VGH Kassel ändert Rechtsprechung zur Interessenkollision nach § 25 HGO

26.03.2014

 

Hintergrund der Entscheidung

Der Kläger ist Gemeindevertreter in der Gemeindevertretung der Gemeinde Grävenwiesbach. Mit seiner Klage wendet er sich gegen seinen Ausschluss von der Beratung und Entscheidung bestimmter Beratungsgegenstände in der Gemeindevertretung und vorbereitenden Sitzungen des Haupt- und Finanzausschusses. Im Jahre 2008 hatte der Kläger - ebenso wie weitere 58 Bürger der Gemeinde - vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Klage gegen die Gebührenbescheide erhoben, mit denen die Wasser- und Abwassergebühren für die Jahre 2006, 2007 und 2008 und die Abfallgebühren für die Jahre 2007 und 2008 festgesetzt worden waren. Mit Urteil vom 4. August 2011 gab das Verwaltungsgericht einer dieser Klagen (3 K 1703/08.F) als "Pilotverfahren" - mit Ausnahme der Festsetzung der Abfallgebühr für das Jahr 2008 - statt und hob die betreffenden Bescheide auf; für die übrigen Klagen wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Das vom Kläger anhängig gemachte Verfahren ist eines der zum Ruhen gebrachten.

Mit Schreiben vom 13. September 2011 lud der Vorsitzende der Gemeindevertreter u.a. den Kläger zur Gemeindevertretersitzung am 20. September 2011 ein. Zur Beratung und Entscheidung stand u.a. die Frage an, ob gegen das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt werden solle. Außerdem sollte die Gemeindevertretung beraten und entscheiden, ob der Gemeindevorstand beauftragt werden solle, Änderungssatzungen hinsichtlich der Wasser- und Abfallgebühren für das Jahr 2006 sowie der Wasser- und Abwassergebühren für die Jahre 2007 und 2008 vorzulegen, um in Anbetracht der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main die Gebühren für die Kläger auch der ruhenden Verfahren rückwirkend neu festzusetzen zu können. In der Sitzung der Gemeindevertretung vom 20. September 2011 wurde - gestützt auf § 25 Abs. 1 Nr. 1 der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) - der Ausschluss von vier Gemeindevertretern - u.a. auch des Klägers - von der Beratung und Entscheidung sowohl hinsichtlich des Zulassungsantrags gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main als auch über den Erlass der Änderungssatzungen mehrheitlich beschlossen. Die Betroffenen verließen daraufhin den Saal.

Mit Schreiben vom 22. September 2011 wurde der Kläger zur Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses der Gemeindevertretung Grävenwiesbach am 28. September 2011 geladen. Zur Beratung und abschließenden Beschlussempfehlung standen auch hier die Entscheidung über die Stellung des Berufungszulassungsantrags gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main und der Erlass von Änderungssatzungen. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Einladung. Auch in dieser Sitzung wurde der Kläger unter Bezugnahme auf § 25 Abs. 1 Nr. 1 HGO von der Beratung und Abstimmung ausgeschlossen und verließ die Versammlung.

Mit seiner am 4. Oktober 2011 beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main erhobenen Klage wandte sich der Kläger gegen seinen Ausschluss von den Beratungen sowohl der Gemeindevertretung als auch des Haupt- und Finanzausschusses. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht, die Voraussetzungen für seinen Ausschluss auf der Grundlage von § 25 Abs. 1 Nr. 1 HGO seien nicht erfüllt gewesen, weil er weder durch die Entscheidung über den Berufungszulassungsantrag noch durch das Votum über den Erlass der Änderungssatzungen einen unmittelbaren Vorteil erlangt habe.

Mit Urteil vom 25. Januar 2012 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das VG im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei zu Recht von den Sitzungen sowohl der Gemeindevertretung als auch des Haupt- und Finanzausschusses unter Bezugnahme auf § 25 Abs. 1 Nr. 1 HGO ausgeschlossen worden. Danach dürfe niemand in haupt- oder ehrenamtlicher Tätigkeit in einer Angelegenheit beratend oder entscheidend mitwirken, wenn er durch die Entscheidung in der Angelegenheit einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil erlangen könne. Hinsichtlich der Entscheidung über den Berufungszulassungsantrag sei eine Interessenkollision in der Person des Klägers bereits deshalb zu bejahen, weil für den Fall eines Verzichts auf die Einlegung eines Rechtsmittels das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig würde und präjudizielle Wirkung auch für die ruhenden Verfahren hätte. Der Vorteil trete auch unmittelbar ein, weil der Gemeindevorstand durch die Entscheidung ohne weiteres ermächtigt werde, erforderliche Rechtsschritte zu unternehmen oder zu unterlassen. Hinsichtlich der Änderungssatzungen sei ebenfalls zu Recht eine Interessenkollision in der Person des Klägers angenommen worden, weil man mit diesen Satzungen Vorsorge habe treffen wollen für den Fall, dass die erstinstanzliche Entscheidung Bestand habe, um auf diese Weise eine Heranziehung der Kläger überhaupt noch zu ermöglichen. Mit dieser Entscheidung weiche das Verwaltungsgericht zwar von der älteren Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ab, wonach es an einem unmittelbaren Vor- oder Nachteil fehle, wenn die Beitragspflicht erst durch einen Heranziehungsbescheid aktualisiert werden müsse; diese Rechtsprechung werde jedoch der vorliegenden Sachlage nicht gerecht.

 

Die Entscheidung

Das Verwaltungsgericht hat nach Ansicht des VGH die Klage zu Recht abgewiesen: Die Beklagten haben den Kläger zu Recht von der Beratung und Beschlussfassung über die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 25. Januar 2012 bzw. über den rückwirkenden Erlass von den Vorgaben dieses Urteils entsprechenden Satzungen ausgeschlossen. Denn in seiner Person liegt der Ausschließungsgrund des § 25 Abs. 1 Nr. 1 HGO vor. Danach darf niemand in haupt- oder ehrenamtlicher Tätigkeit in einer Angelegenheit beratend oder entscheidend mitwirken, wenn er durch die Entscheidung in der Angelegenheit einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann. Sowohl die Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels gegen ein in einem "Pilotverfahren" ergangenes, für den Bürger günstiges Urteil als auch der rückwirkende Erlass von den Urteilsgründen entsprechenden Beitragssatzungen kann für den Kläger eines zum Ruhen gebrachten Parallelverfahrens einen Vor- bzw. Nachtteil bringen, der das Unmittelbarkeitskriterium erfüllt.

Der Kläger ist – so der VGH - in nicht zu beanstandender Weise von der Beratung und Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das zu Lasten der Gemeinde ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main und über den (vorsorglichen) Erlass von Änderungssatzungen hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht als rechtswidrig angesehenen Gebührensatzungen sowohl von den entsprechenden Sitzungen der Gemeindevertretung als auch von denen des Haupt- und Finanzausschusses ausgeschlossen worden. Für den Kläger wurde zu Recht wegen einer drohenden Interessenkollision ein Mitwirkungsverbot nach § 25 Abs. 1 Nr. 1 HGO festgestellt und das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger an diesen Entscheidungen nicht nur als Angehöriger einer Bevölkerungsgruppe beteiligt war.

Nach § 25 Abs. 1 Nr. 1 HGO darf niemand in haupt- oder ehrenamtlicher Tätigkeit in einer Angelegenheit beratend oder entscheidend mitwirken, wenn er durch die Entscheidung in der Angelegenheit einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann. Der Beschluss über die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das zu Lasten der Gemeinde ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main kann auch für den Kläger, obwohl er lediglich Kläger in einem zum Ruhen gebrachten Parallelverfahren ist, einen Vorteil bringen.

Als Vorteil bzw. Nachteil im Sinne dieser Vorschrift kommen alle wirtschaftlichen Interessen in Betracht, also jede Verbesserung oder Verschlechterung der Vermögenssituation. Das umfasst sowohl die Auferlegung von Zahlungspflichten als auch Gewinnerwartungen oder die Beeinträchtigung eines erwarteten Vermögenszuwachses und daneben auch immaterielle Vor- oder Nachteile. Ebenso wie die Kläger des "Pilotverfahrens" wehrt sich auch der Kläger gegen seine Heranziehung zur Zahlung von Wasser-, Abwasser- und Abfallgebühren in den Jahren 2006 bis 2008 und verfolgt damit das gleiche Klageziel wie diese. Die Entscheidung der Gemeindevertretung über die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das in dem "Pilotverfahren" ergangene Urteil betraf daher auch ihn. Denn mit einer Entscheidung der Gemeindevertretung, kein Rechtsmittel einzulegen, wäre das Urteil rechtskräftig geworden und hätte zugleich präjudizierende Wirkung auch für die Klageverfahren der übrigen 58 Kläger entfaltet.

Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegen halten, unabhängig davon, ob in dem "Pilotverfahren" ein Rechtsmittel eingelegt werde oder nicht, bleibe sein Gebührenrechtsstreit ein eigenständiges, davon unabhängiges Verfahren; demgemäß könnten auch beide Seiten ins Rechtsmittel gehen und zwar völlig unabhängig davon, wie das "Pilotverfahren" ausgehe. Denn auch wenn es sich bei dem vom Kläger betriebenen Gebührenrechtsstreit um ein eigenständiges Verfahren handelt, so liegt doch der Sinn eines solchen "Pilotverfahrens" gerade darin, in einem Verfahren grundlegende Rechtsfragen klären zu lassen, um aus dem Prozessergebnis Konsequenzen für die übrigen, zum Ruhen gebrachten Verfahren ziehen zu können. Zweckmäßig ist das Ruhen des Verfahrens daher vor dem Hintergrund der Prozesswirtschaftlichkeit und der gerichtlichen Prozessförderungspflicht nur dann, wenn Gründe vorliegen, aufgrund derer zu erwarten steht, jedenfalls aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Förderung des stillzulegenden Verfahrens durch Maßnahmen außerhalb des Verfahrens in absehbarer Zeit erfolgen wird. Die Durchführung eines solchen "Pilotverfahrens" ist daher als wichtiger Grund für eine Ruhensanordnung anerkannt, zumal eine Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO in solchen Konstellationen gerade nicht in Betracht kommt, da die zu klärende Frage für das Verfahren nicht vorgreiflich ist, sich vielmehr dieselbe Frage in einer Mehrzahl von Verfahren stellt. Dann aber liegt es auf der Hand, dass das Ergebnis des Verfahrens Auswirkungen auch auf die zum Ruhen gebrachten Verfahren haben kann. Für die Annahme eines Kollisionsfalles genügt es aber, dass die Möglichkeit der Erlangung eines Vor- oder Nachteils besteht. Es ist nicht notwendig, dass der Vor- oder Nachteil mit der Entscheidung tatsächlich eintritt, ausreichend ist vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit bei normalem Lauf der Dinge.

