VGH Mannheim: Angemessenheit einer Fristverkürzung nach § 4a Abs. 3 Satz 3 BauGB richtet sich danach, ob der Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung noch erfüllt werden kann

15.04.2013

Zunächst stellt der VGH fest, dass auch dann, wenn ein Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB aufgestellt worden ist, die Durchführung der öffentlichen Auslegung an § 3 Abs. 2, § 4a Abs. 3 BauGB zu messen sei. Zwar habe die Gemeinde gemäß § 13a Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 13 Abs. 2 Nr. 2 BauGB die Möglichkeit, anstelle der öffentlichen Auslegung nach § 3 Abs. 2 BauGB nur der betroffenen Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemessener Frist zu geben. Davon habe die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall aber keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr habe sie sich für die Durchführung der öffentlichen Auslegung nach § 3 Abs. 2 BauGB entschieden; dann aber würden auch die Vorgaben dieser Norm mit den bei erneuter Auslegung eingeräumten Möglichkeiten des § 4a Abs. 3 BauGB gelten.

Zur Fristverkürzung auf 12 Tage führt das Gericht aus:

„Nach § 4a Abs. 3 Satz 3 BauGB kann die Gemeinde bei der erneuten Offenlage des Planentwurfs nach seiner Änderung oder Ergänzung die gemäß § 4a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauGB einmonatige Dauer der Auslegung und die entsprechende Frist zur Stellungnahme angemessen verkürzen. Die hier vorgenommene Verkürzung auf den Zeitraum von zwölf Tagen war jedoch nicht mehr angemessen.

Eine Definition dessen, was angemessen ist, enthält das Gesetz nicht. Es bestimmt, anders als seine Vorläuferregelung in § 3 Abs. 3 Satz 2 BauGB 1998, auch keine Untergrenze für die Verkürzung. Den Gesetzgebungsmaterialien ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber sich bewusst gegen eine solche Mindestfrist entschieden hat. Denn die in den ursprünglichen Gesetzentwurf in Anlehnung an § 3 Abs. 3 Satz 2 BauGB 1998 aufgenommene Formulierung „bis auf zwei Wochen“ wurde entsprechend der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ersetzt durch den Begriff „angemessen“. In der Literatur wird zwar vertreten, dass eine Zwei-Wochen-Frist regelmäßig nicht unterschritten werden sollte, auch wenn sie nicht die Untergrenze für eine Fristverkürzung darstelle. Eine echte Regel in diesem Sinne ist aber mit der Weite des gesetzlichen Begriffs „angemessen“ und der Entstehungsgeschichte der Norm nicht zu vereinbaren. Der von der Antragsgegnerin für die Auslegung und Stellungnahme gewählte Zeitraum ist daher nicht schon deshalb unangemessen kurz, weil er zwei Wochen unterschreitet und kein atypischer Fall einer Änderung oder Ergänzung eines Planentwurfs vorliegt.

Die unangemessene Kürze des gewählten Zeitraums ergibt sich vielmehr daraus, dass er nach Würdigung aller Umstände nicht ausreichend war, um den Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung zu erfüllen.

Ziel der Regelung in § 4a Abs. 3 Satz 3 BauGB ist nach der Intention des Gesetzgebers zwar die Verfahrensbeschleunigung. Darauf weist die Begründung der Beschlussempfehlung zu der Regelung - wenn auch nur mit Blick auf die Behördenbeteiligung - ausdrücklich hin. Die Gemeinde darf das Verfahren jedoch, da sie eine Öffentlichkeitsbeteiligung nicht ganz entfallen lassen darf, nur in dem Maße beschleunigen, in dem der Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung noch gewahrt bleibt. Nach dem „programmatischen Hinweis“ des Gesetzgebers in § 4a Abs. 1 BauGB dient die Öffentlichkeitsbeteiligung ebenso wie die Behördenbeteiligung insbesondere der vollständigen Ermittlung und zutreffenden Bewertung der von der Planung berührten Belange.

Dieser Ansatz der Stärkung des Verfahrensrechts geht auf das Europarecht zurück. Anlass für das Europarechtsanpassungsgesetz Bau - EAG Bau -, mit dem u. a. die Regelung des § 4a in das BauGB eingefügt wurde, waren die Vorgaben der Plan-UP-Richtlinie - Richtlinie 2001/42/EG - sowie der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie - Richtlinie 2003/35/EG -. Das Ziel dieser Richtlinien ist u.a. die Sicherstellung einer frühzeitigen und effektiven Öffentlichkeitsbeteiligung (vgl. etwa Art. 2 Abs. 2 der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie). Art. 6 Abs. 2 der Plan-UP-Richtlinie bestimmt sogar ausdrücklich, dass der Öffentlichkeit innerhalb ausreichend bemessener Fristen frühzeitig und effektiv Gelegenheit zu geben ist, zum Planentwurf Stellung zu nehmen. In Erwägungsgrund Nr. 15 wird die Notwendigkeit betont, die Öffentlichkeit während der Prüfung von Plänen zu konsultieren und angemessene Fristen festzulegen, die genügend Zeit für Konsultationen einschließlich der Abgabe von Stellungnahmen lassen. Die Stellungnahmen sollen bei der Ausarbeitung des Plans Berücksichtigung finden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 17 zur Plan-UP-Richtlinie). Die Öffentlichkeitsbeteiligung wird damit als ein Baustein zur Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung verstanden (vgl. Art. 1 der Plan-UP-Richtlinie).

Mit den Neuregelungen in § 4a BauGB wollte der Gesetzgeber diesen europarechtlichen Ansatz, „die angestrebte inhaltliche Qualität von Entscheidungen - insbesondere im Hinblick auf ein hohes Umweltschutzniveau - durch die Ausgestaltung des Verfahrens mit umfangreicher Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung zu gewährleisten“, für die Bauleitplanung nutzbar machen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 15/2250, S. 45). Bebauungspläne der Innenentwicklung wie den hier vorliegenden nach § 13a BauGB wollte er davon nicht ausnehmen. Sie fallen zwar, wenn sie nur die Nutzung kleiner Gebiete auf lokaler Ebene festlegen und voraussichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen haben, nicht unter die Plan-UP-Richtlinie (vgl. Art. 3 Abs. 3 bis 5 der Richtlinie) und führen - sofern die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 13a BauGB für die Durchführung des beschleunigten Verfahrens vorliegen - demzufolge auch nicht zu einer Umweltprüfung (§ 13a Abs. 2 Nr. 2 BauGB i. V. m. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Dennoch sieht das BauGB auch für diese Bebauungspläne vor, dass der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Information über und zur Äußerung zur Planung zu geben ist (§ 13a Abs. 3 Nr. 2 BauGB) und entweder die Auslegung nach § 3 Abs. 2 BauGB durchgeführt oder der betroffenen Öffentlichkeit (vgl. dazu die Definition in Art. 2 Nr. 5 des Aarhus-Übereinkommens) Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemessener Frist gegeben wird (§ 13a Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 13 Abs. 2 Nr. 2 BauGB). Auch im beschleunigten Verfahren markiert daher der Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung, „eine materiell richtige Entscheidung durch sorgfältige Ermittlung und Bewertung der von der Planung berührten Belange“ zu gewährleisten (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 15/2250, S. 32), die Grenze für eine zulässige Fristverkürzung.

Eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung setzt voraus, dass die Öffentlichkeit zunächst die Möglichkeit erhält, sich ausreichend zu informieren, und anschließend noch genügend Zeit verbleibt, um substantiiert Stellung zu nehmen. Ausgangspunkt ist dabei die gesetzliche Wertung, dass bei der erstmaligen öffentlichen Auslegung eines Bebauungsplanentwurfs der Zeitraum von einem Monat für die Auslegung und die Möglichkeit zur Stellungnahme ausreicht, um dem Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung Rechnung zu tragen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Satz 2, 2. Halbsatz BauGB), und diese Frist auch bei der erneuten Auslegung gilt (§ 4a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 2 BauGB), wenn die Gemeinde nicht von der Möglichkeit der Fristverkürzung nach § 4a Abs. 3 Satz 3 Gebrauch macht. Um wie viele Tage die einmonatige Frist verkürzt werden kann, ohne die qualitätssichernde Funktion der Öffentlichkeitsbeteiligung zu beeinträchtigen, kann nur unter Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls festgestellt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, wie weit das vorangegangene Verfahren bereits das wesentliche Abwägungsmaterial vermittelt hat(vgl. BayVGH, Urteil vom 05.02.2009 - 1 N 07.2713 -, juris). Davon kann umso mehr ausgegangen werden, je geringfügiger die Änderungen und Ergänzungen des zunächst ausgelegten Entwurfs sind und umso weniger, je umfangreicher und komplexer sie sind. Hat die Gemeinde, wie hier, von der Beschleunigungsmöglichkeit des § 4a Abs. 3 Satz 2 BauGB Gebrauch gemacht, dass Stellungnahmen nur zu den geänderten oder ergänzten Teilen abgegeben werden können, kann neues Abwägungsmaterial ohnehin nur hinsichtlich der Änderungen und Ergänzungen entstehen.

Entscheidend für die Bemessung der Frist sind daher vor allem der Umfang und die Komplexität der Änderungen und Ergänzungen. Aber auch ihre Bedeutung für die Planungskonzeption insgesamt ist in den Blick zu nehmen. Zwar hat der Gesetzgeber die Möglichkeit der Fristverkürzung anders als die Möglichkeit der beschränkten Einholung von Stellungnahmen nach § 4a Abs. 3 Satz 4 BauGB nicht davon abhängig gemacht, dass die Änderungen oder Ergänzungen die Grundzüge der Planung nicht berühren. Dennoch belegt die Wertung in § 4a Abs. 3 Satz 4 BauGB (ähnlich auch § 13 Abs. 1 und 2 BauGB), dass ein Zusammenhang zwischen dem erforderlichen Maß an Öffentlichkeitsbeteiligung und der Bedeutung der Änderungen und Ergänzungen für die Planungskonzeption insgesamt besteht.

Nicht zuletzt setzt eine ausreichende Informations- und Stellungnahmemöglichkeit auch voraus, dass der Öffentlichkeit genügend Zeit bleibt, sich mit den ausgelegten Unterlagen, also nicht nur dem Planentwurf, sondern auch seiner Begründung sowie den nach§ 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB i. V. m. § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB auszulegenden, nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen umweltbezogenen Stellungnahmen zu befassen. Maßstab ist dabei, nachdem es um die Beteiligung der nicht weiter eingeschränkten Öffentlichkeit geht (vgl. dazu auch Art. 2 Nr. 4 des Aarhus-Übereinkommens), der interessierte, mündige Bürger (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29.01.2009 - 4 C 16.07 -, BVerwGE 133, 98; zu diesem Maßstab siehe auch Urteil des VGH Mannheim vom 01.03.2007 - 3 S 129/06 -, BWGZ 2007, 509 ff.).

Nach diesen Kriterien waren die Auslegungsdauer und die Stellungnahmefrist hier unangemessen kurz; sie haben weder eine ausreichende Informationsmöglichkeit noch eine genügende Möglichkeit zur Stellungnahme gewährleistet.“ (wird ausgeführt)