Privatpersonen können Verletzung der Wasserrahmenrichtlinie erfolgreich rügen

15.11.2020

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Möglichkeiten, Verstöße gegen EU-Umweltrecht rügen zu können, weiter ausgebaut. Nach deutschem Verwaltungsrecht ist es Privatpersonen nur möglich, Rechtsverstöße zu rügen, die ihre eigenen Rechte betreffen. Diesen Grundsatz hat der EuGH weiter aufgeweicht – und dies gilt in gleicher Weise für Kommunen.

In seinem Urteil vom 28.05.2020 (C-535/18) hatte der EuGH u. a. darüber zu befinden, ob private Kläger eigene Rechte aus Vorschriften der Richtlinie 2000/60/EG (sog. Wasserrahmenrichtlinie) ableiten können.

Die Kläger – die über eigene Grundwasserhausbrunnen verfügten – gingen gegen einen Planfeststellungsbeschluss vor, der erlaubte, das auf den Straßenoberflächen anfallende Niederschlagsgewässer in Oberflächengewässer und in das Grundwasser einzuleiten. Sie fürchteten eine Verschlechterung der Grundwasserqualität und rügten deshalb unter anderem einen Verstoß gegen das europäische Verschlechterungsverbot, welches sich aus der EU-Wasserrahmenrichtlinie ergibt und durch die §§ 27, 47 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) in das nationale Recht umgesetzt ist.

Europarechtliche Zweifel des Bundesverwaltungsgerichts

In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage, ob die Kläger überhaupt befugt waren, einen Verstoß gegen diese Vorschriften rügen zu können. Nach deutschem Rechtsverständnis können sich Privatpersonen grundsätzlich nicht auf die Verletzung umweltrechtlicher Vorschriften berufen, wenn diese nicht auch ihrem persönlichen Schutz dienen. Diesen Schutzzweck haben die nationalen wasserrechtlichen Vorschriften in der Regel nicht, sie dienen nur dem öffentlichen Interesse. Das Bundesverwaltungsgericht wollte daher die Rüge der Kläger zurückweisen, hatte aber europarechtliche Zweifel und rief deshalb den EuGH an.

Betroffene haben Rügerecht

Der EuGH hat diese Frage zu Gunsten der Kläger beantwortet. Der EuGH entschied, dass sich zumindest unmittelbar betroffene Privatpersonen auf die Verletzung der Wasserrahmenrichtlinie berufen können. Ein grundsätzlicher Ausschluss von Rechtschutzmöglichkeiten sei mit den europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbar.

Nach Ansicht des EuGH dient die Wasserrahmenrichtlinie dazu, einen guten Zustand des Grundwassers in der EU zu erreichen und eine ausreichende Versorgung mit Grundwasser guter Qualität zu gewährleisten. Eine Verschmutzung des Grundwassers zu reduzieren – oder besser: zu verhindern – habe auch den Zweck, eine legitime Nutzung des Grundwassers zu ermöglichen. Jede Privatperson, die zur Grundwasserentnahme und -nutzung berichtigt ist, sei deshalb von einem Verstoß gegen die Vorschriften des Verschlechterungsverbots unmittelbar betroffen.

Gleiches Recht für Kommunen

Im Ergebnis folgt daraus, dass alle Privatpersonen einen Verstoß gegen die Bewirtschaftungsziele für das Grundwasser geltend machen können, sofern sie selbst eine Nutzungsberechtigung für das Grundwasser haben.
Auch wenn sich der EuGH in seiner Entscheidung damit nicht befasst hat, muss auf Grundlage dieser Argumentation das Gleiche auch für Kommunen gelten, die selbst Grundwasser fördern. In diesem Fall ist die Interessenlage vergleichbar und es ist kein Grund ersichtlich, weshalb sich Kommunen in derartigen Fällen gegen eine (potenzielle) Verschlechterung der Grundwasserqualität oder -quantität nicht ebenfalls zur Wehr setzen dürfen.

Darüber hinaus zeigt die Entscheidung des EuGH einmal mehr, wie stark europarechtliche Vorgaben inzwischen das deutsche Prozessrecht beeinflussen. Verwaltungsstreitverfahren lassen sich mittlerweile nicht mehr erfolgreich durchführen, ohne dass europarechtliche Regelungen berücksichtigt werden. Dies gilt ganz besonders im Umweltrecht, das inzwischen ganz überwiegend durch europäische Richtlinien geprägt ist.

(Autor: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt)