OVG Münster: Keine Pflicht zur wöchentlichen Reinigung von reinen Anliegerstraßen / Unzumutbarkeit des Winterdienstes

09.01.2013

Das Gericht hält insofern fest:

Eine satzungsrechtliche Regelung, wonach der Gehweg - unabhängig von einem Bedarf - einmal in der Woche zu säubern ist, sei unverhältnismäßig und führe zur Nichtigkeit der Straßenreinigungsverpflichtung. Die im Ermessen der beklagten Kommune stehende Entscheidung, von der Möglichkeit, die Reinigung von Gehwegen zu übertragen, Gebrauch zu machen, habe - wie jedes staatliche Handeln - den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips Rechnung zu tragen. Der Gedanke der Zumutbarkeit stelle hierbei ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal dar.

Die Abwälzung der grundsätzlich der Gemeinde obliegenden Reinigungspflicht berühre Grundrechtspositionen der Anlieger (Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art 2 Abs. 1 GG). Zwar würden die durch das Angrenzen und die Erschließung des betreffenden Grundstücks vermittelten Nutzungsvorteile regelmäßig einen hinreichenden sachlichen Grund darstellen, gerade den Anlieger, der über eine tatsächliche und rechtliche Zugangsmöglichkeit von der zu reinigenden Straße zu seinem Grundstück verfügt, in Form einer Inhaltsbestimmung seines Eigentums heranzuziehen; zudem werde die Erfüllung der Reinigungspflicht in Bezug auf Gehwege - sei es, dass der Anlieger sie selbst erfülle, sei es, dass er Dritte gegen Entgelt damit beauftrage - mit Belastungen verbunden sein, die noch in einem angemessenen Verhältnis zu den Nutzungsvorteilen des Anliegers stehen.

Vor diesem Hintergrund sei die Festlegung einer wöchentlichen Reinigungspflicht, die unabhängig von einem tatsächlich vorhandenen Reinigungsbedarf erfüllt werden müsse, unverhältnismäßig, weil sie den Reinigungspflichtigen in einem Maße belaste, das zur Erreichung des Reinigungszwecks nicht erforderlich sei. Die Reinigungshäufigkeit - auch unter Berücksichtigung des weiten Zwecks der Straßenreinigung und des gemeindlichen Beurteilungs- und Ermessensspielraums – hänge von der Verschmutzung der Straße ab.

Bei reinen Anliegerstraßen spreche in der Regel aber Erhebliches dafür, dass eine wöchentliche Reinigung nicht erforderlich ist. Das trifft auch hier zu. In Bezug auf den streitbefangenen reinen Fußweg, der seiner objektiv erkennbaren Verkehrsbestimmung nach lediglich den Anwohnern des Gebiets als Spazierweg diene, sei weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass bei normalen Witterungsverhältnissen eine wöchentliche Reinigung zur Aufrechterhaltung von Verkehrssicherheit und Sauberkeit erforderlich sein könnte. Der Umstand, dass der Weg in dem mehrjährigen Zeitraum von seiner Fertigstellung bis zur förmlichen Widmung und Aufnahme in das Straßenverzeichnis zur Straßenreinigungssatzung von der Beklagten selbst allenfalls zweimal im Jahr im Zusammenhang mit der Pflege des Grünstreifens gefegt worden sei, ohne dass sich Anhaltspunkte für eine während dieser Zeit aufgetretene Verschmutzung ergeben hätten, lasse darauf schließen, dass ein Bedarf für eine wöchentliche Reinigung tatsächlich nicht bestanden habe. Es spreche auch nichts dafür, dass sich daran in der Zeit seit der förmlichen Widmung des Wegs etwas geändert haben könnte. Die in § 3 Abs. 3 Satz 1 der Straßenreinigungssatzung vorgeschriebene wöchentliche Reinigung sei bei dieser Sachlage nicht notwendig und deshalb rechtswidrig.

Darüber hinaus sei auch die Übertragung des Winterdienstes auf die Anlieger unwirksam. Nach der o. g. Satzung sind die Gehwege in einer Breite von 1,50 m von Schnee freizuhalten. Bei Eis- und Schneeglätte sind die Gehwege mit abstumpfenden Stoffen zu bestreuen. Die Verwendung von Salz oder sonstigen auftauenden Stoffen ist nur ausnahmsweise, insbesondere an gefährlichen Stellen wie z.B. Treppen sowie bei starkem Gefälle, zulässig. In der Zeit von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr gefallener Schnee und entstandene Glätte sind unverzüglich nach Beendigung des Schneefalls bzw. nach dem Entstehen der Glätte zu beseitigen. Nach 20.00 Uhr gefallener Schnee und entstandene Glätte sind werktags bis 7.00 Uhr, sonn- und feiertags bis 9.00 Uhr des folgenden Tages zu beseitigen. Ausgehend von diesen konkreten Satzungsbestimmungen sei auch die Übertragung des Winterdienstes zu beanstanden, weil sie unverhältnismäßig sei (dazu unten a) und - unabhängig davon - den Klägern Pflichten auferlegt würden, die so nicht erfüllbar sind (dazu unten b).

a) Die Auferlegung des Winterdienstes für den beschriebenen Weg sei unter Berücksichtigung der konkreten satzungsrechtlichen Anforderungen unverhältnismäßig. Den Anliegern werde eine Räumpflicht auch zu Tageszeiten auferlegt, zu denen nicht ernstlich mit einer Benutzung des Wegs zu rechnen sei, weil dieser als reiner Spazierweg keine normale, d.h. sonstigen Wegen vergleichbare, Verkehrsfunktion habe und wegen des Fehlens einer Beleuchtung und des Vorhandenseins zahlreicher Stufen jedem vernünftigen Fußgänger klar sein müsse, dass dieser Weg für eine Benutzung bei Dunkelheit und winterlichen Verhältnissen nicht geeignet ist.

b) Unabhängig davon sei die Übertragung des Winterdienstes für den Gehweg hinter dem Haus der Kläger rechtlich zu beanstanden, weil die in der Satzung geregelten Vorgaben zu Art und Weise des Winterdienstes nicht erfüllbar seien.

Unter Berücksichtigung der Wegebreite von 1,50 m und der satzungsrechtlichen Verpflichtung, den Gehweg in einer Breite von 1,50 m freizuhalten, besteht für die winterdienstpflichtigen Anlieger keine ausreichende Möglichkeit, den beiseite geschobenen Schnee auf der Wegeparzelle zu lagern. Zwar lasse die Satzung grundsätzlich zu, dass Schnee auf dem Straßenbegleitgrün abgelagert werde. Das sei nach § 4 Abs. 4 Satz 4 SGS aber nur zulässig, wenn der Schnee kein Salz oder sonstige auftauende Mittel enthalte. Die Verwendung von derartigen Mitteln sei hier aber wegen der vorhandenen Treppenstufen, die bei Schnee und Eis besondere Gefahrenstellen sind, auf denen nach § 4 Abs. 1 Satz 3 Buchst. b SGS die Verwendung von Salz erlaubt und regelmäßig auch erforderlich ist, mehr als naheliegend. Das bedeute, dass schon bei dem zweiten Schneefallereignis keine satzungsrechtlich legale Möglichkeit mehr bestehe, sowohl die vorgeschriebene Wegebreite zu räumen als auch das Verbot der Ablagerung von salzhaltigem Schnee zu befolgen. Dass die winterdienstpflichtigen Anwohner den durch Salz o. ä. verunreinigten Schnee mit Schubkarren oder Eimern abtransportieren müssten, mache im Übrigen auch die Beklagte nicht geltend. Ein solches Ansinnen wäre ersichtlich auch unverhältnismäßig.

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