Zu Recht ist das Verwaltungsgericht auch davon ausgegangen, dass dem Kläger durch einen Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das in dem "Pilotverfahren" ergangene Urteil auch ein unmittelbaren Vor- bzw. Nachteil erwachsen konnte. Die Annahme eines unmittelbarer Vor- oder Nachteils ist nicht auf die Fälle direkter Kausalität beschränkt; maßgeblich kommt es vielmehr darauf an, ob der Gemeindevertreter aufgrund besonderer persönlicher Beziehungen zu dem Gegenstand der Beschlussfassung ein individuelles Sonderinteresse an der Entscheidung hat, das zu einer Interessenkollision führen kann und die Besorgnis einer beeinflussten Stimmabgabe rechtfertigt. Denn Sinn und Zweck dieser Regelung ist es in erster Linie sicherzustellen, dass die öffentliche Verwaltung auf kommunaler Ebene unparteiisch und uneigennützig handelt. Bereits der Anschein von Korruption und Selbstbegünstigung soll vermieden, das Ansehen der kommunalen Verwaltung in der Öffentlichkeit und das Vertrauen in die Objektivität der Verwaltungsführung sollen gesichert werden. Die Gemeindevertreter sollen ihre Tätigkeit ausschließlich nach dem Gesetz und ihrer freien, nur durch Rücksichtnahme auf das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung ausrichten. Zugleich sollen ihnen damit persönliche Konfliktsituationen erspart werden.

Davon ausgehend kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die streitbefangene Entscheidung ohne Zwischenschritte zu einem Vor- oder Nachteil führt, sondern ob diese ein konkretes Eigeninteresse des Gemeindevertreters berührt, welches ihn aus der Gruppe der Gemeindebürger heraushebt und in besonderer Weise betrifft. Soweit der Hessische Verwaltungsgerichtshof in der Vergangenheit einen sehr formalen Standpunkt vertreten und allein darauf abgestellt hat, ob die Entscheidung "ohne Hinzutreten eines weiteren Umstandes eine natürliche Person direkt berührt" - direkte Kausalität - (Urteil des VGH Kassel vom 10. März 1981 - II OE 12/80 -, NVwZ 1982, S. 44), hält der nunmehr für das Kommunalrecht zuständige 8. Senat an dieser Rechtsprechung nicht länger fest. Sie vermag - ausgehend vom Sinn und Zweck dieser Regelung - die Problematik nicht hinreichend zu lösen, weil danach selbst offensichtliche Fälle der Verfolgung eigener Interessen nicht vom Mitwirkungsverbot erfasst würden. Denn sogar der Beschluss über den Verkauf eines Grundstücks an einen Gemeindevertreter würde danach keinen unmittelbaren Vorteil bewirken, weil der Verkauf erst durch den Abschluss eines notariell beurkundeten Kaufvertrages zustande käme. Dagegen lässt sich überzeugend auch nicht einwenden, lediglich die formale Betrachtungsweise vermittele den Gemeindeorganen die notwendige Rechtssicherheit für die Entscheidung, welche der Gemeindevertreter an der Beschlussfassung teilnehmen dürfen. Zum einen wird den Gemeindevertretern von der HGO auch an anderer Stelle der (richtige) Umgang mit unbestimmten Rechtsbegriffen abverlangt, und zum anderen werden in Rechtsprechung und Literatur Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen, die von den Gemeindevertretern ebenfalls wertende Entscheidungen verlangen, etwa dann, wenn es um Einzelfallentscheidungen geht, die zwar noch der Umsetzung bedürfen, bei denen aber bereits die Beschlussfassung schon eine Rechtsposition für den Betroffenen schafft.

Die Anwendung des Mitwirkungsverbots nach § 25 Abs. 1 Nr. 1 HGO ist hier auch nicht nach Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift suspendiert, weil der Kläger an den in Rede stehenden Entscheidungen nicht nur als Vertreter einer Bevölkerungsgruppe beteiligt war. Nach dieser Norm gilt das Mitwirkungsverbot dann nicht, "wenn jemand an der Entscheidung lediglich als Angehöriger einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe beteiligt ist, deren gemeinsame Interessen durch die Angelegenheit berührt werden". Mit dieser Regelung trägt der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung, dass die Gemeindevertreter als Einwohner der Gemeinde von örtlichen Entscheidungen und Beschlussfassungen in gewisser Weise grundsätzlich immer auch selbst betroffen sind, weil nach § 32 Abs. 1 HGO nur Personen das passive Wahlrecht zusteht, die seit mindestens sechs Monaten in der Gemeinde ihren Wohnsitz haben. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass jeder Beschluss der Gemeindevertretung auch deren Mitglieder bis zu einem gewissen Grade tangiert. Ein Mitwirkungsverbot nach § 25 Abs. 1 HGO kann daher nur durch ein Individualinteresse, nicht aber ein kollektives Interesse, das den Betroffenen (lediglich) als Teil einer bestimmten Berufs- oder Bevölkerungsgruppe berührt, gerechtfertigt sein. Denn es liegt im Wesen der repräsentativen Demokratie in einer modernen pluralistischen Gesellschaft, dass die verschiedenen Berufs- und Bevölkerungsgruppen über die politischen Parteien bewusst solche Personen in die demokratisch gewählten Repräsentationsorgane entsenden, die ihnen aus weltanschaulichen oder wirtschaftlichen Gründen nahestehen. Dabei ist es unvermeidlich, dass die Gewählten sich zugleich auch als Vertreter ihres Berufsstandes oder ihrer Bevölkerungsschicht verstehen. Diesem Umstand trägt § 25 Abs. 1 Satz 2 HGO Rechnung. Insoweit kommt es daher für den Geltungsbereich des Mitwirkungsverbotes maßgeblich weniger auf den Grund der Beteiligung als vielmehr auf die Betroffenheit des Einzelnen als Angehöriger des genannten Personenkreises durch die Entscheidung an; die Gesetzesformulierung ist insoweit missverständlich. Das Mitwirkungsverbot gilt somit nicht, wenn die Entscheidung nur die gemeinsamen Interessen einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe berührt, wobei als Bevölkerungsgruppe eine größere Anzahl von Gemeindeeinwohnern anzusehen ist, die ein gemeinsames, d. h. im Wesentlichen identisches, Interesse bzw. Interessenbündel miteinander verbindet. Demgemäß ist eine Gruppe umso eher anzunehmen, je allgemeiner und abstrakter sich die die Personenmehrheit eingrenzenden Merkmale gestalten und je größer die Anzahl der Interessenträger in der Gemeinde ausfällt. Sind die Folgen einer bestimmten Entscheidung dagegen von vorneherein ohne weiteres individualisierbar, scheidet die Annahme einer Gruppe aus - wobei die Grenze durchaus fließend verläuft. Davon ausgehend ist eine Entscheidung dann individualisierbar, wenn sie sich auf den kommunalen Mandatsträger so "zuspitzt", dass er quasi als Adressat der Entscheidung anzusehen ist.

Das vorausgesetzt ist der Kläger an den streitgegenständlichen Entscheidungen hinsichtlich der Einlegung eines Rechtsmittels gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil hier nicht lediglich als Vertreter einer Bevölkerungsgruppe betroffen, denn die insgesamt 59 Kläger, die gegen ihre Gebührenbescheide gerichtlich vorgegangen sind, verbindet kein gemeinsames (politisches) Interesse. Jeder versucht vielmehr die für ihn und sein Grundstück für die Vergangenheit festgesetzte Gebührenlast zu vermindern. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht daher davon ausgegangen, dass es sich hier lediglich um ein Bündel von Individualinteressen handelt, die jeder für sich und im eigenen Interesse verfolgt.

Soweit der Kläger darüber hinaus in den Sitzungen der Gemeindevertretung vom 20. September und 4. Oktober und des Haupt- und Finanzausschusses vom 28. September und 4. Oktober 2011 von der Beratung und Entscheidung über den Erlass von Änderungssatzungen zur Vermeidung drohender Festsetzungsverjährung ausgeschlossen worden ist, sind auch diese Beschlüsse rechtmäßig. Nach dem oben Gesagten wurde auch insoweit für den Kläger zu Recht wegen einer drohenden Interessenkollision ein Mitwirkungsverbot nach § 25 Abs. 1 Nr. 1 HGO festgestellt.

