Kriterien einer autonomen Gebietskörperschaft wurden vom Europäischen Gerichtshof präzisiert

01.01.2012

Kriterien einer autonomen Gebietskörperschaft wurden vom Europäischen Gerichtshof präzisiert

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 11.09.2008 (Az.: C-428/06 ? C-434/06) entschieden, dass für die Frage, ob Steuerregelungen, die Gebietskörperschaften erlassen haben und die gebietsansässige Unternehmen begünstigen, eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare selektive Beihilfe darstellen, entscheidend ist, ob die erlassende Gebietskörperschaft im Verhältnis zur Zentralgewalt über die institutionelle, prozedurale und wirtschaftliche Autonomie verfügt, damit die von ihr erlassene Rechtsvorschrift als innerhalb dieser unterstaatlichen Einrichtungen allgemein geltend angesehen werden kann. Ist dies der Fall, würde sie keinen selektiven Charakter besitzen. Mit diesem Urteil wurden die Kriterien für das Bestehen einer ausreichenden Autonomie der Gebietskörperschaften präzisiert.

Hintergrund dieser Entscheidung war eine Klage gegen die baskischen Steuerregelungen. Die Autonome Gemeinschaft des Baskenlands besteht aus drei Gebietskörperschaften, die als Territorios Históricos bezeichnet werden. Der politische und institutionelle Aufbau der Autonomen Gemeinschaft weist zwei verschiedene Ebenen auf, nämlich die der dem gesamten Baskenland gemeinsamen Institutionen und die der auf dem Sonderrecht der Fueros beruhenden Institutionen oder Organe, die innerhalb der Territorios Históricos begrenzte Zuständigkeiten besitzen. Alle drei Territorios Históricos erließen im Jahr 2005 eine Steuerregelung, die den Satz der Körperschaftsteuer generell auf 32,5 Prozent festsetzte und verschiedene Abzüge von der Körperschaftsteuer vorsah. Der normale Steuersatz der Körperschaftsteuer beträgt nach den allgemein im spanischen Staat geltenden steuerrechtlichen Vorschriften hingegen 35 Prozent und identische Abzugsmöglichkeiten bestehen nicht. Nach dem Erlass dieser Steuerregelungen der Territorios Históricos erhoben eine Gewerkschaft und zwei benachbarte Autonome Gemeinschaften beim Obersten Gerichtshof der Autonomen Gemeinschaft des Baskenlandes eine Klage auf Nichtigerklärung dieser Steuerregelungen.

Daraufhin hatte der Oberste Gerichtshof dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die von den Territorios Históricos erlassenen Steuerregelungen allein deshalb als selektive, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigende Maßnahme und damit als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen anzusehen sind, weil sie nicht für das gesamte Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedstaats gelten.

Zunächst stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass zugleich auf die Territorios Históricos und die Autonome Gemeinschaft des Baskenlands abzustellen ist, um zu ermitteln, ob die unterstaatliche Einrichtung, die sowohl von diesen Territorios Históricos als auch von dieser Gemeinschaft gebildet wird, über eine ausreichende Autonomie verfügt, um den Bezugsrahmen zu bilden, anhand dessen die Selektivität einer von einem dieser Territorios Históricos erlassenen Maßnahme zu beurteilen ist. Weiter führte der Gerichtshof aus, dass die Feststellung, ob die von einer unterstaatlichen Einrichtung erlassenen Rechtsvorschriften eine staatliche Beihilfe mit selektivem Charakter darstellen, die Prüfung der Frage verlangt, ob diese unterstaatliche Einrichtung über eine ausreichende institutionelle, prozedurale und wirtschaftliche Autonomie verfügt, damit eine von ihr in den Grenzen der ihr übertragenen Zuständigkeiten erlassene Rechtsvorschrift als innerhalb dieser unterstaatlichen Einrichtungen allgemein geltend angesehen werden kann und somit keinen selektiven Charakter besitzt. Auf der Grundlage der vom Gerichtshof geprüften Gesichtspunkte und aller übrigen von dem vorlegenden Gericht für relevant erachteten Gesichtspunkte sei es jedoch nun Sache des vorlegenden Gerichts festzustellen, ob die Territorios Históricos und die Autonome Gemeinschaft des Baskenlandes eine solche Autonomie besäßen. Laut Gerichtshof hätte dies gegebenenfalls zur Folge, dass die Regelungen, die in den Grenzen der diesen unterstaatlichen Einrichtungen übertragenen Zuständigkeiten erlassen werden, keinen selektiven Charakter im Sinne der Bestimmung des EG-Vertrags über das Verbot staatlicher Beihilfen hätten.

Außerdem weist der Gerichtshof daraufhin, dass diese Prüfung erst nach einer vorherigen Kontrolle durchgeführt werden kann, mit der sichergestellt werden kann, dass die Territorios Históricos und die Autonome Gemeinschaft des Baskenlands die Grenzen ihrer Zuständigkeiten einhielten. Denn die Vorschriften unter anderem über die Finanztransfers seien im Hinblick auf diese so definierten Zuständigkeiten ausgearbeitet worden.

Der Europäische Gerichtshof stellte im Hinblick auf das Kriterium der institutionellen Autonomie fest, dass unterstaatliche Einrichtungen wie die Territorios Históricos und die Autonome Gemeinschaft des Baskenlands diesem Kriterium genügen, weil sie mit einem gegenüber dem der Zentralregierung eigenen politischen und administrativen Status ausgestattet sind.

Der Gerichtshof führte zur prozeduralen Autonomie aus, dass dieses Kriterium erfüllt ist, wenn die Entscheidung der unterstaatlichen Einrichtung getroffen wurde, ohne dass die Zentralregierung die Möglichkeit hatte, ihren Inhalt unmittelbar zu beeinflussen. Dies wurde in mehrerer Hinsicht präzisiert. Zum einen wurde klar gestellt, dass dieses Kriterium nicht ein Verfahren der Abstimmung ausschließt, wie es nach spanischem Recht zur Vermeidung von Normkonflikten im Ausschuss für Koordinierung und normative Bewertung stattfindet, sofern die nach Abschluss dieses Verfahrens erlassene Endentscheidung von der unterstaatlichen Einrichtung und nicht von der Zentralregierung erlassen wird. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die spanische Zentralregierung nicht die Möglichkeit besitzt, den Prozess des Erlasses von Rechtsvorschriften der Territorios Históricos unmittelbar zu beeinflussen, um Grundsätzen wie denen der Solidarität oder der steuerlichen Harmonisierung, die die betroffenen unterstaatlichen Einrichtungen bei dem Erlass einer Steuerregelung berücksichtigen müssen, Geltung zu verschaffen. Jedoch sei es Sache des nationalen Gerichts, die erforderlichen Nachprüfungen vorzunehmen.

Laut Gerichtshof verlangt das Kriterium der wirtschaftlichen und finanziellen Autonomie, dass die finanziellen Auswirkungen einer Senkung des für die Unternehmen in der Region geltenden nationalen Steuersatzes nichtdurch Zuschüsse oder Subventionen aus den anderen Regionen oder von der Zentralregierung ausgeglichen werden. Im Rahmen seiner Prüfung des Systems zur Berechnung des Finanzbeitrags, den die baskische Autonome Gemeinschaft zur Deckung der Kosten jener Lasten, die der spanische Staat im Bereich der nicht von der Autonomen Gemeinschaft ausgeübten Zuständigkeiten trägt, an den Staat überweist, hebt der Gerichtshof hervor, dass eines der wesentlichen Daten für die Berechnung dieses Finanzbeitrags der Anrechnungskoeffizient ist. Dieser sollte zwar grundsätzlich das relative Gewicht der baskischen Wirtschaft in ganz Spanien widerspiegeln, jedoch werde er in Verhandlungen festgelegt, die im Wesentlichen politischer Art seien. Eine Entscheidung, den Steuersatz zu senken wirke sich folglich nicht notwendig auf die Höhe dieses Koeffizienten aus. Im Übrigen weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine Unterbewertung des Anrechnungskoeffizienten nur einen Anhaltspunkt für das Fehlen einer wirtschaftlichen Autonomie der Territorios Históricos darstellen könnte. Um das Fehlen dieser Autonomie tatsächlich festzustellen, müsse nämlich ein Ausgleich bestehen, also ein Kausalzusammenhang zwischen einer von den Behörden der Territorios Históricos erlassenen steuerlichen Maßnahme und den Beträgen, die der spanische Staat tragen müsse.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht