EuGH: Auftragsvergabe für Grünabfallentsorgung in Bonn verstößt gegen Gemeinschaftsrecht

01.01.2012

EuGH: Auftragsvergabe für Grünabfallentsorgung in Bonn verstößt gegen Gemeinschaftsrecht

Der Vertrag zwischen der Stadt Bonn / Müllverwertungsanlage Bonn GmbH und einem privaten Abfallentsorgungsunternehmen über die Entsorgung von Biomüll und Grünabfällen verstößt gegen Art. 8 in Verbindung mit den Abschnitten III bis VI der Dienstleistungsrichtlinie 92/50/EWG. So erging eine Entscheidung des EuGH am 21.01.2010 in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland mit der Begründung, der Entsorgungsauftrag hätte nicht ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens mit europaweiter Ausschreibung erfolgen dürfen.

Zwischen der Stadt Bonn und der städtischen Müllverwertungsanlage Bonn GmbH wurde am 23.06. 1997 ein Vertrag über Abfallentsorgungsleistungen mit dem privaten Abfallentsorgungsunternehmen EVB Entsorgung und Verwertung Bonn GmbH & Co. KG geschlossen. Darin verpflichtete sich die EVB Entsorgung und Verwertung Bonn GmbH & Co. KG Grünabfälle und Biomüll des Bonner Stadtgebietes in ihren Kompostierungsanlagen zu entsorgen. Die Vertragsvergabe erfolgte dabei ohne europaweite Ausschreibung.

Im Jahr 2006 beschwerte sich ein Konkurrenzunternehmen bei der Europäischen Kommission über die Auftragsvergabe. Daraufhin wurde von der Kommission 2007 gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstoßes gegen Art. 8 in Verbindung mit den Abschnitten III bis VI der (inzwischen aufgehobenen) "Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18.06.1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge" eingeleitet. Eine begründete Stellungnahme wurde am 01.02.2008 zusammen mit der Aufforderung, den gerügten Verstoß zu beenden, gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet. Mangels zufriedenstellender Reaktion der Bundesrepublik Deutschland erhob die Kommission schließlich Klage beim EuGH.
Die Europäische Kommission begründete ihr Vorgehen wie folgt:
Der von der Stadt Bonn und der Müllverwertungsanlage Bonn GmbH als öffentliche Auftraggeber mit dem Privaten Entsorgungsunternehmen EVB schriftlich geschlossene entgeltliche Vertrag über die Entsorgung von Grünabfällen und Biomüll sei ein öffentlicher Dienstleistungsvertrag der nicht ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens mit europaweiter Ausschreibung hätte vergeben werden dürfen.

Die Bundesrepublik Deutschland bestritt die Vertragsverletzung dem Grunde nach nicht und sagte zu, sich um eine Aufhebung des Vertrags zu bemühen. Sie wendete aber ein, dass zwischen Vergaberecht und Abfallrecht ein Spannungsverhältnis bestehe und die Anwendung des Vergaberechts nicht zu ineffizienter und ökologisch nachteiliger Nutzung von Entsorgungskapazitäten führen dürfe. Nach ihrer Ansicht steht das Vergaberecht insbesondere dem abfallrechtlichen Grundsatz entgegen, dass Abfälle möglichst nah am Ort ihrer Erzeugung behandelt und beseitigt werden sollen.

Weiterhin wird die Tatsache kritisiert, dass sich das Konkurrenzunternehmen erst nach zehn Jahren Vertragslaufzeit bei der Kommission beschwert habe, obwohl es bereits lange von dem Vertrag und seinen Abschlussmängeln gewusst und die Möglichkeit der Nachprüfung nach nationalem Recht willentlich unterlassen habe. Ein Wettbewerber könnte die insbesondere nach der "Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge" zulässigen Fristen im nationalen Nachprüfungsverfahren umgehen, wenn ein Vertragsverletzungsverfahren nach so langer Zeit noch möglich wäre. Dies würde dem Zweck der Rechtsbehelfsfristen, Rechtssicherheit zu schaffen, zuwiderlaufen.

Der EuGH sieht darin eine Vertragsverletzung der Bundesrepublik Deutschland. Der von der Stadt Bonn und der städtischen Müllverwertungsanlage Bonn GmbH mit der EVB geschlossene Vertrag über die Entsorgung von Grünabfällen und Biomüll verstoße gegen Art. 8 in Verbindung mit den Abschnitten III bis VI der Richtlinie 92/50/EWG. Die Vergabe des Auftrags hätte nicht ohne eine europaweite Ausschreibung erfolgen dürfen.

Der Einwand der Bundesrepublik Deutschland, das Vergaberecht widerspreche dem abfallrechtlichen Grundsatz der möglichst ursprungsnahen Abfallbeseitigung, weist der EuGH zurück. Durch die Richtlinie 92/50/EWG werde der öffentliche Auftraggeber nicht daran gehindert, einen Vertrag mit Bietern zu schließen, die zu einer Beseitigung der Abfälle möglichst nah am Ort der ihrer Erzeugung in der Lage seien. Weiterhin die die Kommission nach ständiger EuGH-Rechtsprechung zu Art. 226 EGV (jetzt Art. 258 AEUV) die Hüterin des EG-Vertrages. Im Interesse der Allgemeinheit sei es allein ihre Aufgabe, über die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226 EGV zu entscheiden. Die Anwendung von Art. 226 EGV werde auch nicht durch die Richtlinie 89/665/EWG beschränkt (EuGH, Urteil vom 15.10.2009).

Dazu wurde ausgeführt, Art. 226 EGV bestimme, anders als die Richtlinie 89/665/EWG, nicht die Beziehungen zwischen einem Mitgliedstaat und der Gemeinschaft. Laut EuGH unterscheiden sich die nationalen Nachprüfungsverfahren im Sinne dieser Richtlinie und die Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EGV nämlich sowohl hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits als auch hinsichtlich ihrer Zielsetzung voneinander. Während das nationale Nachprüfungsverfahren dem Schutz der nicht berücksichtigten Bieter diene, gewährleiste das Vertragsverletzungsverfahren im allgemeinen Interesse die Beachtung des Gemeinschaftsrechts.

zu EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-17/09

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht