BVerwG zieht Konsequenzen aus Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung der Seveso-Richtlinie im Baugenehmigungsverfahren

21.12.2012

Das Bundesverwaltungsgericht hatte den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg zur Klärung mehrerer Fragen angerufen, die die Auslegung der Richtlinie 96/82/EG der Europäischen Union (sog. Seveso-II-Richtlinie) betreffen. Der EuGH hat hierauf mit Urteil vom 15. September 2011 (Rechtssache C-53/10) geantwortet, dass die in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie geregelte Verpflichtung der Mitgliedstaaten, langfristig dem Erfordernis eines angemessenen Abstandes zwischen Störfallbetrieben und öffentlich genutzten Gebäuden Rechnung zu tragen, auch von einer Behörde zu beachten sei, die eine gebundene Genehmigungsentscheidung zu treffen habe; das Abstandserfordernis enthalte zwar kein Verschlechterungsverbot in dem Sinne, dass es den Genehmigungsbehörden vorschreiben würde, die Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes zwingend zu verbieten; es stehe andererseits aber nationalen Rechtsvorschriften entgegen, nach denen die Genehmigung zwingend zu erteilen sei, ohne dass die Risiken der Ansiedlung innerhalb der Abstandsgrenzen im Stadium der Planung oder der Genehmigungsentscheidung gebührend gewürdigt worden wären.

Das Bundesverwaltungsgericht hat nun entschieden, dass den unionsrechtlichen Vorgaben durch eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts über das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme Rechnung getragen werden kann, sofern die Neuansiedlung keine städtebaulichen Spannungen hervorruft, die nur planerisch bewältigt werden können, und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof wird zunächst darüber zu befinden haben, welche Abstände im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller störfallspezifischen (technisch-fachlichen) Faktoren angemessen sind und ob das beantragte Gartencenter innerhalb der so festgelegten Abstandsgrenzen liegt. Gegebenenfalls wird er im Rahmen des Rücksichtnahmegebots eine wertende Entscheidung darüber zu treffen haben, ob Umstände von besonderem Gewicht vorliegen, insbesondere solche sozialer, ökologischer oder wirtschaftlicher Art, die es rechtfertigen, das Vorhaben innerhalb der Abstandsgrenzen zuzulassen.

 Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier (Homepage des BVerwG).