BVerwG: EuGH-Vorlage zur Weservertiefung – Vereinbarkeit mit Wasserrahmenrichtlinie fraglich

17.07.2013

Durch den Planfeststellungsbeschluss der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nordwest vom 15.07.2011 soll die Erreichbarkeit der Häfen Bremerhaven, Brake und Bremen verbessert werden. Die Außenweser soll vertieft werden, so dass Bremerhaven tideunabhängig von Großcontainerschiffen mit einem Abladetiefgang bis zu 13,5 m erreicht werden kann. Die Unterweser soll vertieft werden, so dass Brake von Schiffen mit einem Abladetiefgang bis zu 12,8 m und Bremen von Schiffen mit einem Abladetiefgang bis zu 11,1 m – jeweils tideabhängig – erreicht werden kann.

Ob die Vertiefung der Weser mit der in deutsches Recht umgesetzten Wasserrahmenrichtlinie der EU vereinbar ist, hänge von noch ungeklärten Fragen des Unionsrechts ab, deren Beantwortung dem EuGH vorbehalten sei. Das BVerwG hat dem EuGH folgende vier Fragen zur Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie vorgelegt:

1. Ist Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) i) der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2009 (im Folgenden Wasserrahmenrichtlinie) dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten – vorbehaltlich der Erteilung einer Ausnahme – verpflichtet sind, die Zulassung eines Projekts zu versagen, wenn dieses eine Verschlechterung des Zustandes eines Oberflächenwasserkörpers verursachen kann oder handelt es sich bei dieser Regelung um eine bloße Zielvorgabe für die Bewirtschaftungsplanung?

2. Ist der Begriff "Verschlechterung des Zustands" in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) i) der Wasserrahmenrichtlinie dahin auszulegen, dass er nur nachteilige Veränderungen erfasst, die zu einer Einstufung in eine niedrigere Klasse gemäß Anhang V der Richtlinie führen?

3. Falls die Frage 2 zu verneinen ist: Unter welchen Voraussetzungen liegt eine "Verschlechterung des Zustands" i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) i) der Wasserrahmenrichtlinie vor?

4. Ist Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) ii) sowie iii) der Wasserrahmenrichtlinie dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten – vorbehaltlich der Erteilung einer Ausnahme – verpflichtet sind, die Zulassung eines Projekts zu versagen, wenn dieses die Erreichung eines guten Zustands eines Oberflächengewässers bzw. eines guten ökologischen Potentials und eines guten chemischen Zustands eines Oberflächengewässers zu dem nach der Richtlinie maßgeblichen Zeitpunkt gefährdet oder handelt es sich bei dieser Regelung um eine bloße Zielvorgabe für die Bewirtschaftungsplanung?

Klärungsbedürftig ist nach Ansicht des BVerwG, ob das sog. Verschlechterungsverbot eine bloße Zielvorgabe für die Bewirtschaftungsplanung der Gewässer darstelle oder ob die Zulassung eines Projekts grundsätzlich zu versagen sei, wenn es eine Verschlechterung des Gewässerzustands verursachen könne (Frage 1), unter welchen Voraussetzungen von einer "Verschlechterung des Zustands" auszugehen sei (Fragen 2 und 3) und welche Bedeutung dem sog. Verbesserungsgebot neben dem Verschlechterungsverbot zukomme (Frage 4). Die Fragen seien entscheidungserheblich, da die von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion vorsorglich zugelassene Ausnahme vom Verschlechterungsverbot nicht auf einer hinreichenden Tatsachenermittlung und -bewertung beruhe, und sie eine eigenständige Bedeutung des Verbesserungsgebots für die Zulassung der Vorhaben verneint habe.

Außerdem hat das BVerwG die Beteiligten darauf hingewiesen, dass unabhängig von den Fragen des Wasserrechts gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses Bedenken bestehen.

Abgesehen von den wasserrechtlichen Fragen bestünden nach dem Ergebnis der dreitägigen mündlichen Verhandlung vom 15. bis 17.05.2013 durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses. Sie würden in einer abschließenden Entscheidung im gegenwärtigen Zeitpunkt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses führen. Die Fragen zur Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie verlieren dadurch nicht ihre Entscheidungserheblichkeit. Sollte der Planfeststellungsbeschluss auch wegen eines Verstoßes gegen das Wasserrecht rechtswidrig sein, müsste das BVerwG dies in seinem Urteil feststellen, damit ggf. auch dieser Fehler in einem ergänzenden Verfahren behoben werden könne.

Gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses bestehen nach Auffassung des BVerwG folgende Bedenken:

1. Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion sei davon ausgegangen, dass der Ausbau der Außenweser bis Bremerhaven und der Ausbau der Unterweser von Bremerhaven bis Bremen jeweils selbstständige Vorhaben seien, die unabhängig voneinander verwirklicht werden könnten. Sie habe über die Zulassung dieser Vorhaben nicht aufgrund jeweils gesonderter Umweltverträglichkeitsprüfungen, Abweichungsprüfungen im Rahmen des FFH- und des Wasserrechts und fachplanungsrechtlicher Abwägungen entschieden, sondern jeweils lediglich die sog. Überlagerungsvariante geprüft, d.h. eine Gesamtprüfung für den Fall der kumulativen Verwirklichung beider Vorhaben vorgenommen. Die von den einschlägigen Gesetzen geforderte Prüfung der Zulassungsfähigkeit jedes Einzelvorhabens werde durch eine solche Gesamtprüfung jedoch nicht entbehrlich. Die mit dem Ausbau der Außenweser verfolgten Ziele könnten zur Rechtfertigung der Vertiefung der Unterweser nichts beitragen; gleiches gelte umgekehrt. Abgesehen hiervon seien die Vertiefung der Unterweser von Bremerhaven bis Brake und von Brake bis Bremen ebenfalls selbstständige Vorhaben, denn auch diese Maßnahmen können unabhängig voneinander verwirklicht werden, ohne dass die Zielerreichung auch nur teilweise beeinträchtigt werde; die Fahrrinne der Unterweser von Bremerhaven bis Brake sei bereits heute tiefer als die Fahrrinne von Brake bis Bremen nach dem Planfeststellungsbeschluss sein soll. Zudem hätten die Umweltverträglichkeitsprüfungen auf die durch eine Planänderung in das Verfahren eingeführte "Vermeidungslösung" erstreckt werden müssen; die "Vermeidungslösung" soll einen Anstieg des Salzgehalts im Grabensystem des Binnendeichs verhindern.

2. Unabhängig hiervon leide die Prüfung der FFH-Verträglichkeit im Hinblick auf die im EU-Vogelschutzgebiet "Unterweser" nistenden Wiesenbrüter, die ausbaubedingte Stromaufverschiebung der Brackwasserzone und die Auflagen zum Schutz der Fischart Finte an Fehlern. Die Fristen für die Umsetzung der Maßnahmen zur Sicherung der Kohärenz der beeinträchtigten Natura-2000-Gebiete seien zu lang, ihre Verwirklichung sei, soweit sie des Einvernehmens Dritter bedürfen, nicht hinreichend sichergestellt. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Naturschutzgebiets "Untere Wümme" durch eine Zunahme der schon heute stattfindenden Ufererosionen hätte ebenfalls nicht verneint werden dürfen.

Im Übrigen bestünden keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses, so das BVerwG. Gegenwärtig darf mit dem Ausbau der Weser allerdings nicht begonnen werden.