Ausschluss nur bei Verstoß gegen absolut eindeutige Vorgaben!

17.07.2012

 

Zu: BGH, Urteil vom 03.04.2012 - X ZR 130/10

In den Vergabeunterlagen eines öffentlichen Auftraggebers wurde unter anderem das Formblatt 211 des Vergabehandbuchs des Bundes (VHB 2008) verwendet. Die Überschrift lautete "Vorlage von Nachweisen/Angaben durch den Bieter und gegebenenfalls Nachunternehmer". Unter Ziff. 3.2. hieß es: "Zum Nachweis der Eignung sind vorzulegen: Mit dem Angebot Unterlagen nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 (a - f) VOB/A". Auf den Formblättern 233 ("Verzeichnis der Nachunternehmerleistungen, auf die mein/unser Betrieb eingerichtet ist") und 234 ("Verzeichnis der Nachunternehmerleistungen, auf die mein/unser Betrieb nicht eingerichtet ist") war nicht angekreuzt, dass Nachunternehmer bereits bei Angebotsabgabe zu benennen waren. Der Bieter benannte mit dem Angebot von ihm vorgesehene Nachunternehmer, reichte die Eignungsnachweise für diese Nachunternehmer aber erst nach Ablauf der Angebotsfrist ein. Dies führte zum Ausschluss.

 

Der BGH erklärt den Angebotsausschluss für unzulässig. Es galt noch die alte Fassung der VOB/A (2006), wonach Angebote bei Unvollständigkeit stets auszuschließen waren. Der BGH hebt hervor, dass immer dann, wenn ein Ausschluss wegen Unvollständigkeit im Raum steht, ganz eindeutige und unmissverständliche Formulierungen in den Vergabeunterlagen feststellbar sein müssen, aus denen der Bieter sicher entnehmen kann, welche Erklärungen wann verlangt werden. Diese Frage der Klarheit der Unterlagen unterliegt ebenso wie AGB-Klauseln der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Unklar sind Vergabeunterlagen schon bei mehrdeutigen Formulierungen. Die Überschrift des Formblatts 211 lässt durch die Worte "und gegebenenfalls Nachunternehmer" nicht klar erkennen, ob die Nachunternehmer selbst Eignungsnachweise beibringen müssten oder der Bieter diese für die Nachunternehmer vorzulegen hat. Auch wenn eine Beibringung durch Nachunternehmer für einen verständigen Bieter ungewöhnlich erscheint, verhindert bereits diese textliche (Auslegungs-)Möglichkeit ein eindeutiges Verständnis der Vergabeunterlagen. Zudem war in Verbindung mit den Formblättern 233 und 234 noch nicht einmal klar, ob überhaupt im Angebot Nachunternehmer anzugeben waren. Dass tatsächlich Nachunternehmer vom Bieter benannt wurden, ist demgegenüber unerheblich.

 

Formblatt 211 des gültigen VHB 2008 ist uneindeutig, das BMVBS wird es ändern müssen. Der BGH stellt aber Grundsätzliches fest: "Verstöße" gegen interpretierbare oder gar zweifelhafte, missverständliche und/oder widersprüchliche Angaben der Vergabeunterlagen können nie zum Angebotsausschluss führen. Selbst wenn eine behauptete Bieterauslegung ungewöhnlich ist, begründet dies dennoch eine Unklarheit der Vorgaben, solange sie vertretbar erscheint. Konsequenz: Führt die Auslegung der Vergabeunterlagen zu mehr als einem möglichen Ergebnis, kommt ein Ausschluss praktisch nicht mehr in Betracht.