Auch öffentlich-rechtliche Verbände haften für Umweltschäden

15.12.2020

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts – wie z. B. kommunale Wasserverbände – für Umweltschäden haften können, auch wenn sie aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse tätig werden. Grundlage hierfür ist das Umweltschadensgesetz und die ihm zugrunde liegende EU-Umwelthaftungsrichtlinie.

Schon seit 2007 Haftung für reine Umweltschäden möglich

Mit dem im November 2007 in Kraft getretenen Umweltschadensgesetz (USchadG) wurde erstmalig im deutschen Recht eine Rechtsgrundlage geschaffen, um von demjenigen, der einen Schaden an der Umwelt verursacht, Ersatz dieses Schadens verlangen zu können. Zuvor konnte Schadensersatz nur gefordert werden, wenn eine Person oder ein Unternehmen geschädigt wurden, nicht aber für die Schädigung der Natur selbst. Damit wurde die EU-Umwelthaftungsrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt – wenn auch stark verspätet.

USchadG bislang ein zahnloser Tiger

Lange blieb das USchadG allerdings weitgehend ein zahnloser Tiger. Das lag unter anderem daran, dass nur für solche Schäden an der Umwelt Ersatz verlangt werden konnte, die bei ganz bestimmten Tätigkeiten entstanden waren. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 USchadG ist der Anwendungsbereich dieses Gesetzes nämlich nur bei Umweltschäden eröffnet, die durch eine der in Anlage 1 dieses Gesetzes aufgeführten beruflichen Tätigkeiten verursacht werden. Die Zahl dieser Tätigkeiten war und ist überschaubar.

Gesetzlicher Auftrag hindert Haftung nicht

In seinem Urteil vom 09.07.2020 (Az.: C-297/19) hat der EuGH nunmehr auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) festgestellt, dass ein Wasser- und Bodenverband (eine juristische Person des öffentlichen Rechts), der auf der als Schutzgebiet ausgewiesenen Halbinsel Eiderstedt in Schleswig-Holstein ein Schöpfwerk zur Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen betreibt, für Umweltschäden im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit haftet. Auch in diesem Fall liege eine „berufliche Tätigkeit“ im Sinne der EU-Haftungsrichtlinie vor, obgleich der Verband aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung und im öffentlichen Interesse tätig wurde und wird. Der EuGH stellt in seiner Entscheidung klar, dass zu den „beruflichen Tätigkeiten“ nach der EU-Haftungsrichtlinie sämtliche in einem beruflichen Rahmen ausgeübten Tätigkeiten gehören, unabhängig davon, ob diese einen Bezug zum Markt oder Wettbewerbscharakter hätten. Dazu zähle z. B. auch eine landwirtschaftliche Tätigkeit und alle damit im Zusammenhang stehenden Maßnahmen - so wie hier die Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen.

„Normale Bewirtschaftung“ als Ausweg aus der Haftung

Gerade im Hinblick auf Schäden im Zusammenhang mit einer landwirtschaftlichen Nutzung stellt der EuGH aber auch klar, dass eine Haftungsbefreiung für Biodiversitätsschäden (dazu zählen z. B. die Zerstörung von Brutstätten oder Nahrungshabitaten) möglich ist, soweit diese Schädigungen auf einer „normalen Bewirtschaftung“ des betreffenden Gebiets beruhen. In Deutschland ergibt sich dies aus § 19 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG). Danach liegt keine erhebliche Schädigung – als Voraussetzung für den Schadensersatz – vor, wenn sich der vorherige Naturzustand durch die beruflichen Tätigkeiten zwar nachteilig verändert, diese Veränderung aber auf eine „normale“ Bewirtschaftung der betreffenden (geschützten) Gebiete zurückzuführen ist. Hierzu führt der EuGH aus, dass Bewirtschaftungsmaßnahmen in einem Gebiet, in dem geschützte Arten und natürliche Lebensräume im Sinne der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie vorhanden sind, nur dann als "normal" angesehen werden können, wenn sie die Ziele und Verpflichtungen, die in diesen Richtlinien vorgesehen sind, achten.

Wie geht es weiter?

Der auch als „Fall Trauerseeschwalbe“ inzwischen bekannt gewordene Rechtsstreit, der einen langen Weg hinter sich hat (die Klage des NABU datiert vom Oktober 2009), muss nunmehr durch das BVerwG abschließend entschieden werden. Das BVerwG wird darüber zu entscheiden haben, ob – wie vom NABU behauptet – Umweltschäden entstanden sind, die durch den Wasser- und Bodenverband verursacht und von ihm letztlich zu entschädigen bzw. zu sanieren sind. Der Fall zeigt zweierlei: Zum einen greift der Anwendungsbereich des Umweltschadensgesetzes weiter als bislang gedacht. Jedenfalls sind öffentlich-rechtlich verfasste Verbände nicht automatisch „außen vor“, so dass auch diese im Blick behalten müssen, ob ihre Tätigkeit eventuell einen Umweltschaden auslöst, für den sie haftbar gemacht werden können. Zum anderen gibt es aber weiterhin Möglichkeiten, sich der Haftung zu entziehen, insbesondere über das Argument der „normalen Bewirtschaftung“ eines Gebiets. Es bleibt abzuwarten, ob vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung zukünftig die Bedeutung des Umweltschadensrechts zunimmt oder weiterhin eher ein Nischendasein fristen wird.