Kein genereller Vorrang des Verhaltensstörers vor dem Zustandsstörer im Bodenschutzrecht

01.01.2012

Kein genereller Vorrang des Verhaltensstörers vor dem Zustandsstörer im Bodenschutzrecht

Nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes (VGH) Kassel vom 06.01.2006 (6 TG 1392/04) besteht im Bodenschutzrecht kein genereller Vorrang der Haftung des Verhaltensverantwortlichen vor derjenigen des Zustandsverantwortlichen. Es bleibe bei der grundsätzlichen "Gleichrangigkeit der Störertypen". Die Auswahl unter mehreren Verpflichteten nach § 10 Abs. 1 BBodSchG stehe im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde. Eine aus Effizienzgründen gebotene Heranziehung des Zustandsstörers anstelle des Verhaltensstörers könne z. B. dann in Betracht kommen, wenn der Zeitpunkt des Schadstoffeintrags lange zurückliege oder die Umstände ungeklärt seien.

Die Verfahrensbeteiligten stritten über die sofortige Vollziehung zweier Bescheide des Antragsgegners, mit denen dieser den Antragstellerinnen die Durchführung von Untersuchungsmaßnahmen zum Zweck der abschließenden Gefährdungsabschätzung auf dem Betriebsgrundstück in C-Stadt, C-Straße, aufgegeben hatte. Mit Bescheid vom 27. November 2003 hatte der Antragsgegner die Antragstellerin zu 1., in deren Eigentum das Betriebsgelände stand, gem. § 4 Abs. 3 und § 9 Abs. 2 BBodSchG zur Durchführung von Untersuchungsmaßnahmen in Anspruch genommen und dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass eine Heranziehung der A. als Verursacherin der Verunreinigung durch den Betrieb eines Holzverkohlungswerkes in der Zeit von 1858 bis 1959 wenig Chancen auf Durchsetzung habe. Die Antragstellerin zu 1. legte gegen den Bescheid fristgerecht Widerspruch ein und erhob nach Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 10. Februar 2004 bei dem Verwaltungsgericht Wiesbaden (Az.: 4 E 721/04) fristgerecht Klage.

Mit Bescheid vom 11. Februar 2004 hatte der Beklagte die Antragstellerin zu 2. als Inhaberin der tatsächlichen Gewalt über das Betriebsgelände zur Durchführung derselben Untersuchungsmaßnahmen - gesamtschuldnerisch mit der Antragstellerin zu 1. - in Anspruch genommen. Die Antragstellerin zu 2. legte gegen diesen Bescheid ebenfalls fristgerecht Widerspruch ein und erhob nach Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2004 bei dem Verwaltungsgericht Wiesbaden (Az.: 4 E 722/04) fristgerecht Klage. Die Antragstellerinnen beantragten ferner die Antragstellerinnen jeweils die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche bzw. Klagen. Das Verwaltungsgericht hat die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und die Anträge mit Beschluss vom 13. April 2004 abgelehnt; dagegen wandten sich die Antragstellerinnen mit ihrer Beschwerde.

Der VGH entschied den Rechtsstreit wie folgt: Ein genereller Vorrang der Haftung des Verhaltensverantwortlichen vor derjenigen des Zustandsverantwortlichen bestehe nicht. Eine derartige Rangfolge lasse sich auch unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien nicht der bloßen Aneinanderreihung von Verantwortlichen - beginnend mit dem Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast - in § 4 Abs. 3 BBodSchG entnehmen. Die Begründung der damaligen Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des Bodens enthalte zwar im Zusammenhang mit der Sanierungspflicht die Aussage, die in § 4 Abs. 3 BBodSchG festgelegte Reihenfolge der Verantwortlichen bestimme im Regelfall auch die Rangfolge der Verpflichtung. Im Folgenden werde diese Aussage aber durch den Hinweis relativiert, dass es im Bodenschutzrecht - wie im Polizeirecht - nicht um eine Verpflichtung aus schuldhaftem Handeln gehe mit der Folge, dass die zuständige Behörde den Zustandsstörer zur Sanierung heranziehen könne, sofern eine schnelle und effektive Beseitigung der eingetretenen Störung nur durch ihn erreicht werden könne (BT-Drs. 13/6701, S. 35). Die Kostenregelung des § 25 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzentwurfs, welcher der Vorschrift des § 24 Abs. 2 Satz 2 BBodSchG entspreche, stelle durch einen Ausgleichsanspruch des Zustandsstörers gegen den Verursacher sicher, dass dieser letztlich die Kosten der Sanie rungsmaßnahme zu tragen habe (BT-Drs. 13/6701, S. 35). Auch an anderer Stelle der Begründung werde ausdrücklich betont, dass die Auswahl unter mehreren Verpflichteten nach § 10 Abs. 1 BBodSchG im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde stehe (BTDrs. 13/6701, S. 34). Selbst wenn die Gesetzesmaterialien Hinweise darauf enthielten, dass dem Verursacherprinzip stärker Rechnung getragen werden sollte - bspw. in der Stellungnahme des Bundesrates zu § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG betreffend die Aufnahme des Gesamtrechtsnachfolgers des Verursachers in den Kreis der Verpflichteten (BT-Drs. 13/6701, S. 51) -, lasse sich ein eindeutiger Wille des Gesetzgebers zur Vorgabe einer bindenden Rangfolge bei der Heranziehung der in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG genannten Sanierungspflichtigen nicht entnehmen. Es bleibe daher bei der grundsätzlichen "Gleichrangigkeit der Störertypen".

