Arbeitsgemeinschaften bei Hartz IV-Leistungen verfassungswidrig

01.01.2012

Arbeitsgemeinschaften bei Hartz IV-Leistungen verfassungswidrig

Mit dem Urteil vom 20.12.2007 (Az.: 2 BvR 2433/04 und 2 BvR 2434/04) hat das Bundesverfassungsgericht den Kommunalverfassungsbeschwerden von Kreisen und Landkreisen gegen organisatorische Regelungen des SGB II zur Grundsicherung für Arbeitssuchende teilweise stattgegeben. Dass das SGB II den Beschwerdeführern die Zuständigkeit für einzelne Hartz IV- Leistungen zuweise, ohne dass die sich daraus ergebenden finanziellen Mehrbelastungen vollständig ausgeglichen würden, sei zwar zulässig. Jedoch sei die Pflicht der Kreise zur Aufgabenübertragung der Leistungen auf die Arbeitsgemeinschaften verfassungswidrig. Für die einheitliche Aufgabenwahrnehmung von kommunalen Trägern und der Bundesagentur für Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften gelte gleiches. Dem Gesetzgeber wurde vom Bundesverfassungsgericht aufgegeben, bis spätestens zum 31.12.2010 für eine Neuregelung zu sorgen. Es bleibe bis dahin bei der bisherigen Regelung.

Zunächst führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass die Bestimmung der Kreise und kreisfreien Städte zu Trägern der Grundsicherung in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II nicht das Recht auf kommunale Selbstverwaltung verletzte. Nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz sei das Recht der Selbstverwaltung den Gemeindeverbänden nur eingeschränkt gewährleistet. Die Verfassung beschreibe die Aufgaben der Kreise nicht selbst, sondern überantworte dies dem Gesetzgeber. Dort wo verfassungsrechtliche Gewährleistungen des Selbstverwaltungsrechts der Kreise entwertet werden, findet laut Bundesverfassungsgericht der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Regelung des Aufgabenbereichs der Kreise seine Grenze. Bei eine Aufgabenzuweisung könne ein Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände erst angenommen werden, wenn die Übertragung einer neuen Aufgabe ihre Verwaltungskapazität so sehr in Anspruch nehme, dass sie nicht mehr ausreichten, im einen Mindestbestand an zugewiesenen Selbstverwaltungsaufgaben des eigenen Wirkungskreises wahrzunehmen. Hier sahen die Richter den Kernbereich oder Wesensgehalt der Selbstverwaltung durch die Aufgabenzuweisung jedoch nicht von den Beschwerdeführern dargetan.

Ob der Bund durch § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SBG II gegen Art. 84 Abs. 1 GG a.F. verstoßen hat muss offen bleiben. Soweit der Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie nicht berührt sei, könnten sich die Beschwerdeführerinnen, im Rahmen einer Kommunalverfassungsbeschwerde nicht auf dies Norm des Grundgesetzes berufen. Anders als Art. 84 Abs. 1 Satz 7 Grundgesetz n.F. habe sich der früheren Fassung des Art. 84 Abs. 1 Grundgesetz auch kein absolutes Verbot der Aufgabenzuweisung auf die kommunale Ebene entnehmen lassen. Insofern erachtete das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde auch als unbegründet, soweit sich die Beschwerdeführer gegen § 46 Abs. 1, 5 bis 10 SGB II wandten. Die Vorschrift ordne eine Geldzahlung des Bundes an die Länder zur Entlastung der Kommunen an. Allein der Bund und die Länder werden dadurch berechtigt und verpflichtet. Hingegen würden Ansprüche oder Pflichten der Kommunen nicht geregelt.

Ein Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 83 Grundgesetz liege jedoch bei der in § 44b SGB II getroffenen Regelung vor. Danach sollen die kommunalen träger und die Bundesagentur für Arbeit zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben Arbeitsgemeinschaften bilden. Das in dieser Vorschrift geregelte Zusammenwirken von Bundes- und Landesbehörden überschreite die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen. Der Vollzug von Bundesgesetzen werde nach der Systematik des Grundgesetzes entweder von den Ländern oder vom Bund, nicht aber zugleich von Bund und Land oder einer von beiden geschaffenen dritten Institution wahrgenommen. Das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Bereich der Verwaltung bedürfe zwar nicht in jedem fall einer besonderen verfassungsrechtlichen Ermächtigung. Eine Ausnahme bedürfe jedoch eines besonderen sachlichen Grundes und könne nur hinsichtlich einer eng umgrenzten Verwaltungsmaterie in Betracht kommen. Laut Bundesverwaltungsgericht liegen diese Voraussetzungen hier nicht vor.

Dass die Agenturen für Arbeit und die kommunalen Träger zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben Arbeitsgemeinschaften bildeten ordne § 44b SGB II an. Das Verfassungsgericht betonte, dass es sich bei diesen nicht lediglich um eine räumliche Zusammenfassung verschiedener Behörden handele. Vielmehr sehe § 44b SGB II eine selbstständige, sowohl von der Sozial- als auch von der Arbeitsverwaltung getrennte Organisationseinheit vor, die die gesamten Aufgaben einer hoheitlichen Leistungsverwaltung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende umfasse. Es handele sich damit bei den Arbeitsgemeinschaften um eine Gemeinschaftseinrichtung von Bundesagentur und kommunalen trägern. Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes sei eine solche allerdings nicht vorgesehen.

Es existierten auch keine besonderen Gründe, die ausnahmsweise die gemeinschaftliche Aufgabenwahrnehmung in den Arbeitsgemeinschaften rechtfertigen könnten. Zwar sei das Anliegen, die Grundsicherung für Arbeitssuchende aus einer Hand zu gewähren, einsinnvolles Regelungsziel. Nach Ansicht der Verfassungsrichter kann dieses aber sowohl dadurch erreicht werden, dass der Bund für die Ausführung den Weg der bundeseigenen Verwaltung wählt, als auch dadurch, dass der Gesamtvollzug insgesamt den Ländern als eigene Angelegenheit überlassen wird.

Darüber hinaus widerspreche die Einrichtung der Arbeitsgemeinschaft dem Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung. Den zuständigen Verwaltungsträger verpflichte dieser, seine Aufgaben grundsätzlich durch eigene Verwaltungseinrichtungen, also mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen. In den Arbeitsgemeinschaften sei eine solch eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung weder für die Agenturen für Arbeit noch für die kommunalen träger gewährleistet. Weder seien in ihnen unabhängige und eigenständige Entscheidungen über die Aufgabenwahrnehmung durch den jeweiligen Verwaltungsträger vorgesehen noch möglich. Dass sie Aufgaben in den Arbeitsgemeinschaften einheitlich wahrgenommen werden bestimmte § 44b Abs. 1 Satz 1 SGB II. Diese einheitliche Aufgabenwahrnehmung zwinge die beiden Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende, sich in wesentlichen Fragen der Organisation und der Leistungserbringung zu einigen. Einer eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung laufe auch die Organisationsstruktur der Arbeitsgemeinschaften zuwider. Eine solche setze voraus, dass der jeweils zuständige Verwaltungsträger auf den Aufgabenvollzug hinreichend nach seinen eigenen Vorstellungen einwirken könne. Wenn Entscheidungen über Organisation, Personal und Aufgabenführung nur in Abstimmung mit einem anderen Träger getroffen werden könnten, fehle es daran in der Regel.

Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes verstößt § 44b SGB II zudem gegen den Grundsatz der Verantwortungsklarheit. Eine klare Zurechnung staatlichen Handels zu einem der beiden Leistungsträger werde durch die organisatorische und personelle Verflechtung bei der Aufgabenwahrnehmung behindert.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht