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01.01.2012

Mindesthebesatz von 200 % für Gewerbesteuer verfassungsgemäß

Zu: BVerfG, Beschluss vom 27.01. 2010 - 2 BvR 2185/04 und 2 BvR 2189/04

Für Gemeinden gilt seit dem 1. Januar 2004 nach § 1, § 16 Abs. 4 S. 2 GewStG, Gewerbesteuern zu einem Mindesthebesatz von 200 % zu erheben. Die Festsetzung eines Hebesatzes stand den Gemeinden vorher frei, durch eine Festsetzung des Hebesatzes auf null konnten die Gemeinden sogar von der Erhebung der Gewerbesteuer gänzlich absehen.

Gegen diese Regelung wendeten sich zwei Gemeinden in Brandenburg. Sie wollen weiterhin die Möglichkeit haben, wie in der Vergangenheit niedrigere Hebesätze zu bestimmen oder gar keine Gewerbesteuer zu erheben. Die Verfassungsbeschwerden wurden zurückgewiesen. Der gesetzlich vorgeschriebene Mindesthebesatzes von 200 % für die Gewerbesteuer ist verfassungskonform. Die neue Regelung verstößt nicht gegen die grundgesetzlich gewährleistete kommunale Finanzhoheit und die von ihr umfasste Hebesatzautonomie. Durch Art. 28 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 6 Grundgesetz wird den Gemeinden nicht das Recht zur Festsetzung des Hebesatzes der Gewerbesteuer ohne gesetzliche Einschränkungen eingeräumt. Die mit dem gesetzlichen Mindesthebesatzes von 200 % verbundene Beschränkung des Hebesatzrechts berührt die Finanzautonomie der Gemeinde nicht in ihrem Kernbereich, bei den Gemeinden ein erheblicher Gestaltungsspielraum erhalten bleibt.

Der Entscheidung liegen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die Neuregelung ist durch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 Grundgesetz gedeckt. Sie ist zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich. Ein Verstoß gegen die im Grundgesetz als Bestandteil der allgemeinen Garantie (Art. 28 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz) gewährleistete und konstitutiv durch Art. 106 Abs. 6 S. 2 und Art. 28 Abs. 2 S. 3 Grundgesetz verstärkte kommunale Finanzhoheit.

Durch Art. 28 Abs. 2 S. 3 und Art. 106 Abs. 6 S. 2 Grundgesetz wird nicht gewährleistet, dass den Gemeinden das Recht zur Festsetzung des Hebesatzes der Gewerbesteuer ohne gesetzliche Einschränkungen eingeräumt wird. Die gemeindliche Hebesatzautonomie verlangt insbesondere keine unentziehbare Befugnis der Gemeinden, auf die Erhebung der Gewerbesteuer ganz zu verzichten. Das Grundgesetz fußt weder in seiner ursprünglichen Fassung noch in seinen späteren Änderungen auf einer einfachgesetzlichen Tradition uneingeschränkter Gestaltungsfreiheit der Gemeinden bei den Hebesätze. Mit der wettbewerblichen Funktion der Gewährleistung eines Hebesatzrechts können auch gesetzliche Bestimmungen vereinbar sein, welche die Freiheit des Wettbewerbsverhaltens begrenzen, um den Wettbewerb im gemeinwohlverträglichen Bahnen zu halten. Von Verfassungs wegen ist den Gemeinden weder eine bestimmte Aufkommenshöhe noch die Gewerbesteuer als solche garantiert

Allerdings lässt die verfassungsrechtliche Gewährleistung des gemeindlichen Hebesatzrechts keine beliebigen Einschränkungen zu. Allerdings darf der "Rahmen der Gesetze", an den Art. 106 Abs. 6 S. 2 Grundgesetz das Hebesatzrecht bindet, nicht beliebig eng gezogen werden. Im Kern muss der Gemeinde die Finanzhoheit erhalten bleiben. Es darf keine unverhältnismäßige Beschränkung des Hebesatzrechts geben.

Der gesetzliche Hebesatz von 200 % für die Gewerbesteuer wird diesen Anforderungen gerecht. Die Regelung dient dem legitimen Ziel, die Bildung von "Steueroasen" zu verhindern und die Streuung von Gewerbebetrieben über das ganze Land hinweg zu fördern sowie der Sicherung der verfassungsrechtlich vorgesehenen Gewerbesteuer-Umlage. Da die Berechnung der Umlage vom Ist-Aufkommen der Gewerbesteuer abhängt, kann sich eine Gemeinde durch Festsetzung des Hebesatzes auf Null der Abführung der Umlage entziehen. Die Festlegung eines Mindesthebesatzes verhindert, dass Gemeinden einen Anteil an der Einkommensteuer erhalten, ohne sich an der Gegenfinanzierung durch die Gewerbesteuerumlage zu beteiligen. Auch die Grenze der Zumutbarkeit wird durch eine Mindesthebesatz von 200 % gewahrt. Den Gemeinden bleibt das Hebesatzrecht als solches weiterhin erhalten. Den Gemeinden ist es weiterhin möglich, durch den maßvollen, weit unter dem Durchschnitt liegenden Mindesthebesatz von 200 % Standortnachteile auszugleichen und am interkommunalen Wettbewerb um Gewerbeansiedlungen teilzunehmen. Somit bleibt ihnen ein erheblicher Gestaltungsspielraum erhalten.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht