OVG Berlin-Brandenburg: Grenzen der Zustandshaftung des Eigentümers für die Grundstückssanierung bei Altlasten

17.12.2012

Das Bundesverfassungsgericht hat zu den Grenzen der Zustandshaftung des Eigentümers für die Grundstückssanierung bei Altlasten in seiner Grundsatzentscheidung vom 16.02.2000 - 1 BvR 242/91 u. 1 BvR 315/99 - (BVerfGE 102, 1 = NJW 2000, 2573 = DVBl. 2000, 1275 = DÖV 2000, 867 - im Folgenden zitiert nach juris) festgestellt, dass die sicherheitsrechtlichen Vorschriften über die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers eine im Grundsatz zulässige Regelung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG darstellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.02.2000, juris Rn. 46; vgl. hierzu und zum Folgenden auch die Darstellung im Urteil des BVerwG vom 23.09.2004 - 7 C 22.03 -, BVerwGE 122, 75 = NVwZ 2004, 1505 = DVBl. 2004, 1564 = juris Rn. 23 f.). Bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Zustandshaftung haben Behörden und Gerichte Bedeutung und Tragweite der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 und 2 GG zu beachten; sie müssen bei ihren Entscheidungen der verfassungsrechtlichen Anerkennung des Privateigentums sowie seiner Sozialpflichtigkeit gleichermaßen Rechnung tragen und insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren (vgl. BVerfG, a. a. O. Rn. 48).

Die von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht zu beanstandende Zustandshaftung kann im Ausmaß dessen, was dem Eigentümer abverlangt werden darf, insbesondere durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt sein, der nur erforderliche und im Hinblick auf den Zweck angemessene und zumutbare Grundrechtsbeeinträchtigungen zulässt; das ist auch bei der Belastung des Eigentümers mit den Kosten einer Sanierungsmaßnahme zu beachten (BVerfG, a. a. O. Rn. 54). Zu Bestimmung der Grenze dessen, was einem Eigentümer an (finanziellen) Belastungen zugemutet werden darf, kann nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts das Verhältnis des finanziellen Aufwands zu dem Verkehrswert nach Durchführung der Sanierung herangezogen werden. Wird der Verkehrswert von den Kosten überschritten, entfällt in der Regel das Interesse des Eigentümers an einem künftigen privatnützigen Gebrauch des Grundstücks (BVerfG, a. a. O. Rn. 56). Eine diese Grenzen überschreitende Belastung kann insbesondere dann unzumutbar sein, wenn die Gefahr, die von dem Grundstück ausgeht, aus Naturereignissen, aus der Allgemeinheit zuzurechnenden Ursachen oder von nicht nutzungsberechtigten Dritten herrührt (BVerfG, a. a. O. Rn. 57). Zumutbar kann eine den Verkehrswert des sanierten Grundstücks übersteigende Kostenbelastung allerdings dann sein, wenn der Eigentümer das Risiko der entstandenen Gefahr bewusst in Kauf genommen, etwa das Grundstück in Kenntnis der dort vorhandenen Altlasten oder einer früheren risikoreichen Nutzung erworben hat, denn das freiwillig übernommene Risiko mindert die Schutzwürdigkeit des Eigentümers. Dies kann auch dann anzunehmen sein, wenn und soweit Risikoumstände beim Erwerb eines Grundstücks erkennbar waren der Eigentümer aber in fahrlässiger Weise die Augen davor geschlossen hat. Insoweit kann für die Beurteilung der Zumutbarkeit neben dem Grad der Fahrlässigkeit auch erheblich sein, ob der Eigentümer Vorteile aus dem Risiko - etwa durch einen reduzierten Kaufpreis oder einen erhöhten Pachtzins - erzielt hat (BVerfG, a. a. O. Rn. 59 f.). Auch in den Fällen, in denen eine Kostenbelastung über den Verkehrswert hinaus an sich zumutbar ist, kann sie nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Eigentümers bezogen werden. Es kann allenfalls zumutbar sein, Vermögen für die Sanierung einzusetzen, das zusammen mit dem sanierungsbedürftigen Grundstück eine funktionale Einheit darstellt. Aber auch auf dieses sonstige Vermögen darf nur unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugegriffen werden. Wird auf Grund der mit der Sanierung verbundenen Kostenbelastung die Fortführung des Unternehmens oder Betriebs gefährdet, ist bei der Abwägung das in Art. 14 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommende Gewicht des Eigentumsschutzes zu beachten, weil sich die Belastung für den Betroffenen faktisch wie eine Enteignung ohne angemessene Entschädigung auswirkt (BVerfG,a. a. O. Rn. 62).

Die dargestellten Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts zeigen nach Ansicht des OVG, dass eine Inanspruchnahme des Pflichtigen über den als Orientierungsgrenze geltenden Verkehrswert hinaus nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich sei (so die Schlussfolgerung des BVerwG in seinem Urteil vom 23.09.2004 - 7 C 22.03 - juris Rn. 24). Dies sei auch im vorliegenden Fall zu beachten, in dem es nicht unmittelbar um eine Sanierung des Grundstücks (durch Bodenaustausch o. ä.), sondern um seine Beräumung von darauf abgelagerten Altreifen gehe. Auch durch die Auferlegung einer derartigen Pflicht könne es zu einer unzumutbaren Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers durch die mit der angeordneten Maßnahme verbundene Kostenbelastung kommen.

Einer aus Art. 14 Abs. 1 GG sich ergebenden Begrenzung der Zustandshaftung der Klägerin stehe nicht entgegen, dass sie die streitgegenständlichen Grundstücke im Jahre 1995 in Kenntnis der vorherigen Nutzung als Deponieflächen und der deshalb dort vorhandenen Ablagerung von erheblichen Mengen von Altreifen erworben habe. Zwar könne in diesem Fall nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine den Verkehrswert des sanierten Grundstücks übersteigende Kostenbelastung zumutbar sein. Dies bedeute aber entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts in I. Instanz nicht, dass mangels einer „Opfersituation“ eine Haftungsreduzierung von vornherein ausscheide. Das Verwaltungsgericht berufe sich in der angefochtenen Entscheidung zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung auf seinen Eilbeschluss vom 18.05.1999 -7 E 1718/98.We - und die darin zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass etwa der im Eilbeschluss erwähnte Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.12.1990 - 7 B 133.90 - durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.02.2000 aufgehoben worden sei.

Die mit dem Erwerb des Grundstücks in Kenntnis seiner früheren Nutzung als Deponie verbundene Risikoübernahme habe demnach nicht etwa zur Folge, dass die erforderliche Abwägung zwischen den schutzwürdigen Eigentümerinteressen mit den Belangen der Allgemeinheit unterbleiben könne (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.02.2000, juris Rn. 59). Auch in den Fällen, in denen eine Kostenbelastung über den Verkehrswert hinaus „an sich“ zumutbar sei, habe die Verwaltung eine Abwägungsentscheidung nach den dargestellten Maßstäben zu treffen. Die Frage, ob die Kostenbelastung dem Eigentümer noch zumutbar ist, stelle sich hier zumindest dann, wenn diese den Verkehrswert der betroffenen Grundstücke übersteige. Zu prüfen sei – so das OVG - insbesondere, ob und in welchen Grenzen es dem Grundstückseigentümer zugemutet werden könne, sein sonstiges Vermögen zur Sanierung in Anspruch zu nehmen (zu den Maßstäben vgl. den zitierten Beschluss des BVerfG vom 16.02.2000, juris Rn. 62 ff.). Ordne die Verwaltung Sanierungsmaßnahmen an, sei aber die damit verbundene Kostenbelastung wegen fehlender Zumutbarkeit von Verfassungs wegen begrenzt, müsse sie dementsprechend auch über die Begrenzung der Kostenbelastung des Zustandsverantwortlichen entscheiden. Sofern ihr eine abschließende Entscheidung noch nicht möglich sei, sei die Sanierungsverfügung mit dem Vorbehalt einer gesonderten Entscheidung über die Kostentragung zu verbinden (so bereits BVerfG, Beschluss vom 16.02.2000, juris Rn. 65).

Die (vor Erlass der erwähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangene) streitgegenständliche Anordnung vom 27.05.1998 enthalte eine derartige Abwägungsentscheidung nicht. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 26.06.2002 erwähne zwar den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.02.2000, lasse es aber bei einem Hinweis auf die darin angesprochene Minderung der Schutzwürdigkeit des Eigentümers im Falle eines freiwillig übernommenen Risikos bewenden. Die streitgegenständliche Anordnung sei auch nicht etwa mit dem Vorbehalt einer gesonderten Entscheidung über die Kostentragung verbunden worden; der Widerspruchsbescheid vom 26.06.2002 enthalte einen derartigen Vorbehalt ebenfalls nicht. Eine im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmende Abwägung der Belastung der Klägerin als Grundstückseigentümerin mit den betroffenen Gemeinwohlbelangen sei hier in jedem Falle geboten gewesen. Die im Bescheid vom 27.05.1998 vorläufig auf 750.000 DM geschätzten Kosten der geforderten Maßnahmen (die Kosten waren tatsächlich noch höher und betrugen insgesamt - unter Einbeziehung der nicht im Eigentum der Klägerin befindlichen Grundstücke - gut 980.000 DM) überstiegen den Verkehrswert der betroffenen Grundstücke nach Durchführung der geforderten Beräumungsarbeiten offensichtlich erheblich. Zwar habe der Geschäftsführer der Komplementärin die Grundstücke nach seinen Angaben seinerzeit auf Veranlassung seines Vaters von den Voreigentümern zu einem Kaufpreis von insgesamt ca. 850.000 DM erworben. Zwischen den Verfahrensbeteiligten bestehe aber Einigkeit darüber, dass der Wert der Grundstücke heute - nach Durchführung der angeordneten Maßnahmen - deutlich unterhalb der Kosten liege, die die Klägerin aufgrund der streitgegenständlichen Anordnung zu tragen hätte. Die Klägerin hatte in dem beim Verwaltungsgericht anhängig gemachten Eilverfahren auf ihre wirtschaftliche Lage und das ihrer Auffassung nach gegebene Missverhältnis zwischen Beräumungskosten und Grundstückswert ausdrücklich aufmerksam gemacht. Im Rahmen der gebotenen Abwägung hätte sich der Beklagte darüber hinaus auch mit dem Einwand der Klägerin auseinandersetzen müssen, die auf den streitgegenständlichen Grundstücken ausgebeutete Kiesgrube sei seinerzeit ohne Zustimmung der betroffenen Grundeigentümer zur zentralen Reifendeponie des Bezirks Erfurt umfunktioniert worden. Sei die von einem Grundstück ausgehende Gefahr auf eine im öffentlichen Interesse erfolgte Grundstücksnutzung zurückzuführen und damit der Allgemeinheit zuzurechnen, sei dies bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Inanspruchnahme des Grundeigentümers zu Gefahrenabwehrmaßnahmen zu berücksichtigen (vgl. den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.02.2000, juris Rn. 57; VG Stade, Urteil vom 22.02.2007 - 1 A 338/05 - juris Rn. 38).