Verfassungswidriges Landeswahlrecht in Schleswig-Holstein muss zügig geändert werden

01.01.2012

Verfassungswidriges Landeswahlrecht in Schleswig-Holstein muss zügig geändert werden

Zu: LVerfG Schleswig-Holstein, Urteil vom 30.8.2010 - LVerfG 1/10; LVerfG 3/09

Das Landesverfassungsgericht Schleswig-Holsteins entschied am 30.8.2010, dass die Wahl zum 17. Schleswig-Holsteinischen Landtag vom September 2009 in Anwendung eines verfassungswidrigen Wahlgesetzes durchgeführt wurde. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, die erforderlichen Neuregelungen zeitnah vorzunehmen. Darüber hinaus wurde die laufende Legislaturperiode zeitlich beschränkt.

Für die Neuregelung hat das Landesverfassungsgericht eine Frist bis zum 31.5.2011 gesetzt. Daran anschließend seien in Anwendung des dann verfassungskonformen Wahlgesetzes bis spätestens zum 30.9.2012 Neuwahlen durchzuführen. Die sich daraus ergebende Verkürzung der aktuellen Legislaturperiode sei geboten, um den Bestand des auf verfassungswidriger Grundlage gewählten Landtags nicht länger als erforderlich andauern zu lassen. Der Landtag die halte jedoch seine volle Handlung- und Arbeitsfähigkeit.

Im Rahmen der Landtagswahl vom 27.9.2009 ergab sich, dass die CDU über die Erststimmen 34 von 40 Wahlkreisen und damit 11 Sitze mehr, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil zugestanden hätte (Überhangmandate), gewann. Der Landtag wurde daraufhin von 69 auf 95 Abgeordnetensitze zum Zwecke des Ausgleichs erweitert. Dennoch reichte dies nicht aus, um sämtliche Überhangmandate durch den verhältnismäßigen Sitzanteil zu decken. Die zulasten anderer Parteien vorgenommene Begrenzung des Sitzausgleichs beruht auf § 3 Abs. 5 S. 3 des Landeswahlgesetzes und war wesentlicher Kritikpunkt sowohl der Wahlprüfungsbeschwerden als auch des gleichzeitig entschiedenen abstrakten Normenkontrollverfahrens. Der volle Ausgleich der Überhangmandate hätte zu anderen Mehrheiten geführt.

Die Auslegung und Anwendung des § 3 Abs. 5 S. 3 des schleswig-holsteinischen Landeswahlgesetzes durch die Landeswahlleiterin wurde vom Gericht als rechtmäßig erachtet. Die Entscheidung wurde dabei vor allem an den Vorgaben des Art. 10 Abs. 2 der Landesverfassung ausgerichtet. Danach ist die regelmäßige Zahl der Abgeordneten auf 69 festgesetzt und der Gesetzgeber verpflichtet, ein Wahlrecht zu schaffen, welches eine Erhöhung der Abgeordnetenzahl durch Überhang- und Ausgleichsmandate so weit wie möglich verhindert. Weiterhin ist das Wahlsystem zum schleswig-holsteinischen Landtag in Art. 10 Abs. 2 Landesverfassung als personalisierte Verhältniswahl ausgestaltet. Der für dieses Wahlsystem geltende Grundsatz der Wahlgleichheit des Art. 3 Abs. 1 Landesverfassung wird ebenfalls noch dadurch verstärkt, dass im Falle des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorzusehen sind.

Ausgehend von diesen Voraussetzungen hat das Gericht alle diejenigen Vorschriften in den verfassungsrechtlichen Fokus gestellt, welche in ihrem Zusammenspiel zu einer übermäßigen Zahl von Überhang- und Ausgleichsmandaten führen und gleichzeitig das Risiko des Entstehens ungedeckter Mehrsitze (Überhangmandate) erhöhen. Hierunter fallen die Regelungen über die Bildung, Größe und Anzahl der Wahlkreise, die Bestimmungen des Zweitstimmenwahlrechts und die Regelung über den März Ausgleich (§ 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 Landeswahlgesetz). Durch das Zusammenspiel dieser Normen werde sowohl die Vorgabe, die Regelgröße von 69 Abgeordneten möglichst nicht zu überschreiten, als auch der Grundsatz der Wahlgleichheit verfehlt.

Aus diesen Gründen hat das Gericht die Unvereinbarkeit der genannten Normen mit der Landesverfassung festgestellt und dem Gesetzgeber eine Zeitnahneufassung des Wahlrechts aufgegeben. Die genannten Normen des Landeswahlgesetzes dürfen in ihrer Gesamtheit bis zur geforderten Neufassung nicht mehr angewendet werden. Eine Neuwahl soll erst nach Änderung des Gesetzes erfolgen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die nächste Wahl auf verfassungskonformer Grundlage erfolgt.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht