Voller Primärrechtsschutz bei VOB/A-Verstößen

01.01.2012

Voller Primärrechtsschutz bei VOB/A-Verstößen

Zu: LG Saarbrücken, Urteil vom 19.08.2011 - 7 O 33/11

Bei Unterschwellenvergaben ist Primärrechtsschutz zu Gunsten des Bieters durch einstweiligen Rechtschutz (Entscheidung über eine einstweilige Verfügung) zu gewähren. Durch Einleitung eines Vergabeverfahrens kommt zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Bieter ein vorvertragliches Schuldverhältnis zu Stande, aus dem der Bieter einen Anspruch auf Einhaltung der vom Auftraggeber gewählten Vergaberegeln (hier: VOB/A) hat. Bei drohenden Vergaberechtsverstößen kann der Bieter den Auftraggeber verpflichten lassen, die Erteilung des Zuschlags zu unterlassen.

Zwei öffentliche Auftraggeber schrieben gemeinsam gemäß der VOB/A national und öffentlich Bauleistungen aus, deren Auftragswert unterhalb des Schwellenwerts lag. Dem Bieter wurde mitgeteilt, der Zuschlag solle an einen Mitbewerber gehen. Daraufhin beantragte der Bieter eine einstweilige Verfügung, weil er eine vergaberechtswidrige Wertung eines fehlerhaft angebotenen Preisnachlasses des anderen Bieters befürchtete. Das Landgericht untersagte den öffentlichen Auftraggebern antragsgemäß, innerhalb der nächsten sechs Monate den Zuschlag zu erteilen. Gegen diesen Beschluss legten die Auftraggeber Beschwerde ein, so dass das Landgericht mit einem Urteil zu entscheiden hatte.

Das LG Saarbrücken wies die Beschwerde der Auftraggeber zurück und bestätigte die einstweilige Verfügung. Zudem erweiterte es auf entsprechenden Antrag des einen Bieters hin, den das Landgericht gemäß § 263 ZPO für zulässig hielt, die Zuschlagsuntersagung zeitlich bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Mit der Teilnahme des Bieters an der Ausschreibung sei zwischen den Bietern und den AG ein vorvertragliches Schuldverhältnis zu Stande gekommen, aus dem die Bieter einen Anspruch auf Einhaltung von Schutz- und Sorgfaltspflichten hätten. Da die Ausschreibung nach der VOB/A erfolgt sei, hätten die Bieter einen Anspruch darauf, dass sich die AG an die Regeln der VOB/A halten.

Eine rechtliche Begründung bleibt das LG Saarbrücken schuldig. Sein Hinweis auf die neueste Rechtsprechung des BGH zum Schadensersatzanspruch des Bieters bei Vergaberechtsverstößen des Auftraggebers greift zu kurz, weil sich der BGH nur zum Sekundärrechtsschutz, also zur Sanktion von Vergaberechtsverstößen durch Schadensersatzansprüche geäußert hat. Eine Herleitung eines Unterlassungsanspruchs des Bieters hatte das OLG Düsseldorf bereits in 2010 erarbeitet. Das OLG Düsseldorf hat seine Rechtsprechung (nun auch für private Auftraggeber) mit Beschluss vom 15.08.2011 (27 W 1/11) bestätigt. Damit setzt sich wohl zunehmend die Ansicht durch, dass der Primärrechtsschutz des Bieters unterhalb der Schwellenwerte keine nachgewiesene Vorsätzlichkeit, Willkürlichkeit o. Ä. voraussetzt. Prozessual bietet es sich für betroffene Bieter an, zunächst eine Zwischenverfügung zu beantragen und sodann eine einstweilige Verfügung, mit der dem Auftraggeber der Zuschlag vorläufig (ohne festen Endtermin) untersagt wird; wird die einstweilige Verfügung erlassen, kann der Auftraggeber den Bieter gemäß § 926 ZPO zur Erhebung einer regulären Klage verpflichten lassen. Die Anwendung des § 263 ZPO über die Klageänderung macht das einstweilige Verfügungsverfahren ausreichend flexibel. Die Nebenintervention des für den Zuschlag vorgesehenen Bieters gemäß den §§ 66 ff ZPO entspricht der Beiladung gemäß § 109 GWB bei Oberschwellenvergaben.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Jochen Zweschper, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Quelle: ibr-online-Newsletter 12/2011