Aufhebungspflicht einer Ausschreibung?

01.01.2012

Aufhebungspflicht einer Ausschreibung?

Zu: OLG Düsseldorf, Urteile vom 07.01.2010 und 23.03.2010 - VII-Verg 61/09; Vergabe, Schleswig-Holstein, Urteil vom 08.10.2010 - VK-SH 13/10

Das OLG Düsseldorf nahm in den oben genannten Entscheidungen den Standpunkt ein, aus Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG folge, dass Nebenangebote nicht zugelassen werden dürfen, wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist. Die Vergabekammer Schleswig-Holstein ist dieser Auffassung gefolgt. Im Falle eines Verstoßes des öffentlichen Auftraggebers gegen diese Vorgabe soll nach der Vergabekammer einzig die Aufhebung des Vergabeverfahrens die geeignete Reaktion sein.

Im Mai 2010 hat die Antragsgegnerin im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union Erd-, Entwässerungs- und Oberbauarbeiten im Rahmen eines offenen Verfahrens ausgeschrieben. Der Preis sollte mit einer Gewichtung von 100 % gemäß der Vergabebekanntmachung das einzige Zuschlagskriterium sein. Die Antragsgegnerin ließ gleichwohl Varianten zu. Hierfür waren in den Vergabeunterlagen bestimmte Mindestanforderungen festgelegt. Vor diesem Hintergrund entschied die Vergabekammer Schleswig-Holstein, das Vergabeverfahren sei aufzuheben, da es an einem schwerwiegenden Mangel gemäß § 46 Nr. 1 c VOB/A 2006 (nun § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009) leide.

Eine Aussage, ob Nebenangebote zugelassen werden dürfen, wenn der Auftraggeber allein den Preis als Zuschlagskriterium gilt, trifft weder das GWB noch die VOB/A. Demnach kann der Vergabekammer darin gefolgt werden, dass § 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG unmittelbare Wirkung entfalten kann und aus systematischen Gründen viel dafür spricht, dass Nebenangebote im Falle eines ausschließlichen Preiswettbewerbs ausgeschlossen sind. Nicht frei von Zweifeln ist allerdings, ob die inhaltlichen Erwägungen der Vergabekammer zum Sinn der Regelung tragen.

Die Vergabekammer vertritt die Auffassung, dass unter Berücksichtigung des Ziels des Vergaberechts, eine transparente Vergabe öffentlicher Aufträge zu gewährleisten, die Unzulässigkeit von Varianten bei einer Auftragsvergabe nach dem Kriterium des günstigen Preises in der Sache überzeugend sei. Wenn allein der Preis das entscheidende Kriterium für die Erteilung des Zuschlags sein soll, dürften auch nur unmittelbar vergleichbare Angebote im Wettbewerb stehen. Folglich müsste sich der Auftraggeber hinsichtlich seiner Wirtschaftlichkeitsprüfung entweder für das Minimalprinzip (nur der Preis zählt) oder das Maximalprinzip (weitere Wirtschaftlichkeitsgründe werden einbezogen) entscheiden. Sofern sich der Auftraggeber für das Minimalprinzip entscheidet kann er alleine die Angebotspreise vergleichen. Werden allerdings Nebenangebote zugelassen, ist dies gerade nicht der Fall. Der Auftraggeber muss sich dann mit technischen Lösungsvorschlägen beschäftigen und diese bewerten.

Gegen diese Argumentation der Vergabekammer spricht, dass der Auftraggeber auch im Rahmen des Vergleichs von Hauptangeboten selbstverständlich ermitteln muss, ob die jeweils vorgeschlagenen technischen Lösungen mit den technischen Spezifikationen im Einklang stehen. Auch bei der Zulassung beziehungsweise Einbeziehung von Nebenangebote muss die Vergabestelle durch die Vorgabe von Mindestbedingungen die Vergleichbarkeit der Angebote sicherstellen. Vorliegend wurde dies durch die Vergabestelle beachtet. Es scheint daher nicht gerechtfertigt, im Falle des einzigen Zuschlagskriteriums Preis die Prüfungskompetenz des Auftraggebers ausschließlich auf den Vergleich der Angebotspreise zu verengen.

Haben sämtliche Bieter ein Hauptangebot eingereicht oder hat die Vergabestelle zwingend die Einreichung von Hauptangeboten nach § 8 Abs. 2 Nr. 3 lit. b) VOB/A 2009 gefordert, erscheint es dagegen nach dem OLG Düsseldorf lebensfremd, von einer Vergabestelle eine erneute Ausschreibung zu verlangen. Die Begründung, bei dem vergaberechtlich gebotenen Ausschluss von Nebenangeboten hätten andere Bewerber, die sich tatsächlich nicht beteiligt haben, ausschließlich Hauptangebote abgegeben, vom OLG Düsseldorf insoweit offenbar in Zweifel gezogen.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Jochen Zweschper, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht