VK Bund: Direktvergabe zur Beschaffung von Mund-Nasen-Bedeckungen zulässig

12.02.2021

Die Vergabekammer des Bundes (VK Bund) hat mit ihrem Beschluss vom 28.08.2020 (erstmals) für rechtmäßig erachtet, dass das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Dienstleistungsaufträge zur Bewältigung der Corona-Pandemie direkt vergeben hatte (VK 2–57/20).

Der Hintergrund

Anlass der Entscheidung ist die Beschaffung von Mund-Nasen-Bedeckungen durch das BMG zu Beginn der Coronakrise. Hierzu nutzte das Ministerium das sogenannte Open-House-Verfahren, bei dem sich der Auftraggeber dazu verpflichtet, mit jedem Auftragnehmer, der die vorher festgelegten Vertragskonditionen erfüllt, einen Kaufvertrag abzuschließen. So kamen ca. 700 Einzelverträge zur Anschaffung von Mund-Nasen-Bedeckungen zustande. Da die personellen Ressourcen des BMG nicht ausreichten, um die Verträge selbst abzuwickeln, beauftragte das BMG Mitte Mai 2020 kurzfristig ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen im Wege eines sog. “Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb”. Beschaffungsgegenstand war laut Vergabevermerk: „Durchführung des operativen Geschäfts […] bei der Durchführung der Verträge über die Beschaffung von Schutzausrüstung. Dies betrifft im Wesentlichen die technische Vertragsprüfung, […], das Vertragsmanagement, die Qualitätssicherung, die Steuerung der gesamten Lieferkette und der Logistikdienstleister, die Überprüfung von Eingangsrechnungen und die Bearbeitung von Leistungsstörungen.“ (VK Bund, Beschl. v. 28.08.2020, Az. VK 2–57/20, S. 2). Der Vertrag hatte ein Volumen, welches über dem EU-Schwellenwert lag, und eine Laufzeit von sechs Monaten mit Option zur Verlängerung um weitere sechs Monate. Ein potenzieller Bieter fühlte sich durch die direkte Vergabe übergangen und stellte einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes.

Die Streitfrage

Kernfrage ist, ob die Managementleistungen entgegen § 135 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ohne vorherige europaweite Bekanntmachung vergeben werden durften. Die Vergabekammer hat dies bejaht. Die Ausnahmevorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) sei erfüllt. Danach kann der öffentliche Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit für den Auftraggeber unvorhersehbaren Ereignissen vorliegen, die es nicht zulassen, dass die Mindestfristen des (eigentlich vorrangigen) offenen oder nicht offenen Verfahrens mit Teilnahmewettbewerb eingehalten werden können.

Die Vergabekammer geht hinsichtlich der Corona-Pandemie von einem solchen äußerst dringlichen und zwingenden Grund aus, der für den öffentlichen Auftraggeber nicht vorhersehbar gewesen sei. Die Dringlichkeit in Form einer akuten Gesundheitsbedrohung sei angesichts des sich rasant ausbreitenden Virus’ bei gleichzeitig ungenügender Versorgung mit Mund-Nasen-Bedeckungen gegeben.

Die Vergabekammer argumentiert mit einer Prognose-Sichtweise (sog. ex-ante-Perspektive): Als das Open-House-Verfahren initiiert worden sei, habe eine weltweite Knappheit der zu beschaffenden Waren geherrscht, sodass der öffentliche Auftraggeber nicht davon ausgehen musste, eine Vielzahl von Verträgen abwickeln zu müssen. Erst als Mitte Mai 2020 die Anzahl der Verträge absehbar war, sei der Bedarf an der operativen Vertragsabwicklung entstanden. Zu diesem Zeitpunkt sei jedoch aufgrund des Zeitdrucks ein Vergabeverfahren selbst mit verkürzten Fristen nicht zweckdienlich gewesen. Auch sei zur wirksamen Pandemiebekämpfung nicht nur erforderlich gewesen, Mund-Nasen-Bedeckungen anzuschaffen, sondern auch die Lieferverträge zeitnah abzuwickeln. Daher sei die Vergabe der Managementleistungen ebenfalls besonders dringlich gewesen.

Auch konnte die Vergabekammer keinen Verstoß gegen die Leitlinien der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die Covid-19-Krise verursachten Notsituation (2020/C 108L/01) festzustellen. Denn nach deren Ziffer 2.3.4 sind Direktvergaben zur Überbrückung, bis langfristige Lösungen verfügbar sind, zulässig.

Zuletzt sprach für die direkte Vergabe an das Wirtschaftsprüfungsunternehmen, dass dieses zuvor bereits ähnliche Beschaffungsaufträge für das Ministerium durchgeführt hatte und daher mit den Anforderungen, wie etwa der Qualitätskontrolle im (asiatischen) Ausland, vertraut war.

Wie geht es weiter?

Je länger die Pandemie andauert, umso weniger erfolgsversprechend erscheint die Berufung des öffentlichen Auftraggebers auf ein unvorhersehbares Ereignis im Sinne der Ausnahmevorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV und sollte möglichst vermieden werden. Dementsprechend hat das BMG die Managementleistungen für Anschaffungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie ab dem 18. November 2020 nunmehr im offenen Verfahren ausgeschrieben. Hilfestellungen für zukünftige Anschaffungen bieten ggf. auch die „Verbindlichen Handlungsleitlinien für die Bundesverwaltung für die Vergabe öffentlicher Aufträge Beschleunigung intensiver Maßnahmen zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie“, die ebenfalls aufzeigen, welche Maßstäbe bei dringenden Aufträgen während der Corona-Krise anzulegen sind.