Keine technischen Mindestanforderungen an Nebenangebote im Unterschwellenbereich

01.01.2012

Keine technischen Mindestanforderungen an Nebenangebote im Unterschwellenbereich

BGH, Urteil vom 30.08.2011 - X ZR 55/10

Bei der Zulassung von Nebenangeboten werden die Grundfreiheiten des Primärrechts der Europäischen Union und die Gebote der Gleichbehandlung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz gewahrt, wenn in den Vergabeunterlagen vorgegeben wird, dass Ausführungsvarianten eindeutig und erschöpfend beschrieben werden und alle Leistungen umfassen müssen, die zu einer einwandfreien Ausführung der Bauleistung erforderlich sind, und dass bei nicht in Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen oder in den Vergabeunterlagen geregelten Leistungen im Angebot entsprechende Angaben über Ausführung und Beschaffenheit dieser Leistungen zu machen sind.

Eine Kommune schrieb eine Regenentlastung aus. Die Vergabeunterlagen für diese Bauvergabe unterhalb des Schwellenwerts enthielten in Bezug auf Nebenangebote die Vorgaben, dass diese eindeutig und erschöpfend zu beschreiben seien, alle Leistungen für eine vollständige Ausführung enthalten müssen und der Bieter Angaben über Ausführung und Beschaffenheit zu machen habe, wenn er von Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen oder den Vergabeunterlagen abweiche. Die Vergabestelle möchte den Zuschlag auf das Nebenangebot eines Bieters erteilen. Ein anderer Bieter wehrt sich gegen die Beauftragung des Nebenangebots mit dem Hinweis, dass keine Mindestanforderungen an den Inhalt der Nebenangebote vorgegeben seien. Dies sei mit EU-Recht nicht vereinbar, welches hier aufgrund des grenzüberschreitenden Interesses am Auftrag zu beachten sei.

Erfolglos. Der BGH bestätigt, dass öffentliche Auftraggeber zwar das Primärrecht der EU im Unterschwellenbereich zu beachten haben, sofern ein grenzüberschreitendes Interesse am Auftrag zu bejahen ist. Hierzu gehören das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und sonst die "grundlegenden Vorschriften" des Unionsrechts, insbesondere diejenigen über die Freiheit des Warenverkehrs und der Dienstleistungen sowie das Niederlassungsrecht, samt der daraus abgeleiteten Grundprinzipien, insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz. Der Auftraggeber einer unterschwelligen Beschaffung ist jedoch auch im Falle eines grenzüberschreitenden Interesses nicht verpflichtet, sachlich technische Anforderungen in Bezug auf den Gegenstand von Nebenangeboten zu stellen, wie sich dies für den oberschwelligen Bereich aus § 16a Abs. 3 VOB/A 2009 bzw. § 9 EG VOL/A 2009 in Umsetzung des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/18/EG ergibt. Fehlt diese Anforderung, so beeinträchtigt dies nicht die Möglichkeiten etwaiger ausländischer Interessenten, ihre Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere ihre Fachkunde durch Einreichen von Nebenangeboten zur Geltung zu bringen. Schließlich sprechen auch Verhältnismäßigkeitserwägungen gegen eine entsprechende Anforderung an Nebenangebote, da sie - ohne einen angemessenen Mehrwert - zu Zusatzbelastungen der Auftraggeber führen.

Der BGH bestätigt in seiner Entscheidung mit Verweis auf den EuGH (Urteil vom 23.12.2009 - Rs. C-376/08) erneut die rechtliche Trennung von ober- und unterschwelligen Vergaben und relativiert die Anforderungen unterhalb der Schwellenwerte. Dies gilt auch bei Geltung von EU-Primärrecht aufgrund des grenzüberschreitenden Interesses am Auftrag. Auftraggeber müssen daher nicht fürchten, dass im Unterschwellenbereich durch die Hintertür des EU-Primärrechts vergleichbare Standards wie oberhalb der Schwelle Geltung erlangen könnten. Hier bleibt es bei einer klaren Zweiteilung der vergaberechtlichen Anforderungen.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Jochen Zweschper, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Quelle: ibr-online-Newsletter 20/2011