergebende Finanzhoheit der Gemeinde nur "im Rahmen der Gesetz" gewährleistet ist. Sie steht somit unter einem Gesetzesvorbehalt und kann vom Gesetzgeber eingeschränkt werden, soweit ihr Kernbereich nicht berührt wird. Der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung ist aber (erst) dann verletzt, wenn das Recht auf kommunale Selbstverwaltung beseitigt wird oder kein hinreichender Spielraum für seine Ausübung mehr übrig bleibt. Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet den Gemeinden das Recht auf eine aufgabenadäquate Finanzausstattung. Denn das Recht der Gemeinden, grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln, setzt voraus, dass sie über eine Finanzausstattung verfügen, die sie hierzu in den Stand setzt (BVerwG, Urteil vom 13. Januar 2013 - 8 C 1/12 -). Um diese Finanzausstattung zu gewährleisten, steht den Gemeinden nach § 93 Abs. 1 Satz 1 HGO das Recht zu, im Rahmen der Gesetze Abgaben zu erheben. Daneben stehen ihnen außerdem gewisse Anteile am Steueraufkommen und schließlich auch Zuweisungen aus Landesmitteln nach Maßgabe des kommunalen Finanzausgleichs zu. Der Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts, der auch dessen finanzielle Voraussetzungen umfasst, bezeichnet zwar die äußerste Grenze des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren - das verfassungsrechtliche Minimum -, das einer weiteren Relativierung nicht zugänglich ist. Denn der Mindestfinanzbedarf der Kommunen stellt einen abwägungsfesten Mindestposten im öffentlichen Finanzwesen des jeweiligen Landes dar (BVerwG, Urteil vom 13. Januar 2013, a. a. O.). Das setzt jedoch im Umkehrschluss voraus, dass die Gemeinden die ihnen zur Verfügung gestellten Einnahmemöglichkeiten - soweit erforderlich - ausschöpfen. Zumindest bei einem nicht ausgeglichenen Haushalt sind sie daher verpflichtet, Abgaben in dem ihnen gesetzlich gestatteten Maße auch zu erheben.

Soweit die Klägerin schließlich meint, eine derartige Beschränkung der gemeindlichen Gestaltungsfreiheit sei nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur bei anhaltender Haushaltsnotlage gerechtfertigt, vermag dieser Einwand nicht zu überzeugen. Nach ihrem eigenen Vorbringen liegen für die Stadt Nidda nur Aufzeichnungen seit 2007 vor, d.h. über einen Zeitraum von jetzt gut sechs Jahren, ohne dass eine konkrete Besserung der finanziellen Situation dargelegt oder sonst ersichtlich wäre. Allein der Umstand, dass die Haushaltsnotlage in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts schon zehn Jahre anhielt ist nicht geeignet, hier eine anhaltende Haushaltsnotlage zu verneinen. Auch der Einwand der Klägerin, von einer anhaltenden Notlage könne nur ausgegangen werden, wenn eine Gemeinde u.a. eine im Verhältnis zu vergleichbaren Gebietskörperschaften überdurchschnittliche und über einen längeren Zeitraum anhaltende Verschuldung aufweise, überzeugt nicht. Insoweit mag es sein, dass sich die Situation der Stadt Nidda wenig oder gar nicht von der anderer Gemeinden unterscheidet und eine gesunde Haushaltsführung in den letzten Jahren in etwa 90 % der hessischen Gemeinden nicht mehr möglich gewesen ist. Das rechtfertigt es jedoch nicht, auf Leistungsentgelte zu verzichten und dadurch die finanzielle Situation der Gemeinde noch weiter zu verschlechtern.