Urheberrechtsschutz bei baulichem Gebrauchsgegenstand?

28.03.2012

 

Zu: BGH, Urteil vom 12.05.2011 - I ZR 53/10

Ein Unternehmer stellt als "Seilzirkus" bezeichnete Kletternetze für Kinderspielplätze her. Diese bestehen aus einem im Boden verankerten Mast und aus an der Mastspitze und im Boden befestigten und durch Innennetze miteinander verknüpften Seilen. Der Unternehmer behauptet, der Konstrukteur dieser Kletternetze, ein Architekt, habe ihm ein weltweites ausschließliches Nutzungsrecht an den Kletternetzen eingeräumt. Ein Wettbewerber stellt gleichartig konstruierte Kletternetze her und vertreibt sie. Diesen nimmt der Unternehmer unter anderem aus Urheberrecht auf Unterlassung in Anspruch.

Ohne Erfolg! Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst, einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke, zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen sind. Da die von dem Unternehmer hergestellten Kletternetze einem Gebrauchszweck dienen, sind sie dem Bereich der angewandten Kunst und nicht dem der "reinen" (zweckfreien) Kunst zuzurechnen. Urheberrechtsschutz können nur solche Merkmale eines Gebrauchsgegenstands begründen, die nicht allein technisch bedingt, sondern auch künstlerisch gestaltet sind. Technisch bedingt sind diejenigen Merkmale, ohne die der Gebrauchsgegenstand nicht funktionieren könnte. Soweit die Gestaltung solcher Merkmale allein auf technischen Erfordernissen beruht, können sie einem Gebrauchsgegenstand keinen Urheberrechtsschutz verleihen, was bereits daraus folgt, dass nach § 2 Abs. 2 UrhG nur persönliche geistige Schöpfungen als Werke urheberrechtlich geschützt sind. Eine persönliche geistige Schöpfung ist ausgeschlossen, wo für eine künstlerische Gestaltung kein Raum besteht, weil die Gestaltung durch technische Erfordernisse vorgegeben ist. Der Urheberrechtsschutz für einen Gebrauchsgegenstand kann folglich nur bejaht werden, wenn seine Gestaltung nicht nur eine technische Lösung verkörpert, sondern auch einen durch eine künstlerische Leistung geschaffenen ästhetischen Gehalt aufweist. Bei Werken der angewandten Kunst muss genau und deutlich dargelegt werden, inwieweit der Gebrauchsgegenstand über seine von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet ist. Nach diesen Maßstäben ist für die Kletternetze des Unternehmers ein Urheberrechtsschutz zu versagen. Es handelt sich nicht um Schöpfungen mit individuellen Gestaltungsmerkmalen, die über die technische Idee und ihre Verwirklichung hinausgehen.

Auch ein Bauwerk oder ein Teil eines Bauwerks genießt nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG urheberrechtlichen Schutz, wenn es aus der Masse des alltäglichen Bauschaffens herausragt, also eine ausreichende schöpferische Individualität, eine künstlerische Qualität, aufweist. Für die Beurteilung der Schöpfungshöhe eines Werks der Baukunst ist der ästhetische Eindruck maßgeblich, den das Werk nach dem Durchschnittsurteil des für Kunst empfänglichen und mit Kunstfragen einigermaßen vertrauten Menschen vermittelt. Die Prüfung der Schutzfähigkeit läuft immer auf eine Einzelfallbetrachtung hinaus.