Wegfall der “gekorenen” Ausübungsbefugnis

15.03.2021

Am 01.12.2020 trat das neue Wohnungseigentumsgesetz (WEG) in Kraft. Die Neuregelungen führen zu einem vollständig neuem Wohnungseigentumsgesetz, das die Rechte und Pflichten von Wohnungseigentümern grundlegend ändert. Im Zuge der Gesetzesänderung musste auch die für die Baupraxis bedeutende Regelung des § 10 Abs. 6 S. 3 WEG a. F. der Neuregelung des § 9 a Abs. 2 WEG weichen. Wie sich die partielle Streichung der vormaligen Regelung bei der Sachmängelgewährleistung im Bauträgerbereich bei Mängeln am gemeinschaftlichen Eigentum auswirkt, ist derweil unklar.

Individueller Anspruch eines Erwerbers

Ausgangspunkt der Betrachtung ist, dass die Gewährleistungsrechte aus einem Bauträgervertrag – im Hinblick auf bestehende Mängel am Sonder- und/oder Gemeinschaftseigentum – materiell-rechtlich nur dem jeweiligen Erwerber zustehen. Nur dieser ist der Vertragspartner des Bauträgers. Bei der Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 10 Wohnungen etwa gibt es damit auch 10 unterschiedliche Vertragsverhältnisse mit 10 unterschiedlichen Erwerberparteien; jeder einzelnen Erwerberpartei stehen gegen den Bauträger individuelle Gewährleistungsansprüche zu.

Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft nach bis zum 30.11.2020 geltenden Rechtslage

Bei der Ausübung der Gewährleistungsansprüche bezogen auf das Gemeinschaftseigentum wurde bislang wie folgt unterschieden: Während der einzelne Erwerber die Erfüllung, Nacherfüllung (Nachbesserung) und Kostenvorschuss vom Bauträger individuell verlangen konnte (Letzteres allerdings nur als Anspruch auf Leistung an die WEG), konnte nur die Gemeinschaft Minderung sowie kleinen Schadensersatz geltend machen. Denn nur dieser stand die ausschließliche „geborene“ Ausübungsermächtigung über „gemeinschaftsbezogene“ Ansprüche gemäß § 10 Abs. 6 S. 3 Alt. 1 WEG a. F. zu. Um diese Rechte ausüben zu können, mussten Wohnungseigentümer zunächst einen entsprechenden Mehrheitsbeschluss über die „Vergemeinschaftung“ fassen und damit der Gemeinschaft die Ausübungsbefugnis übertragen.

Auch die Ansprüche auf Erfüllung, Nacherfüllung (Nachbesserung) und Kostenvorschuss konnten im Wege eines Mehrheitsbeschlusses (über die sogenannte „gekorene“ Ausübungsermächtigung nach § 10 Abs. 6 S. 3 Alt. 2 WEG a. F.) „vergemeinschaftet“ werden.

Hat die Gemeinschaft die Ansprüche im Wege eines Mehrheitsbeschlusses „an sich gezogen“, so war der einzelne Erwerber im Hinblick auf diese Ansprüche nicht mehr prozessführungsbefugt. § 10 Abs. 6 WEG a. F. (gültig ab 01.07.2007 bis 30.11.2020): „1 Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann im Rahmen der gesamten Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums gegenüber Dritten und Wohnungseigentümern selbst Rechte erwerben und Pflichten eingehen. 2 Sie ist Inhaberin der als Gemeinschaft gesetzlich begründeten und rechtsgeschäftlich erworbenen Rechte und Pflichten. 3 Sie übt die gemeinschaftsbezogenen Rechte der Wohnungseigentümer aus und nimmt die gemeinschaftsbezogenen Pflichten der Wohnungseigentümer wahr, ebenso sonstige Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer, soweit diese gemeinschaftlich geltend gemacht werden können oder zu erfüllen sind. 4 Die Gemeinschaft muss die Bezeichnung „Wohnungseigentümergemeinschaft“ gefolgt von der bestimmten Angabe des gemeinschaftlichen Grundstücks führen. 5 Sie kann vor Gericht klagen und verklagt werden.“

Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft nach aktueller Rechtslage (seit dem 01.12.2020)

Der Wortlaut der Neuregelung des § 9a Abs. 2 WEG erfasst insoweit zunächst nur die Minderung und den kleinen Schadenersatz, also die Rechte, die bisher als „gemeinschaftsbezogen“ der Gemeinschaft - als „geborene“ Ausübungskompetenz - zukamen. Nur die Geltendmachung dieser Ansprüche erfordert nämlich „eine einheitliche Rechtsverfolgung“ im Sinne des § 9a Abs. 2 WEG. Demgegenüber können die Rechte auf Erfüllung, Nacherfüllung und Kostenvorschuss von jedem Erwerber individuell gegen den Bauträger verfolgt werden, was der geforderten einheitlichen Rechtsverfolgung entgegenspricht.

§ 9a Abs. 2 WEG (gültig ab 01.12.2020):
„Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer übt die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer aus, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und nimmt die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr.“

Damit stellt sich die Frage, ob die Gemeinschaft die Rechte, die bisher im Sinne des § 10 Abs. 6 S. 3 Alt. 2 WEG a. F. ihrer -„gekorenen“ Ausübungskompetenz unterfielen, überhaupt noch im Wege eines Mehrheitsbeschlusses wirksam „vergemeinschaften“ kann. Dies ist streitig. Nach der Gesetzesbegründung soll die bisherige baurechtliche Rechtsprechung unberührt bleiben. Da diese Rechtsprechung bereits vor Inkrafttreten des § 10 Abs. 6 S. 3 Alt. 2 WEG a. F. bestand, konnte sie auch nicht durch dessen Streichung beeinflusst werden. Dies spricht dafür, es im Bauträgerrecht bei der bisherigen „gekorenen“ Ausübungskompetenz der Gemeinschaft zu belassen. Demgegenüber wird eingewandt, dass mit der ersatzlosen Streichung der Regelung in § 10 Abs. 6 S. 3 Alt. 2 WEG a. F. die Vergemeinschaftungsmöglichkeit auch im Bauträgerrecht weggefallen ist. Bis zur endgültigen Klärung der Problematik durch die Rechtsprechung (erst im Laufe der kommenden Jahre) bleibt es bei dieser unklaren Rechtslage.

Folgen für die Baupraxis

Der Meinungsstreit hat eine erhebliche Bedeutung für die Baupraxis. Sollte nach aktueller Rechtslage eine „Vergemeinschaftungsmöglichkeit“ verneint werden, so wäre damit ein nach altem Recht gefasster Vergemeinschaftungsbeschluss bereits mit Inkrafttreten der Neuregelung (01.12.2020) für die Zukunft nichtig geworden. In einem bereits laufenden Bauprozess auf der Grundlage eines gefassten Vergemeinschaftungsbeschlusses würde die Gemeinschaft damit ihre Prozessführungsbefugnis verlieren, was in der Folge auch zum Wegfall der Verjährungshemmung führen könnte.

Alternative Handlungsmöglichkeiten

Für anstehende Prozesse wäre zu erwägen, den Prozess durch einen der Erwerber führen zu lassen. Sollen die Rechte hingegen durch die Gemeinschaft durchgesetzt werden, so müsste der Gemeinschaft eine Einzugsermächtigung eingeräumt werden bzw. eine Abtretung des Anspruchs zugunsten der Gemeinschaft erfolgen. Um eine unterschiedliche Rechtsausübung zu verhindern, wäre die Mitwirkung aller Wohnungseigentümer, denen der Anspruch zusteht, erforderlich.