BVerwG: Klagebefugnis aufgrund enteignungsrechtlicher Vorwirkung bereits durch Auflassungsvormerkung gegeben

04.03.2013

 

Der Sachverhalt

Der Kläger wandte sich gegen den Ergänzungsbeschluss des Beklagten vom 2. März 2007 zu dem Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau der Bundesautobahn A 1 Hamburg - Lübeck von Kilometer 6,800 bis Kilometer 11,187 vom 1. Oktober 1980. Mit dem Ergänzungsbeschluss wurden in Umsetzung eines Vorbehaltes im Planfeststellungsbeschluss aktive Lärmschutzmaßnahmen in der Gemeinde Barsbüttel, Ortsteil Willinghusen, festgesetzt. Hierfür sollten bestimmte landwirtschaftlich genutzte Grundstücke teilweise dauerhaft, teilweise vorübergehend in Anspruch genommen werden. Der Kläger hatte diese Grundstücke mit notariellem Kaufvertrag vom 21. September 1999 gekauft, um ein Teppichhaus darauf zu errichten. Eine Eigentumsumschreibung war bislang nicht erfolgt und der Besitz nicht auf den Kläger übergegangen; Nutzungen und Lasten lagen weiterhin bei den Verkäufern. Bis Ende 2012 hatte sich der Kläger vertraglich ein an keine Voraussetzungen geknüpftes Rücktrittsrecht vorbehalten. Zur Sicherung seiner Erwerbsansprüche waren Auflassungsvormerkungen in das Grundbuch eingetragen.

Die gegen den Ergänzungsbeschluss gerichtete Klage hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) wegen fehlender Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen. Käufer eines Grundstücks seien nach nahezu einhelliger Auffassung in Literatur und Rechtsprechung nur dann klagebefugt, wenn zu ihren Gunsten eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen sei und Besitz sowie Nutzungen und Lasten auf sie übergegangen seien. Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Klagebefugnis von Mietern und Pächtern ergebe sich nichts anderes, da diese ebenfalls an das Besitzrecht anknüpfe. Der Kläger könne sich auf seine durch die Auflassungsvormerkungen gesicherten Ansprüche auch deshalb nicht berufen, weil der Planfeststellungsbeschluss den Eigentümern gegenüber bestandskräftig geworden sei, so dass er nur mit der Einwendungspräklusion belastetes Eigentum erwerben könne.

 

Die Entscheidung

Das BVerwG entschied, dass die gegen das Urteil des OVG gerichtete Revision des Klägers zulässig und begründet ist. Das angefochtene Urteil beruhe auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts sei der Kläger klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Er könne geltend machen, durch den Planfeststellungsergänzungsbeschluss in eigenen Rechten verletzt zu sein.

Zur Begründung führt das BVerwG aus:

Dem Planfeststellungsbeschluss komme im Fernstraßenrecht, da er Grundlage der nachfolgenden Enteignung sei (§ 19 Abs. 1 FStrG), enteignungsrechtliche Vorwirkung zu. Daher hätten Betroffene, deren durch Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes Grundeigentum (teilweise) für das Planvorhaben in Anspruch genommen werden soll, einen Anspruch darauf, von einer Entziehung ihres Grundeigentums verschont zu bleiben, die nicht dem Wohl der Allgemeinheit dient, insbesondere nicht gesetzmäßig ist (Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG), und auf eine dahingehende umfassende gerichtliche Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses. Enteignungsrechtliche Vorwirkung entfalte der Planfeststellungsbeschluss indes nicht nur für betroffene Grundeigentümer, sondern in gleicher Weise für Personen, denen ein dingliches oder obligatorisches Recht mit Eigentumsqualität an einem Grundstück zusteht, auf das sich der Planungsträger den Zugriff sichert (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. August 2009 - 9 A 64.07 -, Rn. 23 und vom 1. September 1997 - 4 A 36.96 - BVerwGE 105, 178, 180 f.).

Zu den von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung eines fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses betroffenen Rechten gehöre auch der durch eine Vormerkung nach § 883 BGB gesicherte Anspruch auf Verschaffung des Eigentums an einem Grundstück ("Auflassungsvormerkung"). Ebenso wie schuldrechtliche Ansprüche aus Miete und Pacht besitze er die Qualität von Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Unter den Schutz der Eigentumsgarantie im Bereich des Privatrechts fallen grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die ihrem Inhaber von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf. Dazu zählen auch rechtlich gesicherte schuldrechtliche Forderungen, die dem Rechtsträger ebenso ausschließlich zugewiesen sind wie Eigentum an einer Sache (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Juni 1977 - 2 BvR 499/74 und 1042/75 - BVerfGE 45, 142, 179; vom 31. Oktober 1984 - 1 BvR 35, 356, 794/82 - BVerfGE 68, 193, 222 f. und vom 26. Mai 1993 - 1 BvR 208/93 - BVerfGE 89, 1, 6). Voraussetzung des Schutzes sei dabei nicht, dass über die Rechte uneingeschränkt verfügt werden könne, diese insbesondere beliebig übertragbar seien. Auch Rechte, bei denen die Verfügungsmöglichkeit eingeschränkt ist, sein vom Schutz der Eigentumsgarantie umfasst (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1993 a. a. O.). Diese Voraussetzungen erfülle jedenfalls die Auflassungsvormerkung nach § 883 BGB, wenn der Anspruch auf Verschaffung des Eigentums nur noch vom Willen des Anspruchsinhabers abhänge.

Ausgehend davon könne sich der Kläger auf ein eigentumsrechtlich geschütztes Recht berufen. Dass ihm von den Verkäufern bis zum 31. Dezember 2012 ein Rücktrittsrecht von den Grundstückskaufverträgen eingeräumt worden sei, führe zu keiner anderen Beurteilung der Eigentumsqualität der Vormerkung. Zwar würde aufgrund der Akzessorietät der Vormerkung zur schuldrechtlichen Forderung mit der Ausübung des Rücktrittsrechts auch die Vormerkung erlöschen. Dies führe aber nicht dazu, dass das durch Auflassungsvormerkung gesicherte Recht auf Verschaffung des Eigentums am Grundstück wirtschaftlich betrachtet lediglich den Charakter einer bloßen Chance des vormerkungsberechtigten Klägers hätte. Die Ausübung des Rücktrittsrechts sei nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts allein von der Entscheidung des rücktrittsberechtigten Klägers als Inhaber des gesicherten Anspruchs abhängig und schränke damit die gesicherte Rechtsposition des Klägers nicht ein, sondern erweitert sie.

Der vormerkungsgesicherte kaufvertragliche Übereignungsanspruch werde auch nicht durch das in § 9a Abs. 6 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 FStrG geregelte fernstraßenrechtliche Vorkaufsrecht erfasst, da dieses erst nach Abschluss der Kaufverträge entstanden sei. Ein Vorkaufsrecht - auch ein gesetzliches - könne sich nur auf solche Kaufverträge beziehen, die nach seiner Entstehung abgeschlossen wurden. Nach § 9a Abs. 6 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 FStrG entstehe das fernstraßenrechtliche Vorkaufsrecht mit Beginn der Auslegung der Pläne im Planfeststellungsverfahren oder von dem Zeitpunkt an, zu dem den Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, den Plan einzusehen. Die Auslegung habe vorliegend am 4. April 2005 begonnen und damit nach Abschluss der Kaufverträge im Jahr 1999.

Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts komme es für die Bejahung der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO nicht darauf an, ob Besitz sowie Nutzungen und Lasten auf den Kläger als den Vormerkungsberechtigten übergegangen seien. Die in der älteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu findende Formulierung, dass eine Klagebefugnis (nur) einem Käufer eines Grundstücks zustehe, auf den der Besitz sowie Nutzungen und Lasten übergegangen seien und zu dessen Gunsten eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen sei (Urteile vom 29. Oktober 1982 - 4 C 51.79 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 50 S. 23, vom 3. Juli 1987 - 4 C 12.84 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 72 S. 4 und vom 16. September 1993 - 4 C 9.91 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 94 S. 109), beruhte auf der Annahme, dass Grundstücke durch ihre Eigentümer "repräsentiert" werden, nicht aber durch diejenigen, die ihre Rechte nur auf der Grundlage eines obligatorischen Vertrages von den Eigentümern herleiten. Dieser Repräsentationsgedanke und die sich daraus ergebende Beschränkung der Klagebefugnis sei durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für Mieter und Pächter, die von der enteignenden Vorwirkung eines straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses betroffen seien, ausdrücklich aufgegeben worden (unter Hinweis auf Urteil vom 1. September 1997 - 4 A 36.96 - BVerwGE 105, 178, 183). Der Rechtsprechungsänderung liege die Erkenntnis zugrunde, dass schuldrechtliche Ansprüche aus Miete und Pacht, die zum Besitz und zur Nutzung von Grundstücken berechtigen, zu den vermögenswerten Rechten gehören, die die Qualität von Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG besitzen und daher von den enteignungsrechtlichen Vorwirkungen eines fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses umfasst seien. Dies werde besonders deutlich, wenn der Grundstückseigentümer sich mit der Inanspruchnahme seines Grundstücks einverstanden erkläre und das persönliche Recht zum Besitz und zur Nutzung des Grundstücks Gegenstand einer selbständigen Enteignung sei. Persönliche Rechte würden von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses darüber hinaus auch dann erfasst, wenn sie zwar nicht den Gegenstand einer selbständigen Enteignung bilden, aber im Falle der Enteignung des Grundstücks gesondert zu entschädigen seien, wie dies bei der Miete oder Pacht der Fall sei. Dem Mieter oder Pächter eines für Straßenbauzwecke in Anspruch genommenen Grundstücks, der seine Interessen gegenüber dem Enteignungsbegünstigten selbständig zur Geltung bringen könne, dürfe daher nicht der Einwand abgeschnitten werden, die Voraussetzungen lägen nicht vor, unter denen Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG eine Enteignung zulasse (im Einzelnen dazu Urteil vom 1. September 1997 a. a. O. S. 182 f.).

Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die bisherigen Eigentümer der Grundstücke nicht rechtzeitig Einwendungen gegen den Planergänzungsbeschluss erhoben hätten und deswegen mit Einwendungen ausgeschlossen seien (§ 17a Nr. 7 FStrG). Da bereits die Auflassungsvormerkung dem Kläger ein vom Vollrecht unabhängiges Klagerecht vermittelt, komme es nicht darauf an, dass die gegenwärtigen Grundstückseigentümer wegen verspätet erhobener Einwendungen materiell präkludiert seien und deswegen den Ergänzungsbeschluss nicht mit Erfolg angreifen könnten. Soweit im Gerichtsbescheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2001 - 11 A 19.00 - (juris Rn. 4) eine andere Auffassung vertreten worden sei, könne der Senat hiervon ohne Anrufung des Großen Senats abweichen, da nach Erlass des Gerichtsbescheids seinerzeit mündliche Verhandlung beantragt und die Klage noch vor dem Verhandlungstermin zurückgenommen worden sei. Der Gerichtsbescheid gelte damit als nicht ergangen (§ 84 Abs. 3 VwGO).

 Volltext der Entscheidung auf der Homepage des BVerwG