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger mit der Entscheidung über den Erlass rückwirkender Satzungen ein unmittelbarer Vorteil bzw. Nachteil entstehen konnte ist, weil mit dem Erlass der Satzungen die angefochtenen Bescheide rückwirkend auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt und die beanstandeten Mängel geheilt werden sollten. Denn dadurch wurde die Möglichkeit der Heranziehung der 59 Kläger zu den Wasser-, Abwasser- und Abfallgebühren in den streitigen Jahren sichergestellt und zugleich ein Erfolg des "Pilotverfahrens" in der zweiten Instanz und damit auch der weiteren 58, noch beim Verwaltungsgericht anhängigen Klagen verhindert.

Im Unterschied zu der Beratung und Beschlussfassung hinsichtlich der Einlegung eines Rechtsmittels gegen das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main geht es hier zwar um die Beteiligung des Klägers beim Erlass von Abgabensatzungen und damit um seine Mitwirkung bei der Rechtssetzung auf örtlicher Ebene. Denn nach Art. 28 Abs. 2 GG i. V. m. § 5 Abs. 1 HGO steht den Kommunen das Recht zu, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft durch Satzung und damit durch den Erlass abstrakt-genereller Regelungen zu lenken. Abgabensatzungen betreffen daher grundsätzlich den mit der Entscheidung befassten Gemeindevertreter nicht personenbezogen. Sie haben abstrakten-generellen Charakter und belasten - anders als etwa ein Bebauungsplan, der einem überschaubaren Kreis von Grundstückseigentümern direkt Rechte und Pflichten zuweist - alle diejenigen gleichmäßig, die einen abgabenrechtlichen Tatbestand der Satzung erfüllen. Abstrakt-generelle Normen vermögen daher regelmäßig keine unmittelbaren Vor- oder Nachteile zu begründen, da sie keine konkreten Einzelfälle regeln, sondern mit ihnen lediglich Regeln geschaffen werden, an Hand derer die Gemeindeverwaltung das gedeihliche Zusammenleben ihrer Einwohner organisiert. Erst durch Subsumtion und Anwendung auf den Einzelfall wird ihr Inhalt konkretisiert und ein Vor- bzw. Nachteil für den Einzelnen begründet. Allein der Umstand, dass die Gemeindevertreter als Einwohner der Gemeinde von diesen Regelungen grundsätzlich immer auch selbst betroffen sind, rechtfertigt daher in diesen Fällen regelmäßig nicht die Annahme einer Interessenkollision i. S. d. § 25 HGO. Der Vor- oder Nachteil beruht gewöhnlich vielmehr allein auf der Zugehörigkeit des einzelnen Gemeindevertreters zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe mit der Folge, dass er nach § 25 Abs. 1 Satz 2 HGO vom Mitwirkungsverbot ausgenommen ist.

Gleichwohl ist das Verwaltungsgericht hier auch insoweit zu Recht von einem Mitwirkungsverbot für den Kläger im Hinblick auf den (rückwirkenden) Erlass der Abgabensatzungen ausgegangen, weil in der Person des Klägers durch die Anfechtung der gegen ihn ergangenen Abgabenbescheide eine Sonderbetroffenheit entstanden ist, die ihn aus der Gruppe der zur Zahlung von Abwasser- und Abfallgebühren allgemein verpflichteten Gemeindeeinwohner heraushebt. Denn mit dem Erlass dieser Satzungen wollte die Gemeinde Vorsorge treffen für den Fall, dass sich die vom Verwaltungsgericht monierten Mängel auch in der zweiten Instanz als zutreffend erweisen sollten und diejenigen Gemeindeeinwohner, die ihre Bescheide angefochten haben, u.U. nicht mehr zur Zahlung der Beiträge für die hier in Rede stehenden Zeiträume würden herangezogen werden können. Zweck dieser Satzungen war daher vor allem, die angegriffenen Bescheide rückwirkend gem. § 3 Abs. 2 KAG auf eine tragende Grundlage zu stellen und die Betroffenen trotz ihres obsiegenden Urteils zu den auf sie entfallenden Gebühren heranziehen zu können. Sie betraf mithin einen Kreis individueller Betroffener und hatte auch keine Auswirkungen darüber hinaus, da die Bescheide der übrigen Einwohner bestandskräftig geworden waren.

Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, die nunmehr rückwirkend in Kraft gesetzten Satzungen beträfen das gesamte Gemeindegebiet; sämtliche der vom Verwaltungsgericht beanstandeten Satzungen seien rechtswidrig mit der Folge, dass auch die auf ihnen beruhenden Bescheide rechtswidrig seien. Denn dieser Umstand ändert nichts daran, dass diese Bescheide bestandskräftig sind und daher weiterhin Gültigkeit haben. Allein der Umstand, dass auch sie möglicherweise von der Gemeindeverwaltung nach § 48 VwVfG aufgehoben werden könnten, ändert nichts an der ihnen zugrundeliegenden Zwecksetzung, die Heranziehung der 59 Kläger zu Wasser-, Abwasser- und Abfallgebühren zu ermöglichen.

Dieses Verständnis des § 25 HGO gefährdet auch die Funktionsfähigkeit der Gemeindevertretung nicht in unvertretbarem Umfang. Den Kritikern ist zwar zuzugeben, dass die Mitwirkungsverbote der Gemeindeordnungen gerade beim Erlass von Satzungen im Spannungsfeld zwischen dem - parlamentsrechtlichen - Grundsatz der freien Mandatsausübung und dem - eher der Exekutive zuzurechnenden - Gedanken der unparteiischen Amtsführung stehen mit der Folge, dass der Ausschluss von Mandatsträgern bei Rechtssetzungsakten als Ausnahme anzusehen ist. Bei der Auslegung des § 25 HGO ist daher im Interesse einer möglichst hohen Funktionsfähigkeit der gemeindlichen Selbstverwaltungsorgane bis zu einem gewissen Grade persönliches Engagement der Gemeindevertreter hinzunehmen zumal nur ortsansässigen Personen das passive Wahlrecht zusteht. Es liegt in der Natur der Sache, dass jeder Beschluss der Gemeindevertretung auch deren Mitglieder tangiert. Andererseits darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Gemeindevertretung - auch wenn sie aus Wahlen i. S. d. Art 28 Abs. 1 Satz 2 GG hervorgeht und den Bürgern durch die ihnen gem. § 18 Abs. 1 Nr. 3 und 4 KWG eröffnete Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens eine erhöhte Einflussnahme auf die personelle Zusammensetzung der Gemeindevertretung gewährt wird - in staatsorganisatorischer Hinsicht kein Parlament, sondern das Selbstverwaltungsorgan der Exekutive ist. Eine grundsätzlich mandatsfreundliche Auslegung des § 25 HGO ist daher nicht sachgerecht.

Dem kann der Kläger schließlich auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dieses Verständnis des Mitwirkungsverbotes führe zu einer nicht hinnehmbaren Einschränkung der Gemeindevertreter bei der Ausübung ihres Mandats, da es ihnen danach verwehrt sei, sich privat gegen ihnen rechtswidrig erscheinende Gebührenbescheide zu wehren und zugleich politisch für eine Änderung der entsprechenden Satzungen einzutreten. Denn niemand hindert die Betroffenen hier, sich für eine zukünftige Änderung der entsprechenden Gebührensatzungen einzusetzen. Die rückwirkende Änderung der hier in Rede stehenden Wasser-, Abwasser- und Abfallsatzungen betraf hingegen konkret die 59 gegen ihre Abgabenbescheide im Klagewege vorgehenden Gemeindeeinwohner, denn dadurch wurde ein in der Vergangenheit abgeschlossener, individualisierbarer Vorgang neu geregelt mit der Folge, dass dem entsprechenden Beschluss für die davon Betroffenen erhebliche Vor- bzw. Nachteile immanent waren.