Verfassungsbeschwerden gegen die Eingliederung privater Unternehmen in den öffentlichen Rettungsdienst erfolglos

01.01.2012

Verfassungsbeschwerden gegen die Eingliederung privater Unternehmen in den öffentlichen Rettungsdienst erfolglos

Zu: BVerfG, Urteil vom 8.6.2010 - 1 BvR 2011/07, 1 BvR 2959/07

Das Bundesverfassungsgericht entschied mit Urteil vom 8.6.2010 über Verfassungsbeschwerden gegen die Eingliederung privater Unternehmen in den öffentlichen Rettungsdienst und lehnte eine der Verfassungsbeschwerden als teilweise unzulässig ab, im übrigen seien beide Verfassungsbeschwerden unbegründet.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerden war der durch § 31 sächsisches Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (SächsBRKG) wonach für den Rettungsdienst der Wechsel vom dualen System zum Eingliederungsmodell vollzogen wurde.

Die Organisation des öffentlichen Rettungsdienstes sowie die rechtliche Gestaltung der Übertragung unterscheidet sich zwischen den einzelnen Bundesländern teilweise stark. In Einigen ist nur ein öffentlicher Rettungsdienst vorgesehen, innerhalb dessen private Leistungserbringer mitwirken können (Einheits- oder Eingliederungsmodell), in anderen Ländern ist sowohl ein öffentlicher als ein privater Rettungsdienst zulässig (duales System oder Trennungsmodell). Im Freistaat Sachsen war der Rettungsdienst bislang nach dem dualen System organisiert. Der öffentliche Träger des Rettungsdienstes übertrug durch öffentlich-rechtlichen Vertrag die Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport auf private Hilfsorganisationen oder auf andere Unternehmer. Unternehmer mit entsprechender Genehmigung zu Notfallrettung oder zum Krankentransport konnten daneben auch einen privaten Rettungsdienst im eigenen Namen, auf eigene Verantwortung und auf eigene Rechnung betreiben. Eine Funktionsschutzklausel gewährleistete, dass die Genehmigung zu versagen war, wenn zu erwarten war, dass das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst durch Erteilung der Genehmigung beeinträchtigt wird.

Vordringliches Ziel des neuen Gesetzes ist es, durch eine Einheitlichkeit in Organisation und Durchführung in allen Bereichen einen effizienten Schutz der Bevölkerung vor Bränden, Unglücksfällen, öffentlichen Notständen und Katastrophen zu gewährleisten. Die hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerden der beiden Beschwerdeführer, welche in Sachsen private Rettungsdienstunternehmen betreiben, hat das Bundesverfassungsgericht teilweise als unzulässig verworfen und im übrigen zurückgewiesen. Die Beschwerdeführer sei nicht in ihren Grundrechten, insbesondere nicht in ihrer Berufsfreiheit, verletzt.

Eine der beiden Beschwerden ist insoweit unzulässig, als sie sich auch gegen die Gestaltung des nach der neuen Regelung vorgesehenen Auswahlverfahrens wendet, weil es der betreffenden Beschwerdeführerin zumutbar ist, den Vergaberechtsweg vor den Fachgerichten zu beschreiten, wenn eine für sie nachteilige Entscheidung im Auswahlverfahren ergeben sollte. Im Übrigen sind die Beschwerden unbegründet. Zwar stelle der Wechsel zum Einheitsmodell einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer dar. Für die Mitwirkung im öffentlichen Rettungsdienst sei nicht nur der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages mit dem Träger des Rettungsdienstes erforderlich, vielmehr müsse sich ein Interessent zuvor in einem Auswahlverfahren gegen seine Mitbewerber durchgesetzt haben. Ein Auswahlverfahren werde aber nur durchgeführt, wenn und soweit ein Bedarf an Kraftwagen und Notarzt-Einsatzfahrzeugen besteht. Auch können die privaten Unternehmer ihre Rettungsdienste nicht wie bisher auf der Grundlage eigener vertraglicher Vereinbarungen mit den Kostenträgern des Rettungsdienstes und den Krankenkassen erbringen.

Nach Ansicht des Gerichtes sind diese Eingriffe in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer jedoch gerechtfertigt, da der Gesetzgeber mit der Neuordnung des Rettungsdienstes legitime Gemeinwohlziele verfolgte und im Rahmen des ihm zustehenden Einschätzungs- und Prognosespielraums auch davon ausgehen durfte, dass die angegriffene Regelung zur Erreichung dieser Ziele geeignet und erforderlich ist.

Zur Begründung verweist das Gericht auf die überragende Wichtigkeit des Schutzes von Leben und Gesundheit, welche ohne den Eingriff in die Berufsfreiheit einer ernsthaften Gefährdung ausgesetzt wären. Da die Zulassung privater Unternehmen in den öffentlichen Rettungsdienst nun vom Bedarf an Kraftwagen und Notarzt-Einsatzfahrzeugen abhängig ist, wird das Entstehen von Überkapazitäten vermieden, welche angesichts der hohen Investitions- und Vorhaltekosten einen Konkurrenzkampf unter den privaten Rettungsunternehmen befürchten lassen, welcher die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes in empfindlicher Weise stören würde.

Aus Sicht des Gesetzgebers ergäbe sich zusätzlich eine generelle Vereinheitlichung des Schutzkonzepts aus Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz welche geeignet sowie erforderlich ist, zu einer effizienteren Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport beizutragen. Weiterhin sei eine flexible und einheitliche Planung der Leitstellen und Rettungswachen möglich, die auf bestehende Genehmigungen für Privatunternehmer keine Rücksicht nehmen muss.

Die Funktionsschutzklausel des zuvor verwendeten dualen Systems, wonach die Zulassung privater Unternehmen nur für den Fall erlaubt war, dass hierdurch die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes nicht beeinträchtigt oder gefährdet wird, ist nicht in gleich effizienter Weise zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes geeignet, da durch die Funktionsschutzklausel keine Vereinheitlichung der Strukturen und Abläufe von Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz sowie eine effizienteren Koordinierung der Rettungsdiensteinsätze erzielt werden kann. Das nun verwendete Einheitsmodell ist darüber hinaus geeignet und erforderlich, das gleichfalls angestrebte Ziel eines transparenten und chancengleichen Zulassungsverfahrens zu erreichen.

Im Rahmen der Gesamtabwägung ist von Bedeutung, dass die privaten Unternehmer weiterhin die Möglichkeit haben, sich in der Notfallrettung und Krankentransport als Anbieter beruflich zu betätigen. Verbleibende Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit scheinen angesichts des ihnen gegenüber stehenden überragend wichtigen Gemeinwohlziels eines effizienten Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung nicht unangemessen.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht