BVerwG: Sicherheitsleistung für Rückbaukosten einer Windkraftanlage zulässig

11.03.2013

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Nebenbestimmungen, die einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage beigefügt wurden. Die der Klägerin erteilte Genehmigung vom 21. Dezember 2007 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 27. April 2011 enthält u.a. die Nebenbestimmung, dass die Klägerin vor Beginn der Bauarbeiten zur Finanzierung der Rückbaukosten nach dauerhafter Nutzungsaufgabe der Windenergieanlage eine Sicherheitsleistung in Höhe von 36 000 € je Megawatt zu erbringen habe.

Die Anfechtungsklage der Klägerin gegen die Nebenbestimmungen wies das Verwaltungsgericht als unbegründet ab. Die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht ebenfalls zurückgewiesen.

Die Klägerin macht mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision geltend, die Nebenbestimmungen ließen sich nicht auf § 71 Abs. 3 Satz 2 BauO LSA stützen. § 35 Abs. 5 Satz 3 BauGB sei eine abschließende bundesrechtliche Regelung, die einen Rückgriff auf § 71 Abs. 3 Satz 2 BauO LSA ausschließe. Nach § 35 Abs. 5 Satz 3 BauGB sei die Rückbaupflicht durch Baulast oder in anderer Weise sicherzustellen. Im vorliegenden Fall sei eine Baulast bestellt worden, so dass den Vorgaben des § 35 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BauGB Rechnung getragen worden sei. Unabhängig davon sei die Anordnung jedenfalls unverhältnismäßig. In der Praxis stelle der Rückbau von Windenergieanlagen kein Problem dar. Es sei nicht erforderlich, eine Rückbausicherheit bereits bei Baubeginn zu verlangen. Die negativen volkswirtschaftlichen Folgen durch Kapitalbindung würden nicht berücksichtigt. Es gäbe deutlich mildere Mittel wie beispielsweise das Ansparmodell. Darüber hinaus sei die Berechnung der Höhe der Sicherheitsleistung ungeeignet. Die Regelung verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, weil lediglich die umweltfreundliche Windenergienutzung, nicht jedoch andere, umweltschädliche Energieerzeugung wie z.B. Atom- oder Kohlekraftwerke mit einer Rückbausicherheit belegt würden.

Entscheidung

Das BVerwG wies die Revision als unbegründet zurück. Das Berufungsurteil stehe mit Bundesrecht in Einklang. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen. Die angefochtenen Nebenbestimmungen seien rechtmäßig.

Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass die Erteilung einer Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage unter der aufschiebenden Bedingung der Leistung einer Rückbausicherheit zulässig ist und ungeachtet der Regelung in § 35 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BauGB auf die landesrechtliche Regelung des § 71 Abs. 3 Satz 2 BauO LSA gestützt werden kann, sei bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage für die Nebenbestimmung sei § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Danach kann der Genehmigung einer Anlage i.S.d. § 4 BImSchG, zu der nach Nr. 1.6 der Spalte 2 der 4. BImSchV die Errichtung einer Windenergieanlage gehört, eine Nebenbestimmung beigefügt werden, wenn diese erforderlich ist, um die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 6 BImSchG sicherzustellen. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ist die Genehmigung zu erteilen, wenn andere öffentlich-rechtliche Vorschriften der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Die Vorschrift verweist damit u.a. auf die Bestimmungen des Städtebau- und des Bauordnungsrechts, deren Einhaltung die für die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zuständige Behörde aufgrund der Konzentrationswirkung gemäß § 13 BImSchG sicherzustellen hat.

Dass das Oberverwaltungsgericht als öffentlich-rechtliche Vorschrift i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG die landesrechtliche Regelung des § 71 Abs. 3 Satz 2 BauO LSA herangezogen hat, steht nicht im Widerspruch zu Bundesrecht. Der Gesetzgeber hat zwar mit der durch das Europarechtsanpassungsgesetz Bau (EAG Bau) 2004 eingeführten Vorschrift des § 35 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BauGB eine bundesrechtliche Rechtsgrundlage für die Bestellung einer Rückbausicherheit geschaffen. Die Regelung beansprucht bundeseinheitliche Geltung und entfaltet Vorrangwirkung. Sie steht aber der Anwendbarkeit einer landesrechtlichen Vorschrift, die als Genehmigungsvoraussetzung die Bestellung einer Sicherheitsleistung zur Sicherstellung einer bauaufsichtlichen Rückbaupflicht verlangt, nicht generell entgegen.

Die Ermächtigung nach § 35 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BauGB umfasst alle Maßnahmen, die geeignet sind, die Einhaltung der Verpflichtungserklärung sicherzustellen, und damit - entgegen der Auffassung der Klägerin - auch die Auferlegung einer Sicherheitsleistung als Maßnahme zur finanziellen Absicherung eines möglichen Liquiditätsrisikos.

Die Bestellung einer Baulast schließt die Anordnung "anderer" geeigneter Maßnahmen nicht aus. Der Wortlaut "durch ... Baulast oder in anderer Weise" ist nicht als Alternative zu verstehen, mit der die Bandbreite möglicher Maßnahmen zur Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 eingeschränkt wird. Mit dieser Auslegung wird die Wortlautgrenze - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht contra legem überschritten. Der Klägerin ist zuzugeben, dass der Gesetzgeber die Regelung hätte klarer fassen können. Die Formulierung ist indes dem gesetzestechnischen Umstand geschuldet, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 BauGB an den vorhandenen Gesetzestext, der auf Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. g verweist, angeknüpft und sich darauf beschränkt hat, die Anwendbarkeit des Satzes 3 auf die Fallkonstellation der Rückbaupflicht allein durch Einfügung der Wörter "nach Satz 2 sowie" deutlich zu machen. Auch die Gesetzgebungsgeschichte belegt, dass die Baulast, mit der auch bauplanungsrechtliche Genehmigungsvoraussetzungen sichergestellt werden können (Beschluss vom 12. November 1987 - BVerwG 4 B 216.87 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 24), lediglich beispielhaft als eine geeignete Maßnahme zur dinglichen Sicherung genannt wird: § 35 Abs. 5 Satz 3 BauGB, der mit dem Bau- und Raumordnungsgesetz - BauROG 1998 eingeführt wurde, entspricht ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien "sprachlich vereinfacht und angepasst an die Streichung ..." dem früheren Absatz 6 des § 35 BauGB (BTDrucks 13/6392 S. 11, 59), der seinerseits nach Art einer Generalklausel die allgemein gehaltene Formulierung "in geeigneter Weise" enthielt. Eine inhaltliche Änderung hat der Gesetzgeber mit der Neufassung in Satz 3 ausdrücklich nicht bezweckt. Sinn und Zweck der Regelung bestätigen, dass sich § 35 Abs. 5 Satz 3 BauGB nicht in der Verpflichtung der Baugenehmigungsbehörde erschöpft, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass über die Berechtigung der Rückbaupflicht nicht mehr gestritten wird. Eine Absicherung des finanziellen Risikos bei Ausfall des Pflichtigen lässt sich mit einer Baulast oder in Ländern, die das Rechtsinstitut der Baulast nicht kennen, durch Bestellung einer Grunddienstbarkeit nicht bewirken. Dem Gesetzgeber ging es indes gerade um die Absicherung der Kosten des Rückbaus, zu dem sich der Vorhabenträger nach § 35 Abs. 5 Satz 2 BauGB verpflichten muss, will er die beantragte Baugenehmigung erhalten. Das Liquiditätsrisiko wird zwar in den Gesetzgebungsmaterialien nicht ausdrücklich genannt. Mit der Betonung des Verursacherprinzips hat der Gesetzgeber jedoch deutlich gemacht, dass die Kostentragung durch den Vorhabenträger bzw. seinen Rechtsnachfolger durch geeignete Maßnahmen, die mit der Baugenehmigung zu verbinden sind, sichergestellt sein muss. Dazu gehört auch die Absicherung des Liquiditätsrisikos. Nach dem gesetzgeberischen Regelungszweck soll die Durchsetzung der Rückbaupflicht nicht daran scheitern, dass von einer Vollstreckung abgesehen wird, weil keine ausreichenden öffentlichen Mittel für eine Ersatzvornahme zur Verfügung stehen. Dass der Gesetzgeber die Auferlegung einer Sicherheitsleistung als eine von § 35 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BauGB gedeckte Maßnahme erachtet, belegt auch der EAG Bau-Mustererlass vom 12. Juli 2004, der unter Nr. 4.3.1.5 als Beispiele für die Sicherstellung in anderer Weise z.B. die Grunddienstbarkeit oder Sicherheitsleistung anführt.

Schließlich ist auch nicht zu erkennen, dass die Auferlegung einer Sicherheitsleistung prohibitiv wirkt (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 1987 - 1 BvR 995/86 - ZfB 1988, 80). Zwar bindet eine Sicherheitsleistung - wie die Klägerin geltend macht - Kapital zu einem Zeitpunkt, zu dem sich der Vorhabenträger mit nicht unerheblichen Investitionskosten belastet sieht und sich die Anlage wirtschaftlich noch nicht amortisiert hat. Dass sich ein Vorhabenträger allein wegen der finanziellen Zusatzbelastung, die die Bestellung einer Sicherheitsleistung mit sich bringt, von der Verwirklichung des Vorhabens abhalten ließe, erscheint fernliegend, da die Sicherheitsleistung, die ihrerseits der Höhe nach verhältnismäßig sein muss, einen vergleichsweise geringen Anteil der Gesamtkosten ausmacht. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das von ihr als milderes Mittel favorisierte Ansparmodell, bei dem die Rücklage durch (jährliche) Aufstockung während der Laufzeit der Anlage gebildet wird, keine geeignete Alternative. Denn eine Sicherheitsleistung muss auch dann bereitstehen, wenn entgegen der Wirtschaftlichkeitsberechnung und dem Abschreibungszeitpunkt bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Nutzung - aus welchen Gründen auch immer - dauerhaft eingestellt wird. Soweit die Klägerin einwendet, es seien keine Fälle bekannt, in denen Windenergieanlagen nach Stilllegung nicht zurückgebaut worden seien, beachtet sie nicht, dass dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungsspielraum im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer Regelung zusteht. Insbesondere bedarf es keines empirischen Nachweises, in welchem Umfang sich ein Liquiditätsrisiko zu Lasten der öffentlichen Hand in der Vergangenheit realisiert hat. Angesichts der erheblichen Beanspruchung des Außenbereichs durch die Vielzahl von Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB erscheint die Annahme des Gesetzgebers, es könnten in Zukunft vermehrt Fälle auftreten, in denen bei Durchsetzung der Rückbaupflicht ein Liquiditätsrisiko droht, jedenfalls plausibel.

§ 35 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BauGB entfaltet grundsätzlich Vorrangwirkung gegenüber Landesrecht. Dieser Anwendungsvorrang schließt aber die Auferlegung einer Sicherheitsleistung auf der Grundlage einer landesrechtlichen Vorschrift nicht aus.

Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Eine bundesgesetzliche Regelung hat für die Gesetzgebung der Länder dann eine Sperrwirkung zur Folge, wenn und soweit sie die betreffende Materie erschöpfend regelt. Von einer erschöpfenden und abschließenden Regelung ist auch dann auszugehen, wenn der Sache nach ergänzende Regelungen zwar möglich, nach dem erkennbaren Regelungswillen aber ausgeschlossen sein sollen (BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 1972 - 1 BvR 111/68 - BVerfGE 32, 319). Auch bei umfassender Regelung eines Gegenstandes der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch den Bund sind landesrechtliche Regelungen aber insoweit zulässig, als das Bundesrecht Vorbehalte zu Gunsten der Landesgesetzgebung enthält (Urteil vom 7. Juni 1996 - BVerwG 8 C 23.94 - BVerwGE 101, 211; BVerfGE 20, 238). Ob dies der Fall ist, muss einer Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes entnommen werden (Urteil vom 14. November 2002 - BVerwG 5 C 37.01 - BVerwGE 117, 172unter Bezugnahme auf BVerfGE 7, 342; 49, 343; 67, 299).

Den Anwendungsvorrang, der § 35 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BauGB zukommt, hat der Bundesgesetzgeber selbst eingeschränkt. Das ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien. Mit Blick darauf, dass es bauordnungsrechtliche Regelungen nach Landesrecht gibt, die zum Erlass von Maßnahmen zur Durchsetzung der Beseitigungspflicht nach Nutzungsaufgabe ermächtigen, ist dort ausdrücklich festgehalten, dass die "vorgeschlagene Verpflichtung zum Rückbau sonstige Verpflichtungen auf Grund anderer Regelungen unberührt lässt" (BTDrucks 15/2250 S. 94). Damit hat der Bundesgesetzgeber dem Landesgesetzgeber ("soweit") Raum gelassen für landesrechtliche Vorschriften, die die Bauaufsichtsbehörde aus Gründen der Gefahrenabwehr zur Auferlegung einer Rückbausicherheit ermächtigen.

Die Einschränkung des Anwendungsvorrangs steht jedoch nach Sinn und Zweck des § 35 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BauGB unter dem Vorbehalt, dass die bundesrechtlichen Vorgaben zur Sicherstellung der aus bauplanungsrechtlichen Gründen normierten Rückbaupflicht beachtet werden. Mit § 35 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BauGB werden Mindestanforderungen normiert, um zum Schutz des Außenbereichs bundeseinheitlich zu gewährleisten, dass ungenutzte Anlagen im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB nach dauerhafter Nutzungsaufgabe verlässlich zurückgebaut werden. Deswegen hat der Gesetzgeber die Pflicht zum Rückbau und die Sicherstellung dieser Pflicht zur zwingenden Genehmigungsvoraussetzung erhoben. Die Anordnung von Maßnahmen zur Einhaltung der Verpflichtung nach Absatz 5 Satz 2 ist nicht in das freie Ermessen der Baugenehmigungsbehörde gestellt; die Baugenehmigung ist in der Regel ("soll") mit Nebenbestimmungen zur Einhaltung der Rückbaupflicht zu versehen. Dazu gehört auch die Auferlegung einer Sicherheitsleistung, es sei denn, es liegen besondere Umstände des Einzelfalls vor, die eine Ausnahme rechtfertigen. Diese Vorgaben muss die Baugenehmigungsbehörde bei Erteilung der Genehmigung beachten. Der Spielraum, den der Bund dem Landesgesetzgeber belassen hat, steht mithin unter dem Vorbehalt, dass diesen Vorgaben Rechnung getragen wird. Unter dieser Voraussetzung bleiben landesrechtliche Regelungen, die der Sache nach - auf anderer Rechtsgrundlage - zur Beachtung der zwingenden Vorgaben des § 35 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BauGB führen, vom bundesrechtlichen Anwendungsvorrang unberührt.

 Hier finden Sie die Entscheidung im Volltext auf der Homepage des BVerwG.