VOL/A: Kein Anspruch auf Nachforderung fehlender Erklärungen!

28.03.2012

Zu: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.03.2011 - 15 Verg 2/11

Der Auftraggeber schreibt Postdienstleistungen europaweit im Offenen Verfahren aus. Zuschlagskriterien sind neben dem Preis (70%) die angebotenen Brieflaufzeiten (30%). Das von einem Bieter eingereichte Angebot enthält an der dafür vorgesehenen Stelle "Laufzeiten für Briefe"/"E+" keinen Eintrag. Auf ein Aufklärungsverlangen, ob die nicht angegebene Laufzeit als "0" zu verstehen sei, teilt der Bieter mit, dass die Brieflaufzeit bei E+1,06 Tagen liege. Er übersendet eine Kopie einer Seite der Leistungsbeschreibung, auf der die Laufzeit nachgetragen ist. Der Auftraggeber schließt das Angebot mit der Begründung aus, dass der Nachtrag einer wertungsrelevanten Angabe nicht gestattet sei. Der Bieter rügt den Ausschluss und macht geltend, ein Verbot, wertungsrelevante Angaben nachzufordern, gebe es nicht; der Nachforderung sei er rechtzeitig nachgekommen.

Das OLG Karlsruhe ist der Auffassung des Bieters nicht gefolgt. Der Ausschluss des Angebots ist nach § 19 EG Abs. 3 a VOL/A 2009 rechtens. Die nachgelieferte Brieflaufzeit muss unberücksichtigt bleiben. Der Auftraggeber hat diese Angabe nicht nachgefordert. Vielmehr handelt es sich nur um ein Aufklärungsverlangen nach § 18 EG VOL/A 2009. Der Auftraggeber hätte die fehlende Angabe der Brieflaufzeit auch nicht nachfordern müssen. Zwar sind die Begriffe "Erklärungen und Nachweise" in § 19 EG Abs. 2 VOL/A 2009 weit auszulegen. Danach sind sämtliche, auch wertungsrelevante Angaben wie hier die Brieflaufzeit - mit Ausnahme von wesentlichen Preisangaben - nachforderungsfähig. Jedoch konnte der Auftraggeber von einer Nachforderung absehen, weil § 19 EG Abs. 2 VOL/A 2009 keinen Anspruch auf Nachforderung fehlender Angaben gewährt. Sie steht nur im Ermessen des Auftraggebers. Aufgrund des hohen Stellenwerts der Brieflaufzeit für die Angebotswertung kommt es schließlich nicht darauf an, dass der Auftraggeber sein Ermessen hier gar nicht ausgeübt hat.

Anders als bei Bauvergaben, wo § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A die Nachforderung geforderter Erklärungen und Nachweise verbindlich vorschreibt, können Bieter bei VOL/A- und VOF-Vergaben nicht auf eine zweite Chance vertrauen. Zum Beispiel sind die Deutlichkeit der formalen Anforderungen an das Angebot in den Vergabeunterlagen sowie mit der Nachforderung verbundene Verfahrensverzögerungen legitime Erwägungen, auf eine Nachforderung zu verzichten, ohne dass es dafür eines besonderen Hinweises der Vergabestelle bedarf. Bieter sollten daher weiterhin ihr Augenmerk auf die Abgabe eines vollständigen Angebots richten.