Die Vergabe eines öffentlichen Auftrags mit der Verpflichtung zur Zahlung von Tariflohn ist unzulässig

01.01.2012

Die Vergabe eines öffentlichen Auftrags mit der Verpflichtung zur Zahlung von Tariflohn ist unzulässig

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 03.04.2008 (Az.: C-346/06) entschieden, dass nach der EG-Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern es unzulässig sein kann, die Vergabe eines öffentlichen Auftrags von der Verpflichtung abhängig zu machen, das am Ausführungsort tarifvertraglich vorgesehne Entgelt zu zahlen. Erbringern staatenübergreifender Dienstleistungen, die Arbeitnehmer in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats entsenden, darf nach dem Urteil, nicht durch eine auf die Vergabe öffentlicher Aufträge anwendbare gesetzliche Maßnahme dieses Mitgliedstaats vorgeschrieben werden, einen Lohnsatz zu zahlen, der in einem nicht für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag festgelegt worden ist.

Hintergrund des Verfahrens ist ein Rechtsstreit zwischen dem Unternehmen Objekt und Bauregie und dem Land Niedersachsen über die Zahlung einer Vertragsstrafe. Auf Grund landesrechtlicher Gesetzgebung hatte sich das Unternehmen Objekt und Bauregie dazu verpflichtet, den beim Bau der Justizvollzugsanstalt Göttingen-Rosdorf eingesetzten Arbeitnehmern die im entsprechenden Tarifvertrag für das Baugewerbe vorgesehenen Entgelte zu zahlen. Unter anderem sieht das Niedersächsische Landesvergabegesetz vor, dass Aufträge für Bauleistungen nur an solche Unternehmen vergeben werden dürfen, die sich schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmern mindestens das tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu zahlen. Zudem muss sich der Auftragnehmer verpflichten, diese Verpflichtung Nachunternehmern aufzuerlegen und ihre Beachtung zu überwachen. Bei Nichteinhaltung wird eine Vertragsstrafe ausgelöst.

Es stellte sich jedoch im Rahmen der Bauarbeiten heraus, dass ein polnisches Unternehmen als Nachunternehmer von Objekt und Bauregie seinen auf der Baustelle eingesetzten 53 Arbeitnehmern nur 46,57 Prozent des vorgesehenen Mindestlohns gezahlt hatte, was in einem gegen den Hauptverantwortlichen des polnischen Unternehmens ergangenen Strafbefehl festgestellt wurde. Das Land Niedersachsen und der Insolvenzverwalter des Unternehmens Objekt und Bauregie streiten nun, nachdem der Werkvertrag auf Grund der Strafverfolgungsmaßnahmen gekündigt worden ist, darüber, ob dieses wegen Verletzungen der Entgeltverpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 84.934,31 Euro verpflichtet ist.

Das Oberlandesgericht Celle, als Berufungsinstanz, hatte Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der die Vertragsstrafe vorsehenden Bestimmungen. Daher hat es dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob der freie Dienstleistungsverkehr einer gesetzlichen Verpflichtung des Zuschlagsempfängers eines öffentlichen Bauauftrags entgegensteht, seinen Arbeitnehmern mindestens das tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu zahlen.

Der Europäische Gerichtshof gelangt in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass die fraglichen Bestimmungen mit der Gemeinschaftsrechtslinie über die Entsendung von Arbeitnehmern unvereinbar sind. Dazu wurde ausgeführt, dass der Lohnsatz nach dem Baugewerbe-Tarifvertrag nicht nach einer der in der genannten Richtlinie vorgesehenen Modalitäten festgelegt worden ist. In Deutschland gebe es zwar ein System zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, doch sei der Baugewerbe-Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindliche erklärt worden. Die Bindungswirkung dieses Tarifvertrages erstrecke sich außerdem nur auf einen Teil der Bautätigkeit, da zum einen die einschlägigen Rechtsvorschriften nur auf die Vergabe öffentlicher Aufträge anwendbar seien und nicht für die Vergabe privater Aufträge gälten und zum anderen der Tarifvertrag nicht für allgemein verbindlich erklärt worden sei.

Die landesrechtlichen Vorschriften entsprechen somit nicht den Bestimmungen der Gemeinschaftsrichtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern, nach denen die Mitgliedstaaten bei einer staatenübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen Mindestlohnsätze vorschreiben können.

Diese Auslegung der Richtlinie wird nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs durch deren Würdigung im Licht des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs bestätigt. Im vorliegenden Fall sei die Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs, die sich aus der Verpflichtung zur Zahlung des tarifvertraglich vorgesehenen Entgeltes an die Arbeitnehmer ergebe, insbesondere nicht durch den Zweck des Schutzes der Arbeitnehmer gerechtfertigt. Es konnte nämlich nachgewiesen werden, dass ein im Bausektor tätiger Arbeitnehmer nur bei seiner Beschäftigung im Rahmen eines öffentlichen Auftrags für Bauleistungen und nicht bei seiner Tätigkeit im Rahmen eines privaten Auftrags des Schutzes bedarf, der sich aus einem solchen Lohnsatz ergibt, der im Übrigen über den Lohnsatz nach dem deutschen Arbeitnehmer-Entsendegesetz hinausgeht.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Jochen Zweschper, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht