Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht für öffentliche Stellen

01.01.2012

Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht für öffentliche Stellen

Mit Urteil vom 09.06.2009 (Az.: C-480/06) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass wenn öffentliche Stellen im allgemeinen Interesse liegende Aufgaben gemeinsam wahr nehmen, sie nicht der Ausschreibungspflicht nach der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge unterliegen. Damit wurde die Klage der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland abgewiesen. Weder beeinträchtige eine solche Zusammenarbeit zum Zwecke öffentlicher Aufgabenerfüllung den freien Dienstleistungsverkehr noch verfälsche die den Wettbewerb. Außerdem schreibe das Gemeinschaftsrecht keine bestimmte Rechtsform für die Gestaltung der Zusammenarbeit vor.

Am 18.12.1995 schlossen vier niedersächsische Landkreise mit der Stadtreinigung Hamburg einen Vertrag über die Entsorgung ihrer Abfälle in einer bis zum 15.04.1999 fertigzustellenden Müllverbrennungsanlage mit einer jährlichen Kapazität von 320.000 Tonnen. Der Vertrag sieht vor, dass die Stadtreinigung Hamburg den Landkreisen eine Kapazität von 120.000 Tonnen gegen eine bestimmte Vergütung reserviert. Gezahlt wird die Vergütung über die Stadtreinigung Hamburg an den Betreiber der Anlage, ihren Vertragspartner. Die Laufzeit des Vertrages beträgt zwanzig Jahre. Der Vertrag wurde von den Landkreisen direkt mit der Stadtreinigung Hamburg geschlossen, ohne zuvor das in der Richtlinie 92/50/EWG geregelte Ausschreibungsverfahren durchgeführt zu haben.

Der Vertrag wurde im Jahr 2004 gemäß Art. 226 Abs. 1 EG von der Europäischen Kommission beanstandet und am 24.11.2006 gegen die Bundesrepublik Klage erhoben. Die Kommission machte geltend, eine interkommunale Zusammenarbeit unterliege nur dann nicht dem Vergaberecht, wenn sie in Form einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung erfolge. Die Bundesrepublik Deutschland vertrat dagegen die Ansicht, der Vertrag falle als verwaltungsinterner Vorgang nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50. Die Stadtreinigung Hamburg sei kein Dienstleistungserbinger, der gegen Bezahlung tätig werde. Vielmehr sei sie ein öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger, der gegen Erstattung seiner Betriebskosten benachbarten Körperschaften des öffentlichen Rechts bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben Amtshilfe leiste. Die Klage der Kommission wurde jetzt vom Europäischen Gerichtshof abgewiesen. Der Vertrag zwischen der Stadtreinigung Hamburg und den vier Landkreisen sehe die gemeinsame Wahrnehmung einer ihnen allen obliegenden öffentlichen Aufgabe, der Abfallversorgung, vor und unterliege deshalb nicht der Ausschreibungspflicht in Art. 8 in Verbindung mit den Abschnitten III bis VI der Richtlinie 92/50.

Ihre im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben könne eine öffentliche Stelle mit ihren eigenen Mitteln und auch in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen erfüllen, ohne sich an externe Einrichtungen wenden zu müssen, die nicht zu ihren Dienststellen gehörten. Den öffentlichen Stellen werde durch das Gemeinschaftsrecht für die gemeinsame Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben auch keine spezielle Rechtsform vor.

Ferner werde das Hauptziel des gemeinschaftsrechtlichen Vergaberechts, die Schaffung eines freien Dienstleistungsverkehrs und die Eröffnung eines unverfälschten Wettbewerbs in allen Mitgliedstaaten, unter zwei Voraussetzungen nicht beeinträchtigt. Erstens dürfe die Umsetzung der Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Stellen nur durch Erwägungen geleitet sein, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhingen. Des Weiteren müsse der in der Richtlinie 92/50 genannte Grundsatz der Gleichbehandlung der Interessenten gewährleistet sein, so dass kein privates Unternehmen besser gestellt werde als sein Wettbewerber. Der Europäische Gerichtshof konnte auch nicht erkennen, dass mit der von den beteiligten Körperschaften gewählten Gestaltung das Vergaberecht umgangen werden sollte.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht