Weisungsrecht des Stadtrats gegenüber seinen Vertretern im Aufsichtsrat

01.01.2012

Weisungsrecht des Stadtrats gegenüber seinen Vertretern im Aufsichtsrat

Zu: BVerwG, Urteil vom 31.08.2011 - 8 C 16.10

Das BVerwG hatte über das Weisungsrecht des Stadtrats gegenüber seinen Vertretern im Aufsichtsrat eines kommunalen Versorgungsbetriebs zu entscheiden.

Die Kläger sind Mitglieder des beklagten Rates der Stadt Siegen und auf dessen Vorschlag von der Gesellschafterversammlung der Siegener Versorgungsbetriebe GmbH (SVB) gewählte Mitglieder im Aufsichtsrat dieses Unternehmens. Sie wenden sich gegen Weisungen, Aufträge und andere Maßnahmen des Beklagten im Hinblick auf ihre Aufsichtsratstätigkeit, durch die sie die freie, am Wohl der Gesellschaft orientierte Ausübung ihrer Aufsichtsratsmandate gefährdet sehen. Seit dem Jahr 2005 war es zwischen den Parteien insbesondere bei der Preisfestsetzung der SVB mehrfach zu Divergenzen über die Zulässigkeit von Weisungen des Stadtrats gegenüber vom Rat vorgeschlagenen Mitgliedern des Aufsichtsrats der GmbH gekommen. Versuche der Stadt, den Gesellschaftsvertrag dahingehend zu ändern, dass ihr ausdrücklich ein Weisungsrecht gegenüber diesen Aufsichtsratsmitgliedern eingeräumt wird, scheiterten am Widerstand des zweitgrößten Gesellschafters, ohne dessen Mitwirkung die Stadt nicht über die erforderliche 75%-Mehrheit verfügt. Die Stadt stützt sich bei der Annahme ihres Weisungsrechts auf § 113 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW), demzufolge die Vertreter der Gemeinde in Gesellschafterversammlungen, Aufsichtsräten etc. von juristischen Personen, an denen die Gemeinde unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, die Interessen der Gemeinde zu verfolgen haben und an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden sind.
Die Klage mit dem Ziel festzustellen, dass der Beklagte nicht berechtigt sei, den Mitgliedern des beklagten Rates Weisungen oder das Stimmrecht im Aufsichtsrat berührende Aufträge zu erteilen, blieb erfolglos.

Vor dem BVerwG hatten die Kläger auch keinen Erfolg.

Nach Auffassung des BVerwG können kommunale Gremien gegenüber ihren Vertretern in einem fakultativ errichteten Aufsichtsrat eines Versorgungsunternehmens, das als Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisiert ist und an dem die Kommune eine Mehrheitsbeteiligung hält, auch dann weisungsbefugt sein, wenn dies im Gesellschaftsvertrag nicht explizit verankert ist.

Das BVerwG hat eine Weisungsgebundenheit der kommunalen Vertreter auf Grund des Gesellschaftsvertrages bejaht. Das kommunale Weisungsrecht gemäß § 113 GO NRW stehe unter dem Vorbehalt, dass nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt sei. Eine solche andere gesetzliche Regelung stelle § 52 Abs. 1 GmbHG dar, demzufolge auf einen fakultativen, d.h. (nur) nach dem Gesellschaftsvertrag zu bestellenden Aufsichtsrat verschiedene Vorschriften des Aktiengesetzes, unter anderem die über die Weisungsfreiheit der Aufsichtsratsmitglieder, entsprechend anzuwenden seien, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt sei. Hier hätte der Gesellschaftsvertrag die Vorschriften des Aktiengesetzes abbedungen, aber zur Frage des Weisungsrechts keine ausdrückliche Regelung getroffen. Daher sei im Wege der Vertragsauslegung zu prüfen, was der Gesellschaftsvertrag an Stelle der aktienrechtlichen Vorschriften regeln wollte. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Gemeinde bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages im Zweifel die gesetzlichen Voraussetzungen an die kommunalrechtliche Zulässigkeit ihrer Beteiligung an einer derartigen Gesellschaft einhalten wollte. Mit den kommunalrechtlichen Vorschriften sei ein Regelungssystem vorhanden, auf das als Auslegungshilfe für den Gesellschaftsvertrag zurückgegriffen werden könne. Da sich die Gemeinde gemäß § 108 Abs. 5 Nr. 2 GO NRW nur dann an einer GmbH mit einem fakultativen Aufsichtsrat beteiligen dürfe, wenn durch die Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages sichergestellt sei, dass der Rat den von der Gemeinde bestellten oder auf Vorschlag der Gemeinde gewählten Mitgliedern des Aufsichtsrats Weisungen erteilen könne, sei davon auszugehen, dass die Gesellschafter die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für eine Relevanz dieser Weisungen im Gesellschaftsvertrag schaffen wollten. Deshalb sei der Ausschluss der Vorschriften des Aktiengesetzes durch den Gesellschaftsvertrag dahin auszulegen, dass stattdessen ein Weisungsrecht des Beklagten gegenüber den Klägern für die Wahrnehmung ihrer Rechte als Mitglieder des Aufsichtsrats bestehen solle.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Quelle: Juris-Newsletter vom 07.09.2011