Vergaberechtsschutz besteht auch unterhalb der Schwellenwerte

01.01.2012

Vergaberechtsschutz besteht auch unterhalb der Schwellenwerte

Als drittes Oberverwaltungsgericht (OVG) nach dem OVG Koblenz und dem OVG Münster hat nunmehr auch das OVG Bautzen mit Beschluss vom 13.04.2006 (2 E 270/05) entschieden, dass die erste Stufe der staatlichen Auftragsvergabe bis zum Zuschlag allein öffentlich- rechtlichen Bindungen unterliegt und deshalb bei Vergaben unterhalb der EUSchwellenwerte der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist.

Eine Kommune schrieb Bauarbeiten an ihrem Stadion öffentlich aus. Der EU-Schwellenwert (derzeit noch 5.000.000 Euro) wurde hierbei deutlich unterschritten. Der spätere Antragsteller im Eilverfahren belegte nur den zweiten Platz. Ein anderer Bieter sollte den Zuschlag erhalten. Ein Nachprüfungsverfahren nach dem Sächsischen Vergabegesetz blieb erfolglos. Mehrere Wochen nach Zuschlagserteilung und nach Beginn der Arbeiten beantragt der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht Leipzig im Wege der einstweiligen Anordnung, den Vollzug des durch den Zuschlag zustande gekommenen Vertrages auszusetzen. Das angerufene Verwaltungsgericht Leipzig erklärt den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Leipzig Der Antragsteller legt daraufhin Beschwerde zum OVG Bautzen ein.

Diese Beschwerde war erfolgreich. Das OVG hält die Beschwerde, in deren Rahmen allein über die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges zu entscheiden war, für begründet. Nach der allgemeinen Zuständigkeitsverteilung zwischen Zivil- und Verwaltungsgerichten komme es auf die Natur des Rechtsverhältnisses an, aus dem der Anspruch abgeleitet werde. Ein Vergabeverfahren bestehe aus zwei Stufen. Dem Abschluss des privatrechtlichen Vertrages und damit der Annahme eines Angebots durch Zuschlag (zweite Stufe) gehe in der ersten Stufe das eigenständige Verwaltungsverfahren voraus, welches allein öffentlich- rechtlichen Bindungen unterliege. Die Rechtswirkungen der anwendbaren Vorschriften der VOB/A seien nicht auf eine interne Bindung der Vergabestelle beschränkt, vielmehr würden sie Außenwirkung entfalten und subjektive Rechte der Bieter begründen. Damit werde auch dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung getragen. Mit diesem sei es nicht vereinbar, in Verfahren, in welchen der Schwellenwert von 5 Mio. Euro nicht erreicht werde, einen Rechtsweg als nicht eröffnet zu erachten oder insoweit auf Rechtsschutz durch die Zivilgerichte zu verweisen.

Nachdem nunmehr das dritte Oberverwaltungsgericht in Folge unterhalb der Schwellenwerte den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet hat, darf man insoweit wohl von einer herrschenden Meinung in der Rechtsprechung ausgehen. Für die Vergabepraxis bedeutet dies, dass - anders als oberhalb der Schwellenwerte - auch nach Zuschlagserteilung noch effektiver Rechtsschutz durch Aussetzung des Vollzuges des mit einem anderen Bieter geschlossenen Bauvertrages beantragt werden kann. Dieser Meinungswandel in der Rechtsprechung hat erhebliche Konsequenzen für die Kommunen. Immerhin erfolgen ca. 90% der kommunalen Vergaben unterhalb der Schwellenwerte. Rechtsschutz bestand in diesem Bereich bislang nur auf Ebene der Schadensersatzklagen und wurde selten in Anspruch genommen. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges, gerade auch in Gestalt des Eilverfahrens, mit dem die Zuschlagserteilung zumindest verzögert oder sogar verhindert werden kann, wird dies nachhaltig ändern. Der harte Wettbewerb insbesondere im Bausektor und die Bedeutung öffentlicher Aufträge für das Überleben vieler Bauunternehmen wird die Bieter veranlassen, verstärkt die Möglichkeit verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes in Betracht zu ziehen.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht