EuGH: Vergaberechtliche Anforderungen an die Inhouse-Vergabe bei der Zusammenarbeit öffentlicher Einrichtungen

02.01.2013

Hintergrund der EuGH-Entscheidung waren Regelungen des italienischen Rechts, nach dem die öffentlichen Verwaltungen in Italien untereinander Vereinbarungen treffen konnten, um die Ausübung von im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeiten im Wege der Zusammenarbeit zu regeln. Außerdem ist den öffentlichen Universitäten in Italien gestattet, Forschungs- und Beratungsleistungen an öffentliche oder private Einrichtungen zu erbringen, soweit diese Tätigkeit ihre Lehrtätigkeit nicht beeinträchtigt.

Im Jahr 2009 billigte die Azienda Sanitaria Locale die Lecce (Örtlicher Sanitätsbetrieb Lecce, im Folgenden: ASL) das Lastenheft für die Ausführung eines Auftrags zur Erforschung der Erdbebenanfälligkeit der Krankenhausanlagen der Provinz Lecce durch die Università del Salento (Universität des Salento), ohne eine Ausschreibung dieses Auftrags vorzunehmen. Dieser Forschungsauftrag sollte auch die Erstellung von Berichten, die Abfassung von Anregungen und die Beschreibung von Anpassungsarbeiten umfassen. Für die Gesamtleistung sollte die ASL der Universität einen Betrag von 200 000 Euro ohne Mehrwertsteuer zahlen.

Verschiedene Kammern und Berufsverbände sowie Unternehmen erhoben Klagen gegen die Entscheidung über die Billigung des Lastenhefts, wobei sie sich auf einen Verstoß gegen das nationale und europäische Vergaberecht beriefen, insbesondere gegen die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114).

Der in letzter Instanz mit der Sache befasste Consiglio di Stato (italienischer Staatsrat) wollte vom EuGH wissen, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die es erlaubt, ohne Ausschreibung einen Vertrag zu schließen, mit dem zwei öffentliche Einrichtungen eine Zusammenarbeit vereinbaren, wie sie hier in Rede stand.

In seinem Urteil führt der Gerichtshof zunächst aus, dass ein zwischen einem Wirtschaftsteilnehmer und einem öffentlichen Auftraggeber geschlossener schriftlicher entgeltlicher Vertrag ein öffentlicher Auftrag ist. Er weist auf seine Rechtsprechung hin, wonach ohne Bedeutung ist, dass dieser Wirtschaftsteilnehmer selbst ein öffentlicher Auftraggeber ist und nicht in erster Linie Gewinnerzielung anstrebt, dass er nicht unternehmerisch strukturiert ist oder dass er nicht ständig auf dem Markt tätig ist (vgl. Urteil vom 23. Dezember 2009, CoNISMa [C-305/08]).

Der Gerichtshof stellt sodann fest, dass Forschungs- und Beratungsleistungen wie diejenigen, die Gegenstand des streitigen Vertrags über Zusammenarbeit sind, zwar der wissenschaftlichen Forschung zugerechnet werden können, aber Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen oder Ingenieursdienstleistungen und die zugehörige wissenschaftliche und technische Beratung darstellen, d. h. Dienstleistungen, die von der Richtlinie 2004/18 erfasst werden. Ein Vertrag kann auch nicht allein deswegen aus dem Begriff des öffentlichen Auftrags herausfallen, weil die darin vorgesehene Vergütung auf den Ersatz der Kosten beschränkt bleibt, die durch die Erbringung der vereinbarten Dienstleistung entstehen.

Der Gerichtshof weist jedoch darauf hin, dass zwei Arten von Aufträgen, die von öffentlichen Einrichtungen vergeben werden, nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts der Union fallen. Es handelt sich um

– Verträge zwischen einer öffentlichen Einrichtung und einer anderen Einrichtung, wenn die erste Einrichtung über die zweite eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen (Kontrollkriterium) und die zweite zugleich ihre Tätigkeiten im Wesentlichen für die Einrichtung oder die Einrichtungen ausübt, die ihre Anteile innehat bzw. innehaben (Wesentlichkeitskriterium) – sog „Teckal“-Rechtsprechung, so bezeichnet nach dem EuGH-Urteil vom 18. November 1999, Teckal (C-107/98);

– Verträge, mit denen eine Zusammenarbeit von öffentlichen Einrichtungen vereinbart und eine ihnen allen obliegende öffentliche Aufgabe wahrgenommen wird (vgl. EuGH-Urteil vom 9. Juli 2009, Kommission/Deutschland [C-480/06]).

Im vorliegenden Fall ist die erste Ausnahme nicht anwendbar, da die ASL keine Kontrolle über die Universität ausübt. Die zweite Ausnahme ist ebenfalls nicht anwendbar. Der streitige Vertrag über Zusammenarbeit enthält nämlich eine Reihe inhaltlicher Aspekte, von denen ein erheblicher, ja überwiegender Teil in Tätigkeiten besteht, die im Allgemeinen von Ingenieuren oder Architekten ausgeübt werden und die – auch wenn sie auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen – nicht mit wissenschaftlicher Forschung gleichzusetzen sind.

Demnach hat es nach Ansicht des EuGH den Anschein, dass mit dem betreffenden Vertrag keine der ASL und der Universität gemeinsam obliegende öffentliche Aufgabe wahrgenommen wird.

Ferner könnte dieser Vertrag zu einer Bevorzugung privater Unternehmen führen, wenn zu dem hochqualifizierten externen Personal, das die Universität laut Vertrag zur Durchführung bestimmter Leistungen heranziehen darf, private Dienstleistungserbringer zählen; dies zu überprüfen, ist allerdings Sache des nationalen Gerichts.

Daher antwortet der Gerichtshof auf die Frage des italienischen Gerichts, dass das Recht der Union über die Vergabe öffentlicher Aufträge einer nationalen Regelung entgegensteht, die es erlaubt, ohne Ausschreibung einen Vertrag zu schließen, mit dem öffentliche Einrichtungen eine Zusammenarbeit vereinbaren, wenn dieser Vertrag nicht die Wahrnehmung einer diesen Einrichtungen gemeinsam obliegenden öffentlichen Aufgabe zum Gegenstand hat, nicht nur durch Erfordernisse und Überlegungen bestimmt wird, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhängen, oder geeignet ist, einen privaten Dienstleistungserbringer besser zu stellen als seine Wettbewerber.