Die behördliche Störerauswahl sei daher eine Ermessensfrage. Dabei habe die Behörde gemäß § 40 VwVfG ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die Grenzen des Ermessens einzuhalten. Die Regelung des § 4 Abs. 3 BBodSchG verfolge insbesondere zwei Ziele, nämlich die schnelle und effektive Beseitigung eingetretener Störungen, die auf schädlichen Bodenveränderungen beruhen oder von Altlasten ausgehen, und die Freihaltung der öffentlichen Hand von finanziellen Lasten (BT-Drs. 13/6701, S. 4 f., 19, 34 f.). Eine aus Effizienzgründen gebotene Heranziehung des Zustandsstörers anstelle des Verhaltensstörers könne beispielsweise dann in Betracht kommen, wenn der Zeitpunkt des Schadstoffeintrags lange zurückliege oder die Umstände ungeklärt seien.

Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit § 24 Abs. 2 BBodSchG die Schärfe einer Inanspruchnahme des Zustandsstörers durch die Möglichkeit des Rückgriffs beim Verhaltensstörer erheblich relativiert habe.

Im vorliegenden Fall möge es zwar zutreffen, dass die Beteiligten die Störereigenschaft der A. weder im Verwaltungsverfahren noch im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren ausdrücklich in Zweifel gezogen hätten. Das bedeute indessen nicht, dass der VGH von der Störereigenschaft der A. auszugehen habe. Im Gegensatz zum Zivilprozess gelte im Verwaltungsprozess der Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO), der dem Gericht die Erforschung und Klärung des Sachverhalts von Amts wegen aufgebe. Den vorliegenden Verwaltungsvorgängen lasse sich entnehmen, dass die Verunreinigungen bei dem Betrieb eines Holzverkohlungswerkes entstanden seien und dass die Holzverkohlung auf dem Grundstück in C-Stadt in der Zeit von 1858 bis 1959 - also mehr als 100 Jahre - betrieben wurde. Anhaltspunkte dafür, zu welchem Zeitpunkt der Schadstoffeintrag stattgefunden habe, ließen sich den dem Senat vorliegenden Verwaltungsvorgängen dagegen nicht entnehmen. Infolgedessen könnten konkrete Feststellungen dazu, welcher Betreiber des Holzverkohlungswerkes die Verunreinigung verursacht habe und damit als eigentlicher Verhaltensstörer anzusehen sei, ebenfalls nicht getroffen werden. Stehe der eigentliche Verhaltensstörer bereits nicht fest, so ließen sich auch Feststellungen des Inhalts, dass die heutige A. als Gesamtrechtsnachfolgerin des Verhaltensstörers anzusehen sei, nicht treffen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Gesamtrechtsnachfolger nur diejenige natürliche oder juristische Person sei, die kraft gesetzlicher Anordnung oder kraft Rechtsgeschäfts in die gesamten Rechte und Pflichten einer anderen Person eintrete; typische Beispiele seien der Alleinerbe (§ 1922 BGB) sowie der übernehmende Rechtsträger nach einer Verschmelzung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Eine Nachfolge in sämtliche Rechte oder Pflichten liege dagegen nicht vor in den Fällen der Firmenfortführung nach § 25 Abs. 1 oder § 28 Abs. 1 HGB, da es sich dabei - im Gegensatz zur Rechtsnachfolge - um eine Schuldmitübernahme handele.

Im Hinblick darauf, dass die Eigenschaft der A. als Gesamtrechtsnachfolgerin eines Verursachers der Verunreinigung danach nicht sicher feststehe, sei der Antragsgegner auch nicht verpflichtet gewesen, eine abschließende Entscheidung sämtlicher kontrovers diskutierter Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Problematik sog. Uraltlasten zu treffen. Der Antragsgegner sei vielmehr - ermessensfehlerfrei - davon ausgegangen, dass die Antragstellerin zu 1. als Grundstückseigentümerin, die im Rahmen einer Umweltauditierung die Erstuntersuchung durch die Fresenius Ingenieur Consult GmbH veranlasst hatte, am ehesten in der Lage sei, weitere Untersuchungen zu veranlas"Hin- und Herzahlen" des Einlagebetrages bei einer GmbH begründet keine doppelte Einlagepflicht Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 09.01.2006 (II ZR 72/05) entschieden, dass der Gesellschafter einer "auf Vorrat" gegründeten GmbH die Stammeinlage nicht noch einmal leisten muss, wenn der Einlagebetrag sogleich an den Gesellschafter zurückgezahlt wird. Diese so genannte "Hin- und Herzahlen" führt nach Auffassung des BGH nicht zu einer Verdoppelung der Einlagepflicht des Gesellschafters. Der Kläger in dem vom BGH entschiedenen Rechtsstreit ist seit 2003 Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH. Diese war im April 1997 von der Beklagten (Gesellschafterin) als so genannte "Vorratsgesellschaft" gegründet worden. Nach der Gründung zahlte die Beklagte zunächst die Stammeinlage ein. Die Zahlung floss allerdings unmittelbar darauf wieder an sie zurück. Dieser Rückzahlung lag angeblich eine Treuhandabrede zugrunde, wonach die Gesellschafterin das Geld zugunsten der Vorratsgesellschaft anlegen sollte. Zwei Monate später übertrug die Beklagte ihre Geschäftsanteile an der GmbH auf einen Dritten. Im Zuge dessen zahlte die Beklagte einen Betrag in Höhe der Stammeinlage (50.000 DM) an die GmbH. Der Kläger hat diese Zahlung mit Rücksicht darauf, dass die Beklagte selbst aufgrund der Treuhandabrede hat leisten wollen, nicht als Einlageleistung gelten lassen wollen und von der Beklagten die nochmalige Zahlung der Stammeinlage verlangt. In den Vorinstanzen bekam der Kläger zunächst Recht. Das Berufungsgericht führte aus, durch das ursprüngliche Hin- und Herzahlen habe die Beklagte ihre Einlageschuld nicht erfüllen können. Die Einzahlung der 50.000 DM im Zuge der Veräußerung der Geschäftsanteile habe keine Tilgungswirkung gehabt. Denn die Beklagte habe nicht auf die Einlageschuld, sondern zur Erfüllung der Pflichten aus der Treuhandabrede zahlen wollen. Im Ergebnis müsse die Beklagte den Betrag von 50.000 Mark zwei mal leisten. Der BGH sah dies anders, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und wies die Klage ab. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte durch den Vorgang des Hin- und Herzahlens ihre Einlageschuld nicht habe tilgen können, billigte er. Denn sie stehe im Einklang mit der seit vielen Jahren gefestigten und auch im Schrifttum mehrheitlich vertretenen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Verworfen hat der BGH dagegen die Vorstellung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe auch durch die spätere Zahlung von 50.000 Mark ihre Einlageschuld nicht erfüllen können. Da das Hin- und Herzahlen wirtschaftlich als ein einheitlicher, sich selbst neutralisierender Vorgang anzusehen sei, habe die beklagte Gesellschafterin nichts geleistet und die Gesellschaft nichts erhalten. Eine in diesem Zusammenhang für das "Herzahlen" getroffene "Treuhandabrede" sei rechtlich unwirksam. Da der Sachverhalt so anzusehen sei, als habe der Gesellschafter den Einlagebetrag in seinem Vermögen behalten, sei auf keiner Seite eine Bereicherung eingetreten. Offen sei ausschließlich die Einlageschuld. Diese sei durch die spätere Einzahlung getilgt worden. Dass sie mit einer rechtlich falschen Tilgungsbestimmung versehen worden sei, ändere daran nichts. Insbesondere führe dies nicht dazu, dass der Gesellschafter zweimal zahlen müsse, nämlich auf die unwirksame "Treuhandabrede" oder und außerdem auf die Einlageschuld. Der BGH bemängelte, dass sich das Berufungsgericht mit der von ihm favorisierten Lösung bewusst darüber hinwegsetze, dass dem Sinn der Kapitalaufbringungsregeln zuwider derjenige Gesellschafter besser gestellt sei, der den Fehler bei der Einlagezahlung nicht alsbald behebe, sondern zuwarte, bis er von dem Insolvenzverwalter zwangsweise zur Einlagezahlung veranlasst werde. Er müsse nur einmal leisten, während der gesetzestreu vorgehende Gesellschafter "der Dumme" sei und - ohne Aufrechnungsmöglichkeit - ein zweites Mal an den Insolvenzverwalter zahlen müsse.