Anspruch auf nachträglich angeordnete Lärmschutzmaßnahmen besteht innerhalb der 30- Jahres- Frist

01.01.2012

Anspruch auf nachträglich angeordnete Lärmschutzmaßnahmen besteht innerhalb der 30- Jahres- Frist

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 07.03.2007 (Az.: 9 C 2.06) entschieden, dass Anwohner einer nach 1975 planfestgestellten neuen Straße dreißig Jahre lang einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen wegen ursprünglich nicht voraussehbarer Lärmwirkungen des Straßenbauvorhabens haben können.

Von den Klägern wurde eine nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen an einer Bundesstraße verlangt. Dem Planfeststellungsbeschluss von 1976 für den Neubau dieser Straße lag eine Lärmprognose zugrunde, die auf die Verkehrsentwicklung bis 1990 abstellte. Die Kläger forderten, dass auch die weitere Verkehrsentwicklung und die daraus resultierende Lärmsteigerung zu berücksichtigen sei. Weil für die Frage nicht voraussehbarer Lärmwirkungen nur auf denselben Zeitraum abgestellt werden dürfe, der auch dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde gelegen habe, lehnte die Straßenbauverwaltung das Begehren ab. Die Vorinstanzen schlossen sich dieser Rechtsauffassung an.

Im Revisionsverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht dieses beanstandet. Grundsätzlich bestehe der Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen wegen ?nicht voraussehbarer Wirkungen? für die gesamte Dauer der in § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG vorgesehenen 30- Jahres- Frist. Auch werde er nicht dadurch ausgeschlossen, dass dem Planfeststellungsbeschluss zulässigerweise ein kürzerer Prognosezeitraum zugrunde gelegen habe.

Da sichere Vorhersagen über weitergehende zukünftige Entwicklungen kaum angestellt werden könnten, werde in der Praxis der straßenrechtlichen Planfeststellung regelmäßig mit kürzeren Prognosezeiträumen von etwas zehn bis 15 Jahren gearbeitet. Allerdings führe dies nicht zu einer Verkürzung der vom Gesetz auf 30 Jahre bestimmten Frist zur Geltendmachung von Nachbesserungsansprüchen.

Das Tatbestandsmerkmal ?nicht voraussehbar? sei nicht gleichzusetzen mit dem Begriff der ?fehlgeschlagenen Prognose? und setze eine solche auch nicht voraus. Vielmehr sei auch dann eine erhebliche Steigerung der Belästigung durch Verkehrslärm gegenüber dem methodisch korrekt prognostizierten Zustand nicht voraussehbar, wenn sie erst nach Ablauf des Prognosezeitraums eintrete, so das Bundesverwaltungsgericht.

Eine Lärmsteigerung sei in diesem Sinne grundsätzlich erst erheblich, wenn der nach der Prognose zu erwartende Beurteilungspegel um mindestens drei Dezibel überschritten werde. Eine Lärmzunahme von weniger als drei Dezibel könne nur ausnahmsweise dann erheblich sein, wenn der Beurteilungspegel die so genannte enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle übersteige, die in Wohngebieten bei Beurteilungspegeln von 70 Dezibel tags und 60 Dezibel nachts beginne.

Allerdings hänge der Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen von weiteren Voraussetzungen ab. Dazu gehöre zunächst, dass er nur innerhalb von drei Jahren geltend gemacht werden könne, nachdem der Betroffene Kenntnis von den nachteiligen Wirkungen erhalten habe.

Des Weiteren sei erforderlich, dass die Betroffenen bei Vorhersehbarkeit dieser Wirkungen nach der Rechtslage, die dem bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss zugrunde gelegen habe, einen Anspruch auf Schutzmaßnahme gehabt hätten, der über die ihnen gewährten Schutzvorkehrungen hinausgegangen sei. Die Betroffenen seien nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift so zu stellen, als ob die nachträglich aufgetretenen Wirkungen des Vorhabens bereits seinerzeit vorhergesehen und im Planfeststellungsbeschluss berücksichtigt worden wäre.

Die Dimensionierung der danach anzuordnenden nachträglichen Lärmschutzmaßnahmen sei dagegen nach derzeitiger Rechtslage zu beurteilen. Schließlich könne der Anspruch unter den weiteren Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 Satz 4 und 5 VwVfG ausgeschlossen sein, etwa weil Schutzvorkehrungen untunlich oder mit dem Straßenbauvorhaben unvereinbar wären.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Streitfall an die Vorinstanz zurückgewiesen, da die Frage ob die Kläger im Ergebnis einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen hätten, von weiteren Fragen abhänge, zu denen das Oberverwaltungsgericht bislang keine Tatsachenfeststellung getroffen habe.