Effekt des negativen Stimmgewichts ist verfassungswidrig

01.01.2012

Effekt des negativen Stimmgewichts ist verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat am 03.07.2008 (Az.: 2 BvC 1/07, 2 BvC 7/07) entschieden, dass die Regelungen des Bundeswahlgesetzes, aus denen sich der Effekt des negativen Stimmgewichts ergibt, verfassungswidrig sind.

Der Durch § 7 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 4 und 5 Bundeswahlgesetz bewirkte Effekt des negativen Stimmgewichts kann dazu führen, dass in bestimmten Konstellationen abgegebene Zweitstimmen für solche Parteien, die Überhangmandate in einem Land gewinnen, insofern negativ wirken, als diese Parteien in demselben oder einem anderen Land Mandate verlieren. Es ist auch umgekehrt möglich, dass die Nichtabgabe einer Wählerstimme der zu unterstützenden Partei dienlich ist.

Dieser Effekt des negativen Stimmgewichts verletzt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl und diese Regel daher, soweit hierdurch der Effekt des negativen Stimmgewichts ermöglicht wird, verfassungswidrig ist. Die Erfolgswertgleichheit fordert, dass der Erfolgswert jeder Stimme, für welche Partei sie auch immer abgegeben wurde, gleich ist. Daraus folgt, dass die Stimme für die Partei für die sie abgegeben wurde, positive Wirkung entfalten können muss. Ein Wahlsystem, dass bei einem Zuwachs an Stimmen zu Mandatsverlusten führt oder dass für den Wahlvorschlag einer Partei insgesamt mehr Mandate erzielt werden, wenn auf ich selber weniger oder auf einen konkurrierenden Vorschlag mehr Stimmen entfallen, führt zu willkürlichen Ergebnissen und lässt den demokratischen Wettbewerb um Zustimmung bei den Wahlberechtigten widersinnig erscheinen. Auch die Erfolgschancengleichheit der Stimmen wird durch den Effekt des negativen Stimmgewichts beeinträchtigt. Zwar ist es auch bei der Erfolgschancengleichheit möglich, dass Stimmen nicht gewertet werden, es jedoch nicht zulässig, dass einer Wahlstimme neben der Chance, zum beabsichtigten Erfolg beizutragen, auch die Gefahr, dem eigenen Wahlziel zu schaden, innewohnt.

Eine Rechtfertigung der Beeinträchtigung der Gleichheit der Wahl durch den Effekt des negativen Stimmgewichts kann nicht durch "zwingende Gründe" erfolgen. Die Regelungen, aus denen sich der Effekt des negativen Stimmgewichts ergibt, dienen Belangen des föderalen Proporzes. Zwar können föderale Belange grundsätzlich bei der Ausgestaltung des Wahlrechts berücksichtigt werden. Dadurch werde jedoch noch kein zwingender Grund gebildet, der geeignet wäre, den Effekt des negativen Stimmgewichts zu rechtfertigen. Durch den Effekt des negativen Stimmgewichts kommt es zu einem Eingriff in die Gleichheit der Wahl von hoher Intensität. Dem föderalen Element kommt demgegenüber kein hinreichendes Gewicht zu.

Der Wahlfehler wirkt sich nach Meinung des Gerichts zwar auf die Zusammensetzung des 16. Deutschen Bundestages aus, führt aber nicht zu dessen Auflösung, da das Interesse am Bestandsschutz der im Vertrauen auf die Verfassungsmäßigkeit des Bundeswahlgesetzes zusammengesetzten Volksvertretung überwiegt. Dem Gesetzgeber wurde auferlegt bis spätestens zum 30.06.2011 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Zusammenhang mit der erhobenen Wahlprüfungsbeschwerde auch über die Frage zu entscheiden, ob die nichtöffentliche Neuauszählung von Stimmen in einigen Wahlkreisen durch den Kreiswahlleiter gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl verstößt. Im Ergebnis wurde dies jedoch verneint.

Dieser Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zu Grunde. Aus dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl folgt nicht, dass sämtliche Handlungen im Zusammenhang mit der Ermittlung des Wahlergebnisses unter Beteiligung der Öffentlichkeit stattfinden müssen. Wenn für einzelne Nachzählungen des Kreiswahlleiters im rahmen seiner vorbereitenden Aufgaben die gebotene Öffentlichkeit nur mittelbar dadurch hergestellt wird, dass das Ergebnis solcher Nachzählungen der Überprüfung durch den Kreiswahlausschuss unterliegt, der seinerseits in öffentlicher Sitzung entscheidet, wird die Ordnungsmäßigkeit und Nachvollziehbarkeit der Feststellung des Wahlergebnisses nicht in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang kann ein Wahlfehler nur dann festgestellt werden, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es bei der vorbereitenden Neuauszählung zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist und der zuständige Wahlausschuss seinen Aufgaben nicht nachgekommen ist. Ein solcher Wahlfehler ist nicht geltend gemacht worden.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht