VG Wiesbaden: Fraktion „Bürgerliste Wiesbaden“ hat Anspruch gegen den Magistrat auf Auskunftserteilung über das Gesamtinvestitionsvolumen des Neubaus

09.04.2014

Bei dem Pfeifenhaus handelt es sich um ein ursprünglich in Privateigentum befindliches Gebäude, das seinen Spitznamen infolge eines jahrelang dort betriebenen Pfeifengeschäfts bekommen hat. Es ist in der Wiesbadener Innenstadt, schräg gegenüber dem Mauritiusplatz und unmittelbar an der Ecke zum Eingang in die Kleine Schwalbacher Straße gelegen. Im Jahre 2009 wurde das Pfeifenhaus durch die Stadtentwicklungsgesellschaft Wiesbaden mbH (SEG), einer zu 100 % kommunalen Gesellschaft, gekauft, um eine geordnete städtebauliche Entwicklung, die zur Kleinen Schwalbacher Straße passt, zu gewährleisten. Das Ziel der Weiterveräußerung des Gebäudes wurde später mit der Maßgabe aufgegeben, dass dieses durch die SEG abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden sollte. Danach sollte eine Weitervermietung durch die SEG erfolgen, zu der es letztlich auch gekommen ist.

Am 20.11.2012 fragte die Fraktion Bürgerliste Wiesbaden schriftlich bezüglich des Nachfolgebaus des Pfeifenhauses bei dem Magistrat an: „Welche Kosten hat der Neubau anstelle des Pfeifenhauses inklusive Grundstückserwerb insgesamt verursacht?“.

Nach einem Zwischenbescheid des Magistrats vom 14.01.2013, in dem mitgeteilt wurde, die Geschäftsführung der SEG sei der Auffassung, dass es sich bei den nachgefragten Sachverhalten um Angelegenheiten handele, die als Betriebsgeheimnis anzusehen seien, lehnte der Magistrat die Erteilung der Auskunft mit Schreiben vom 01.07.2013 endgültig ab.

Die von der Bürgerliste Wiesbaden am 05.09.2013 erhobene Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden nun Erfolg. Das Gericht sieht die Anspruchsgrundlage für das Auskunftsbegehren in der Hessischen Gemeindeordnung (§ 50 Abs. 2 Satz 4 und 5 HGO) gegeben, wonach die Überwachung der Verwaltung der Stadt durch die Stadtverordnetenversammlung insbesondere durch Ausübung des Fragerechts in den Sitzungen und durch schriftliche Anfragen erfolgt. Der Magistrat ist danach verpflichtet, Anfragen der Stadtverordneten und der Fraktionen zu beantworten. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

§ 50 Abs. 2 HGO

"Die Gemeindevertretung überwacht die gesamte Verwaltung der Gemeinde, mit Ausnahme der Erfüllung der Auftragsangelegenheiten im Sinne des § 4 Abs. 2, und die Geschäftsführung des Gemeindevorstands, insbesondere die Verwendung der Gemeindeeinnahmen. Sie kann zu diesem Zweck in bestimmten Angelegenheiten vom Gemeindevorstand in dessen Amtsräumen Einsicht in die Akten durch einen von ihr gebildeten oder bestimmten Ausschuss fordern; der Ausschuss ist zu bilden oder zu bestimmen, wenn es ein Viertel der Gemeindevertreter oder eine Fraktion verlangt. Gemeindevertreter, die von der Beratung oder Entscheidung einer Angelegenheit ausgeschlossen sind (§ 25), haben kein Akteneinsichtsrecht. Die Überwachung erfolgt unbeschadet von Satz 2 durch Ausübung des Fragerechts zu den Tagesordnungspunkten in den Sitzungen der Gemeindevertretung, durch schriftliche Anfragen und aufgrund eines Beschlusses der Gemeindevertretung durch Übersendung von Ergebnisniederschriften der Sitzungen des Gemeindevorstands an den Vorsitzenden der Gemeindevertretung und die Vorsitzenden der Fraktionen. Der Gemeindevorstand ist verpflichtet, Anfragen der Gemeindevertreter und der Fraktionen zu beantworten."

Dieser Auskunftsanspruch erstreckt sich nach Auffassung des Gerichts auch auf Angelegenheiten einer Gesellschaft, die der Stadt gehört oder an der die Stadt beteiligt ist, hier die SEG Wiesbaden mbH. Die privatrechtliche Rechtsform der SEG Gesellschaft stehe dem Auskunftsanspruch gerade nicht entgegen. Denn ein Hoheitsträger könne sich öffentlich-rechtlicher Auskunftspflichten nicht dadurch entziehen, dass er zur Erfüllung seiner Aufgaben eine privatrechtliche Organisationsform wählt.

Sinn und Zweck des Fragerechts der Stadtverordneten bestehe in der Überwachung der Tätigkeit des Magistrats. Die Überwachungspflicht finde zwar ihre Grenzen in der Kompetenzverteilung zwischen dem Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung, hier sei aber gerade der Zuständigkeitsbereich des Magistrats betroffen.

Dieses Fragerecht sei nicht unbegrenzt zulässig, es müsse sich auf Angelegenheiten der Stadt beziehen. Insbesondere seien Anfragen zu wichtigen Verwaltungsangelegenheiten der Stadt zulässig, was bei dem streitgegenständlichen Projekt zu bejahen sei. Das Pfeifenhaus sei als ein besonders wichtiges und hervorragendes (Bau-) Projekt mitten in der Innenstadt der Landeshauptstadt Wiesbaden einzustufen und habe auch in der Öffentlichkeit und Presse besonders intensive Beobachtung erfahren. Es sei von der SEG gekauft worden, weil der SEG die Pläne des privaten Eigentümers am Eingang zur Kleinen Schwalbacher Straße als unpassend erschienen seien. In den Jahren davor sei an einer Aufwertung der Gasse gearbeitet worden und die SEG/Stadt habe über die Architektur an der sensiblen Stelle selbst entscheiden wollen. Diese städtebaulichen Aspekte qualifizierten diese Angelegenheit als wichtige Angelegenheit.

Das Gericht vertritt die Auffassung, dass der Magistrat ohnehin von Gesetzes wegen bereits von sich aus verpflichtet sei, die Stadtverordnetenversammlung laufend über die wichtigen Verwaltungsangelegenheiten der Stadt zu unterrichten. Wenn aber schon eine laufende Unterrichtungspflicht des Magistrats gegenüber den Stadtverordnetenversammlung bestehe, so sei er umso mehr verpflichtet, auf entsprechende Anfragen zu einem solchen Projekt die begehrten Auskünfte zu erteilen. Dass es sich bei dem Projekt Pfeifenhaus um eine Angelegenheit der laufenden Verwaltung handele, die gar nicht in den Zuständigkeitsbereich der Stadtverordnetenversammlung falle, sondern in den des Magistrats, konnte das Gericht gerade unter Beachtung des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung vom 21.11.2013 (Nr. 0520) nicht erkennen. Der in diesem Beschluss enthaltene sogenannte Kriterienkatalog zur Auskunftspflicht städtischer Betriebe ziele darauf ab, den Konflikt zwischen den städtischen Betrieben, die meist privatrechtlich organisiert sind, und der Stadtverordnetenversammlung in Bezug auf die Kontrollrechte der Stadtverordnetenversammlung zu lösen und größere Transparenz herzustellen.

Dem Auskunftsrecht stehe auch nicht eine möglicherweise existierende Verschwiegenheitsvereinbarung mit den Grundstücksverkäufern und Grundstückskäufern entgegen, da dieses tatsächliche Interesse der betroffenen Vertragspartner nicht ausreiche, um die Kontrollrechte der Stadtverordnetenversammlung ihrer Art oder ihrem Umfang nach einzuschränken. Ähnlich wie das Steuergeheimnis und der Datenschutz könne eine Verschwiegenheitsvereinbarung dem Auskunftsrecht nicht entgegenstehen. Denn das Auskunftsrecht sei den Stadtverordneten eingeräumt worden, um die Stadtverwaltung effektiv zu kontrollieren, Unzulänglichkeiten aufzudecken, Initiativen auszulösen und auf die Begründung von Maßnahmen drängen zu können.

Da die Anfrage gerade keine detaillierte Auflistung aller einzelnen Posten, sondern die Gesamtkosten betreffe, beziehe sie sich auch nicht unzulässiger Weise ausschließlich auf die Geschäftstätigkeit der SEG bzw. auf rein gesellschaftsinterne Vorgänge der GmbH.

Im Übrigen verwies das Gericht auf die Verpflichtung der Stadtverordneten zur Verschwiegenheit und auf die Möglichkeit, dem Geheimhaltungsbedürfnis des Magistrats in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung z.B. durch Ausschluss der Öffentlichkeit ausreichend Rechnung zu tragen.