VG Darmstadt: Auswirkungen einer mehrjährigen Nutzungsunterbrechung auf eine erteilte Baugenehmigung und den damit verbundenen Bestandsschutz

20.12.2012

Die Frage, ob eine erteilte Baugenehmigung auch nach einer mehrjährigen Nutzungsunterbrechung wirksam bleibt und Bestandsschutz vermittelt, richtet sich – so das Verwaltungsgericht – nach den landesrechtlichen Vorschriften. Dabei kann für den Fall einer Nutzungsunterbrechung nicht auf § 64 Abs. 7 HBO zurückgegriffen werden. Nach dieser Vorschrift erlischt die Baugenehmigung, wenn innerhalb von drei Jahren nach ihrer Erteilung mit der Ausführung des Bauvorhabens nicht begonnen oder die Bauausführung ein Jahr unterbrochen worden ist. Es handelt sich hierbei um eine Sonderregelung über die Geltungsdauer einer noch nicht ausgenutzten Baugenehmigung, die auf den Fall einer Nutzungsunterbrechung nicht – auch nicht analog – anwendbar ist. Hätte der Gesetzgeber auch die Unterbrechung einer bereits aufgenommenen Nutzung einer fertig gestellten baulichen Anlage von der Regelung mit erfassen wollen, hätte er dies zum Ausdruck bringen müssen. Für eine analoge Anwendung der Regelung fehlt es bereits an einer unbeabsichtigten Regelungslücke. Eine Regelung für Nutzungsunterbrechungen sieht § 18 Abs. 1 Nr. 2 Bundesimmissionsschutzgesetz - BImSchG - vor, wonach eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erlischt, wenn eine bereits errichtete und in Betrieb genommene Anlage während eines Zeitraums von mehr als drei Jahren nicht mehr betrieben wird. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass immissionsschutzrechtliche Genehmigungen typischerweise Anlagen mit besonderen Gefahrenpotential betreffen. Bei „nur“ baugenehmigungspflichtigen Anlagen besteht hingegen nicht das gleiche Bedürfnis für die Durchführung eines erneuten Genehmigungsverfahrens. Der Gesetzgeber hat daher bisher davon abgesehen, eine entsprechende Regelung für Baugenehmigungen zu treffen. Außerdem fehlt es an einer vergleichbaren Sachlage, die die entsprechende Anwendbarkeit des § 64 Abs. 7 HBO rechtfertigen könnte. Derjenige, der von einer erteilten Baugenehmigung bereits Gebrauch gemacht hat, ist schutzwürdiger als ein Bauherr, der die ihm erteilte Rechtsposition noch nicht ausgenutzt hat. Daher kann nicht unter den gleichen zeitlichen Vorgaben die Verpflichtung zur Durchführung eines neuen Genehmigungsverfahrens bestehen.

Die Wirksamkeit einer Baugenehmigung nach längerer Nutzungsunterbrechung richtet sich daher nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Darmstadt nach der allgemeinen Bestimmung des § 43 Abs. 2 HVwVfG. Danach bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Die im zu entscheidenden Fall einzig in Betracht kommende Tatbestandsalternative der anderweitigen Erledigung liegt u. a. vor, wenn der Begünstigte auf die Wahrnehmung seiner Rechte aus dem Verwaltungsakt verzichtet hat. Das kann der Fall sein, wenn die genehmigte Nutzung tatsächlich dauerhaft und endgültig aufgegeben wurde. Ein entsprechender Verzichtswille muss dabei unmissverständlich und unzweifelhaft zum Ausdruck kommen. Maßgebend für diese Beurteilung ist, ob die baurechtliche Situation nach der Verkehrsauffassung als noch von dieser Nutzung geprägt erscheint.

Zur Beurteilung der Frage, ob eine mehrjährige Nutzungsunterbrechung auf eine endgültige Aufgabe der genehmigten Nutzung schließen lässt, kann nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht auf das vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte Zeitmodell zur Neuerrichtung eines im Außenbereich zerstörten Gebäudes gemäß § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.05.1995 – 4 C 20/94) zurückgegriffen werden. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung die Auffassung vertreten, dass die hierzu entwickelten Grundsätze als Orientierungshilfe auch im Rahmen der Feststellung eine Rolle spielen, nach welchem Zeitablauf ein Wechsel der Grundstückssituation auf den Bestandsschutz durchschlägt. Späteren Entscheidungen lässt sich aber entnehmen, dass das Bundesverwaltungsgericht von dieser Auffassung wieder abgerückt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.11.1997 – 4 C 7/97 – und Beschluss vom 09.09.2002 - 4 B 52/02). Dort wird dargelegt, dass sich entsprechend der grundgesetzlichen Kompetenzordnung die inhaltliche und zeitliche Reichweite einer Baugenehmigung und der dadurch vermittelte Bestandsschutz nach den landesrechtlichen Vorschriften richten. Dies umfasse auch die Frage, wann eine Nutzungsunterbrechung zum Verlust des Schutzes einer erteilten Baugenehmigung führt. Diese Ausführungen deuten darauf hin, dass das Zeitmodell für die Frage der Wirksamkeit einer Baugenehmigung nach längerer Nutzungsunterbrechung keine Anwendung finden soll.

Das Zeitmodell mit seinen relativ kurz bemessenen Zeitgrenzen ist nach Auffassung des Gerichts als Maßstab für die Beurteilung eines dauerhaften Verzichtswillens im Sinne des § 43 Abs. 2 HBO nicht verwertbar. § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB sieht eine Ausnahme vom Erlöschen des Bestandsschutzes durch Zerstörung eines Gebäudes vor. Das Zeitmodell ist für die Beurteilung der Frage entwickelt worden, wann die Verkehrsauffassung noch mit einer „alsbaldigen“ Neuerrichtung eines zerstörten Gebäudes im Außenbereich rechnet. Die Nutzungsunterbrechung betrifft demgegenüber die Konstellation, dass ein bestehendes Gebäude für einen gewissen Zeitraum lediglich nicht genutzt wird. Die Verkehrsauffassung zieht daraus allein noch nicht regelmäßig den Schluss, die genehmigte Nutzung sei endgültig aufgegeben worden.

Die bloße Nichtweiterführung einer genehmigten Nutzung allein wird in aller Regel daher – so das Verwaltungsgericht – nicht ausreichen, um auf einen dauerhaften Verzichtswillen schließen zu können. Erforderlich ist nach Auffassung des Gerichts das Hinzutreten weiterer Umstände, die eine endgültige Aufgabe des Nutzungswillens nach außen dokumentieren. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn bei längerem Leerstand der Verfall der Bausubstanz eingesetzt hat oder eine anderweitige Nutzung aufgenommen wurde. Der tatsächliche Beginn einer andern Nutzung, die außerhalb der Variationsbreite der bisherigen Nutzungsart liegt und die erkennbar nicht nur vorübergehend ausgeübt werden soll, lässt den Bestandsschutz entfallen.